Autor: admin

  • Style Council

    Ort und Umstände waren sorgsam ausgesucht worden. Hamburg war für die neue Band des in England Starruhm genießenden Paul Weller eindeutig die geeignetste deutsche Großstadt. Das „Trinity“, eine dem Studio 54 nachgebaute Disco, hatte die geeigneten Voraussetzungen für den lockeren, Revue-artigen Ablauf des einzigen Deutschland-Auftritts des ehemaligen Jam-Leader.

    Pünktlich auf die Minute um 20 Uhr begann der erste Set des Kon-zils, das sich aus diversen, lose assoziierten Musikern und den beiden Stammitgliedern Weller und Mick Talbot (Ex-Dexys Midnight Runners) zusammensetzt. Dem folgte ein Auftritt der von Weller protegierten Sängerin Tracey und ihrer Band The Soul Squad, bevor The Style Council ein zweites Mal auf die Bühne stieg. Gegen halb zehn war alles vorbei.

    Weller und Talbot hatten für ihren Teil einen perfekten Cocktail aus Gegensätzen abgeschmeckt, dessen einziges Manko höchstens die mangelnde Entschlossenheit war, diese Rezeptur dem so zahlreich erschienenen, zum Teil von weither angereisten Publikum nahezubringen.

    Höflich kündete Weller mit wenigen Worten seine raffinierten Soul-Pretiosen an, hatte wohl Dramaturgie im Sinn, wenn er viele leise, auf einzelne Solisten zugeschnittene Nummern zwischen die bekannteren mischte, tat aber insgesamt zuwenig, um den Funken überspringen zu lassen.

    Das Intermezzo von Tracey war denn auch eher etwas schlapp: Es reicht eben mittlerweile nicht mehr, einfach nur eine Vorliebe für Soul zu hegen und die dann auf der Bühne zu präsentieren. Der zweite Style Council-Set, raffiniert organisiert wie der erste, zeigte dann eher, wie man es macht: mit mehr Verve und Spielfreude, vor allem bei dem nach Fun Boy 3-Vorbild vorwiegend weiblichen Begleitmusikern, gelang es doch noch, das Gefühl zu vermitteln, man habe ein Live-Konzert besucht – und nicht lediglich dem Zelebrieren gelungener Komposition beigewohnt.

    Die Zugabe faßte die noch nicht in früherem Maße (Jam) verwirklichten Absichten von Weller in einem Titel zusammen: George Clintons „One Nation Under A Groove“.

  • Die Kneipe als Bahnhof der Schienenzeppeline. Zur Eröffnung des ‚La Paloma‘

    Am 14. Juni 1984 wird der deutsche Maler, Künstler und Aktivist Jörg Immendorff die von ihm erworbene St.Pauli-Kneipe „La Paloma“ in ihrer neuen Funktion als „Kapelle am Wegesrand“ der Öffentlichkeit vorstellen.

    St. Pauli ist aus Hamburg, auch ich bin aus Hamburg. Ich weiß wovon ich rede.

    Die Kneipe „La Paloma“ wird unter Immendorffs Ägide zunächst einmal das bleiben, was sie ohnehin immer war: Eine Kneipe am Hans-Albers-Platz, eine der geradlinigsten, offensichtlichsten Ecken der ganzen Stadt. Die Ecke, an der dem einsamen St. Pauli Bummler von out-of-town mit einem Mal klar wird „Was das alles zu bedeuten hat“. Der Ort, wo das unschlüssige, aber erhitzte Aufund Abschwellen der strömenden, angesogenen und ausgestoßenen Menschengruppen zum Stillstand kommt. Ein jeder, der sich nachts, wenn in der Bundesrepublik nur noch zwei Kinos Filme zeigen (nämlich die „Oase“ und das „Alladin“ in Hamburg-St. Pauli), einen Film im Kino ansehen möchte und vorher einen Parkplatz sucht, kommt an diesem Hans-Albers-Platz vorbei und jubiliert über die stille Klarheit dieser eindeutigsten aller Ecken des Kiez. Das „La Paloma!“ wird eine Kiez-Kneipe bleiben und so hofft der Künstler von der angestammten Klientel be völkert.

