Abwärts – Rebellion, ein symbolischer Vorgang

Abwärts sind wieder da. In jedem zweiten olympischen Jahr treffen sich Frank Z. und Diedrich Diederichsen zum Interview. In den dazwischenliegenden olympischen Jahren nimmt Abwärts „Olympia“-Platten auf. So will es eine alte Runenschrift in Stonehenge. Alles weitere über das erste gelungene Comeback eines Stars der NdW, der überdrüssig fast drei Jahre lang keine Gitarre anfassen konnte, in zwei Kneipengesprächen und einem Blind Date in Hamburg und Köln.

Oft reichen geringfügige Altersunterschiede, um Erfahrungswelten zu trennen, Generationen zu konstituieren. Von Frank Z. hätte ich bis zu meinem Tode als einziger Überlebender der „Marktstube“ 79-81 erzählen können, wie andere vom Krieg oder ich von der Fußballweltmeisterschaft 1966 in England, die nicht nur mein Bild vom Fußball, sondern auch das von Großbritannien prägte, mich mit allen wichtigen Ortsnamen bekannt und mir die Regierungsform vertraut machte. Andere Menschen, die dieselbe Wirklichkeit und dieselben Redaktionsräume bewohnen und eigentlich nur geringfügig jünger sind, waren damals vier oder sechs Jahre alt, sie haben nichts davon mitbekommen und waren naturgemäß nie in der „Marktstube“, ich kann mich an jedes Spiel erinnern und an den Slogan der deutschen Schlachtenbummler: „You can play with eleven James Bonds, but you can’t kill the German football team.“

So sind die Reden von Frank Z., der jeden Abend mindestens für einige Monate dieselbe Kneipe besuchte, solche Altersgruppen unterscheidenden Ereignisse aus der Vergangenheit, aus einer Zeit, wo plötzlich sehr schnell sehr viel zu passieren schien und sich – ähnlich wie dreizehn Jahre vorher bei dieser Weltmeisterschaft – lauter wichtige, entscheidende und folgenreiche, das ganze spätere Leben bestimmende Verwicklungen anbahnten. Klein, hyperaktiv und etwas konfus stand er vor uns und erzählte von hyper-politischen Ideen und Beobachtungen, am Rande auch von der Band Abwärts, die er damals gründete und die vor unseren Augen und Ohren kurz ziemlich erfolgreich wurde, die mir aber komplett wieder entfallen wäre, wenn diese Post-RAF-Burroughs-Beschwörungen eines enttäuschten Ex-Anarchisten – der in der Musik fortzusetzen schien, was in der Wirklichkeit mal wieder gescheitert war – nicht gewesen wären, die wachen Erinnerungen an einen, der mit ganz anderen Mitteln und aus einer ziemlich anderen Welt kommend in derselben Kneipe mit derselben Heftigkeit denselben Kampf kämpfte.

Dann: Out Of The Past! Build my gallows high, Baby. Frank, zufällig in einer anderen, viel späteren Nachfolge-Kneipe in derselben Stadt. Nicht mehr auf Burroughs, sondern auf Schopenhauer. Gerade hat er Abwärts neu gegründet, wann hatten sich die nochmal aufgelöst?

„Als letztes haben wir eine Single zu den Olympischen Spielen gemacht, bei diesem Totenkopf-Label, die kam dann aber erst nach den Spielen raus, typisch Independent-mäßig. Aber der Künstler braucht eben ein gewisses Feedback, und das war bei der Platte so beschissen, daß ich einfach die Lust verloren habe. Ist schon ziemlich lange her.“