    Das Werk von Immendorff hatte immer zu tun mit in Teilung gipfelnder deutscher Geschichte und deren unbenutzten, aber kräftigen, in der kulturellen Landschaft herumstehden Zeichen. Der deutschen Geschichte ist es eigen, analog zu der Geschichte des technischen Fortschritts im Kapitalismus, riesige, gigantomane, viel zu kräftige Fehlentwicklungen hervorzubringen, die eine an Kosten-Nutzen-Rechnung ausgerichtete moderne Industriegesellschaft nicht zu nutzen vermag. Es sind Symbole, Zeichen und Bilder, die sich vergleichen lassen mit V 16-Motoren. Mit dem Schienenzeppelin, der auf der Strecke Hamburg-Berlin verkehren sollte, mit dem AEG-Gleichstrombetriebswagen, der bereits 1903 über 200 Stundenkilometer schnell war, mit der Idee des Individualhubschraubers oder mit dem Überschallverkehrsflugzeug. Symbole, Zeichen und Bilder, die einer übermütigen, nicht länger an akuten, realen Bedürfnissen und Absatzchancen orientierten Zeichenproduktion entschlüpft waren.

    Es gibt diese interessanten und nützlichen Fehlentwicklungen übrigens nur in der deutschen Geschichte, mit ihren charakteristischen fehlerhaften Antworten auf nationale Fragen. Eine dieser Fehlentwicklungen ist das Symbol „Brandenburger Tor“, ein anderes der Stadtteil Hamburgs St. Pauli und die ihn umgebenden Assoziationshöfe.

    Ein ähnliches Verhältnis wie zur nationalen Frage, symbolisiert durch das von schaurigen, kalten Stürmen umwehte, steinerne Monument zwischen den Welten „Brandenburger Tor“, hat das deutsche Volk zur Frage seiner Unterhaltung. Zu Amüsement, Glamour, vulgären Ausschweifungen und deren industrieller Produktion und Distribution. Das hierfür zuständige, ebenfalls seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kaum noch genutzte und seit den mittleren 60-ern, dem eigentlichen Ende der Nazizeit, komplett von der Welt abgeschnittene Brandenburger Tor, ist St. Pauli.

    Dabei ist St. Pauli genauso gefährlich, genauso immer noch scharf, voller prickelnder symbolischer Schwere, aber ohne Bindung zum alltäglichen Austausch der Symbole, den wir in unserer BRD-Kultur so mitansehen müssen.

    Zunächst sah es nach einem Märchen aus. Künstler kommt in fremde Stadt. Populist, der er ist, knüpft er Freundschaft mit dem, was die Stadt an Salz der Erde zu bieten hat. Er schenkt der Kneipe, in der er das Salz gefunden hat, eines seiner Bilder und beginnt damit Kunst, einer Kolonie nicht irdischer Bakterien vergleichbar, einem ihr fremden Milieu auszusetzen. Der Effekt begeistert sowohl ihn, wie auch das Milieu und die Kunst selber, als Motor derartiger Vorgänge, SO sehr, daß er die Kneipe kauft und Künstler, die ihm nahestehen, aus aller Welt dazu ermuntert, Beiträge für die nun zur „Kapelle am Wegesrand“ erklärten Kneipe abzuliefern. Es beteiligen sich vorläufig: Beuys, Baselitz, Büttner, Kirkeby, Kiecol, Koberling, Knoebel, Lüppertz, Oehlen Albert, Oehlen Marcus, Penck, Rainer, Richter, Salle, Walther.

    In der Zukunft soll das „La Paloma“ zugepflastert werden mit Kunst und sich zum internationalen künstlerischen Treffpunkt in der Hansestadt entwickeln, einem, der in Deutschland seinesgleiches sucht.

    Dabei wird ein Verhältnis Kunst St. Pauli Deutschland entstehen, das den spezifisch quasi-religiösen Charakter der Kunstausübung und des Kunstkonsums angemessen berücksichtigt, ohne ihn zu glorifizieren. Vielmehr scheint es zunächst mal darum zu gehen, diesen Charakter erstmals zu definieren, indem die internationale Hochkunst der Gegenwart einer einzigartigen signalhaften Karrikatur von Welt gegenübergestellt wird, die die Kunst zwingt, ihre Weltlichkeit und ihre Nichtweltlichkeit deutlich darzulegen. Ist der Branntwein eines der Sakramente des Bohemien, wie in allen klassischen Fallgeschichten des 19. Jahrhunderts oder ist nach all der Zeit, in der Künstler in bürgerlichen Gesellschaften Narrenfreiheiten genossen, etwas Neues entstanden? Dies nur als Scherzfrage; Denn wir alle kennen ja die Antwort.

    Nur soviel. Will man empirisch das Verhältnis der Besten im Lande – was die Kunst betrifft – zur Welt erforschen, dann empfiehlt sich eine Versuchsanordnung, die mit dem Krassesten arbeitet. (Viele Bilder Immendorffs sind Versuchsanordungen, die mit dem Krassesten arbeiten.) Da wo Welt am weltlichsten ist, auf St. Pauli, da stellen wir eine Kapelle hin, die eine Kneipe ist und somit sozial wie ökonomisch mit dieser weltlichsten aller Welten aufs engste vernetzt, eine Kapelle, wo die Kunst sich nicht mit der selbstbewußten Grandezza aufführt, mit der sie der Bourgeoisie gegenüberzutreten pflegt, sondern bescheiden und zurückhaltend, wie das in der Tradition der Kapelle vorgezeichnet ist, ihre Dienste anbietet, ihr vermeintliches Wirken zur Verfügung stellt.

    So sieht es im Kleinen aus. So sieht es aus, wenn man es von innen, von St. Pauli aus sieht.

    Von oben aber ist es die deutsche Kunst, die sich einmal mehr einer deutschen Zeichenruine bedient, sich in ihr niederläßt und anstiftet, was man noch sehen wird. Das „La Paloma“ bleibt rund um die Uhr geöffnet.

  • A Must To Avoid

    Das „Hamburger Abendblatt“ ist wie das „Entenhausener Amtsblatt“, und genauso wie es Spaß macht, in Entenhau-sen zu leben, macht es einen Menschen froh und zufrieden, im Hamburg des „Abendblattes“ zu leben. Nur wenn ein junger Mann, der zwischen der ganzen Rentenproblematik sowieso nichts zu suchen hat, dummdreist über den Film „Liane“ spottet, der uns gestern abend im Dritten Programm so viel Freude gemacht hat, der so rabiat zwischen superschrill und superscheußlich oszillierte, daß es die meisten nicht in den Sesseln hielt, dann also ärgern wir Entenhausener uns.

    Schlimmer wird es allerdings, wenn „Stern“-Reporter über die Hamburger Nachtwelt ihr Lockerdeutsch ablassen und der alten Locker„szene“ nachtrauern. Geschehen ist dies im Hamburg-Special der Zeitschrift „Geo“, dem man ein „must to avoid“ erteilen müßte, hätten nicht mit Klaus von Dohnanyi, Franz Josef Strauß und Günter Netzer drei der schillernden Prominenten ihren Scherf in Form von Kolumnen beigetragen.

    Einig war man sich in Entenhausen, daß wir das neue Ding gesehen haben. Es waren die Fleshtones in der Markthalle, ein ultra-zappeliger Kraftakt an Mikroständern, Saxophon, Gitarren und antiken Orgeln. Triumphierend wurden die Instrumente in die Höhe gerissen, wenn wieder so ein wildes Sixties-Gewimmer vorbei war. Nach drei Zugaben verließ die Band die Bühne, durch die Halle zur Theke im Vorraum drängend, Gitarren im Arm, Trommeln beklopfend und Mundharmonikas blasend.

    Einig waren wir uns auch, nicht zu Nina Hagen zu gehen. Ich bin nämlich hingegangen und habe nachgesehen, und es waren keine Entenhausener da. Die biederen Leutchen waren aus Quakenbrück oder Gänseburg angereist und bekamen ihre Provinzler-Vollbedienung. Nach einer kurzen Inspektion konnte ich mich glücklich aus dem überfüllten Raum retten, noch über den letzten Eindruck aus dem Saal sinnierend: Ein junger Mann, lange Haare, bunter Schal, der sich aus hilfloser Solidarität mit dem Prinzip des „Ausflippens“ die Augen schwarz geschminkt hatte, sang mit seligem Gesichtsausdruck Ninas kosmischen Quatsch mit. Ein Oberschülerpärchen knuffte sich unausgesetzt und raunte sich die Worte „stark“ und „geil“ zu.

    Alan Vega hatte eine ganz reizende Orgelspielerin dabei. „Sie ist zum Ausgehen noch zu jung“, sagte er später im „Subito“. Er trat wie die Fleshtones öfters vor die Bühne und herzte seine Fans, der nette Mensch. Er hatte auch wieder den dicken Gitarristen vom letzten Jahr dabei, und vor allem „Je t’adore“ brachte er ganz hinreißend.

    Was sonst noch lief, war nicht viel, meine Brüder und Schwestern. Laughing Clowns haben sich weiter verbessert und klingen jetzt wie eine Mischung aus den Buzzcocks und  Charlie Mingus. Ihre Saxophonistin spielt wie Charles McPherson und sieht aus wie eine Schlampe im guten Sinne. Ed Küppers ist ein großer Mann geblieben.