Klar, sind ja bald wieder Spiele. All die Jahre, auch noch während Abwärts, hat Frank in der Distribution- / Tour-Veranstaltungs- / Promotion-Welt der Independent-Szene gearbeitet, was er heute als seine „verlorenen Jahre“ bezeichnet, die damit verbundenen Frustrationen bleiben aber nicht der einzige Grund, daß er für gut zwei Jahre seine Gitarre nicht mehr angefaßt hat, „hinzu kam die allgemeine Orientierungslosigkeit. Ich bin neulich seit Jahren zum ersten Mal wieder bei Michael im Laden gewesen und habe die Regale durchgeguckt. Ich kannte nicht mal zehn Prozent und hatte auch keine Lust, irgendetwas kennenzulernen. Heute weiß ich aber, daß man die Anhaltspunkte bei sich selbst suchen muß. Ich habe eine Weile Bewegungen und Richtungen vermißt, Bands, auf die ich mich verlassen konnte, wie früher mal die Psychedelic Furs oder die Stranglers – obwohl ich die immer noch gut finde – heute ist mir das egal.“

Aber wenn Du Dich für die Musik von heute nicht interessierst, warum machst Du dann heute Musik?

„Weil ich eine Platte gemacht habe, die ich mir auch selber kaufen würde.“

Wenn Du sie in den Regalen finden würdest.

„Das ist das Problem.“

Wie viele vor ihm versucht auch Frank sich jetzt daran, das Projekt einer deutschen Popmusik wieder aufzunehmen, das Erbe seiner Generation: „Es gibt ja hier nur die Modern-Talking-Welt, dann diesen ganzen hausbackenen Rock zwischen Rio Reiser und Grönemeyer und die Garagenbands, nichts dazwischen. Ich habe mir jetzt diese Rainbirds angehört, das ist eine amerikanische Band, da weist ja nichts darauf hin, daß das in Berlin entstanden sein soll …“ Die neue Abwärts-Platte ist genau das, der Versuch an allen möglichen Ecken und Enden, aus dem, was von der Welle/Core/Experimental-Zeit übrig geblieben ist, eine einigermaßen verbindliche Pop-Sprache zu basteln.

„Man muß sich ja einmal klar machen, daß ein Lied wie ‚Voodoo Chile‘ vor zwanzig Jahren in den Charts Nummer eins war, ein wildes Geschmiere mit unzähligen Pinseln und Farben, das war die Nummer eins. Ich habe neulich ein Interview mit Stock/Aitken/Waterman gesehen. Die sind ja so weit, daß sie einen Hit wirklich planen können, da ist ja der alte Traum endlich wirklich geworden, das sind ja völlig andere Verhältnisse, die sagen auch ganz offen, was so eine Single soll: Die soll sich einer zwei Wochen ununterbrochen reinziehen und dann nie wieder anfassen, dafür ist ihre Musik da, und das können die kontrollieren. So ist heute die Lage.“

Aber es gibt Phänomene wie „Pump Up The Volume“, das ähnlich avantgardistisch wie „Voodoo Chile“ in aller Welt auf Nummer eins stand.

„Ein Einzelfall. Aber ich verdamme das auch nicht total, ich bin ja auch den ganzen technischen Möglichkeiten von heute gegenüber sehr aufgeschlossen.“

Frank spricht viel vom Älterwerden, das ihn befähigt, die Verkrampftheiten und Künstlichkeiten der ganzen NdW-Ära zu durchschauen. Stand vor einem Jahrzehnt unausgesprochen das Wort „Energie“ über der ganzen Arbeit von Abwärts, ist es heute eines wie „Geschmack“.

„Ich erinnere mich, als wir diese Platte für Phonogram aufgenommen haben, Der Westen ist einsam, da hatten wir ja buchstäblich Angst, Musik zu machen. Immer mußte alles hart sein, das war das Wort: hart. Wir steigerten uns in eine sinnlose Aggressivität, die mit uns überhaupt nichts zu tun hatte, ich war ja gar nicht wirklich ununterbrochen hart drauf und die anderen auch nicht. Auch das Publikum. Ging raus, wenn ein langsames Stück kam, dieses Punk-Publikum dominierte ja alles, kennst Du ja auch. Und was habe ich gerade gelesen? Stiff Little Fingers haben in Hamburg die Markthalle ausverkauft, haben nur alte Stücke gespielt.“

So ist das mit Comebacks. Eine Abwärts-Tour, mit Originalmitglied FM Einheit an den Drums (die Platte hat Frank alleine mit Studio-Musikern aufgenommen) ist auch geplant. Wirst Du alte Stücke spielen?