    Liquid Liquid sind ins Hampton-Grease-Band-Mäßige abgedriftet und haben sich am Abend vor ihrem Auftritt viele Freunde in der Stadt gemacht. 25 neue Freunde standen am nächsten Abend auf der Gästeliste. The Gist waren Scheiße.

    Im Rap-Geschäft schlieflich kam alles anders, als ich vorausgesagt hatte: Whodini zeigten die abendfüllende, rundum zufriedenstellende Trash- und Triviashow mit Kostümen und Publikumsbeteiligung. Kurtis Blow hingegen rappte zu den Platten seiner Kollegen und nannte es die Geschichte des Rap, von ihm selber nur risikolose Routine.

  • Kir-Festival

    Ach, was früher nicht alles in der Welt möglich war! Fast einmal im Monat veranstaltete Alfred Hilsberg in der großen Markthalle ein Festival, damals noch unter dem Namen Zick-Zack. Alle nahmen ernst, was Amateure, Obskuranten und fröhlicher Nachwuchs zu bieten hatten. Deutsche Geheimtips wurden gehandelt, und mir fallen mit Palais Schaumburg, Abwärts, Xmal Deutschland und Einstürzende Neubauten gleich vier Bands ein, die aus diesen Festivals einen Sprung hierhin oder dorthin schafften (meistens über den Ärmelkanal).

    Doch Hilsberg gibt auch heute nicht auf. Trotz defizitärer Wirtschaftslage, trotz allgemeinen künstlerischen Verfalls schart er seine Getreuen um sich und richtet wieder mal ein Festival aus, diesmal im „Kir“, dem zur Zeit experimentierfreudigsten Lokal der Hansestadt.

    Am ersten Tag spielen die Zimmermänner, die ich ganz famos finde. Aber man darf mir in dieser Sache kein Wort glauben, könnte ich dies doch aus reinem Nepotismus gesagt haben; ein jüngerer Bruder des Verfassers spielt hier Gitarre. Wer das Programm der Band bei der „Kir“-Eröffnung gesehen hat, wird eh Bescheid wissen. Und mehr als die damals fast 500 Besucher sind auch für das Festival nicht zu erwarten. Erwartet wird dagegen ein komplett neues Programm. Einigen Zimmermännern wachsen neuerdings Koteletten. Das hat, habe ich mir sagen lassen, mit der Verehrung für US-Garagenrock der späten Sechziger zu tun. Sei’s drum.

    Saal 5, den gleichen nördlichen Suburbs entstammend wie die Zimmermänner, haben lange geschwiegen. Ältere Singles erwiesen das Duo als begabte Mainstream-Pop-Band. Zuletzt erschien ein recht gelungenes Nümmerchen (mit einem unsäglichen Text) auf dem letzten Zick-Zack-Sampler. Keiner kann wissen, was Jens Kraft (Gitarre, Gesang) und Godeke Ilse (Keyboards) mit ihren Begleitmusikern Hansi Blei und Tommi Piel (Ex-Große-Freiheit) neu einstudiert haben. Sieg, Unentschieden oder Niederlage, nach Ermessen des Toto-Freundes ist hier alles möglich.

    Zehn Tage später, am zweiten Festival-Tag, kommt das zu seinem unverbrüchlichen Recht, was man früher Avantgarde genannt hätte: Die Band Kosmonautentraum wird der Mehrheit wohl spröde scheinen. Außer bei Kritikern sind sie eigentlich nie sonderlich beliebt gewesen. Trotzdem waren sie live manchmal so gut, daß sie auch Unwillige in ihre versponnene Welt entführten und begeisterten. Die klapprige Musik untermalt die dichterischen Ambitionen des Nichtsängers Ziggy XY. Manchmal gefällt sie mir sehr gut, manchmal bekomme ich vegetative Dystonie von den ganz und gar uneinheitlichen Klängen. Ob das kulturell wertvoll ist und auf den richtigen Weg führt, vermag ich nicht zu entscheiden. Kosmonautentraum tritt in neuer Besetzung auf, u.a. mit Andy Giorbino.

    Anschließend tritt Andy Giorbino mit seiner neuen und ersten Gruppe Heimatforscher auf. Bisher unterstützte er bei Live-Auftritten mal Ballettperformances, mal zitierte er als Ivanhoe klassische Instrumentalpopmusik. Seine letzte LP „Anmut und Würde“ wurde viel gelobt und ist klein und hübsch: Japanische Miniaturen, Glas, Porzellan und Tusche und deren musikalische Entsprechungen. Gute Hippie-Musik, wenn man mich fragt.