„Ein, zwei vielleicht. Aber nicht so alte, nicht von Amok Koma oder Der Westen ist einsam. Wir haben danach noch für Phonogram so eine EP gemacht, Beirut Holiday Inn, da waren Sachen darauf, die mir auch heute noch gefallen. Ich habe ja nicht mehr dieses Anliegen, diese Wut. Damals mußte der Sänger ja immer irgendwas rausschreien, oder es gab diese Leidensphase, wo der Sänger litt, und die ganze Band mußte mitleiden, heute sind für mich ästhetische Dinge wichtiger.“

Meinst Du denn, man könne der Jugend von heute sagen, daß sie ihre rebellische Phase hinter sich lassen werde …

„Auf jeden Fall. Aber was heißt schon rebellisch? Das was für Rebellion gehalten wird, ist ja meist auch nur ein Ritual, ein symbolischer Vorgang. Die Hafenstraße, das sind drei oder vier Häuser, mit fünfundzwanzig Wohnungen, ohne das werten zu wollen: überspitzt gesagt, gibt es die gar nicht, eben nur als Symbol. Und wenn Du Dir ansiehst, wie unsere Welt funktioniert: Wenn ein Unternehmen einen neuen Manager sucht, der einen hohen Posten bekleiden soll, dann suchen sie sich eben gerade nicht den total Konformen, den Angepaßten, sondern einen, der auch schon mal bockt, so gesehen ist dieses Rebellische in unserer Gesellschaft ja ein erwünschtes Verhalten. Und die Rolle der Musik ist es allenfalls, diese illusionären Gefühle aufzubauschen.“

Aber worum geht es dann?

„Es geht darum zu lernen, mit sich selbst leben zu können, das muß man lernen, das ist ganz banal, aber das ist der entscheidende Punkt, für alle Menschen, daß man mit sich selbst zurechtkommt.“

Und warum muß man darüber anderen Mitteilung machen, warum wird und bleibt man dann Künstler, wenn das Anliegen weg ist?

„Schwierige Frage. Das ist ein gewisser Mitteilungsdrang, der hat auch was mit Minderwertigkeitsgefühlen zu tun und mit Narzißmus. Es ging bei mir immer um einen Punkt, den, wo man unbedingt etwas zerstören will, aber genauso stark etwas schaffen. Da bin ich immer wieder hingekommen, und diese Entscheidungen, die man dann fällt, für das eine oder das andere, das ist das, worum es geht.“

Wir beschließen den Abend mit einem Blind Date, ich spiele Frank ein paar deutsche neue LPs und die drei Lieblings-LPs der Spex-Redaktion des Jahres 1987 vor:

S.Y.P.H.: Stereodrom

„Klingt wie S.Y.P.H. vor zehn Jahren.“

Geisterfahrer: Stein + Bein

„Gute Rock-Band, wirklich sehr gut, aber nicht direkt das, wofür ich mich heute so interessieren würde.“

The Broken Jug: Burning Down The Neighbourhood

„Also einmal klang das wie Stooges oder solche Sachen, bei diesem anderen Stück weiß ich überhaupt nicht, aber gefällt mir auch, ist auch sehr gut produziert.“

Henry Rollins: Hot Animal Machine

„Das wäre vor fünf Jahren genau das Produkt für mich gewesen.“

Age Of Chance: 1000 Years Of Trouble

„Das ist ganz toll, sehr interessant. Wer ist das? Nie gehört. Die Platte muß ich mir sofort besorgen.“

Public Enemy: Yo! Bum Rush The Show

„Das Problem mit Rap und Hip-Hop jeder Art, egal wie gut gemacht, ist für mich immer, daß ich das Gefühl habe, da will ein Neger klingen wie Adolf Hitler, das geht mir immer etwas auf die Nerven.“