Autor: admin

  • Zick Zack Nr. Soundsoviel, 31.1.1981

    Ihr ärgert euch, daß wir so viel über ZickZack-Feste berichten. Der Grund ist einfach: es fanden in letzter Zeit einfach keine Monogam-, Rondo-, Ata Tak-, Marat-, Iron Curtain- oder NoFun-Festivals statt, daher also nochmal ZickZack-Fest in Hamburg, das bisher beste von allen.

    Korpus Kristi aus Limburg, Quintett in punkigem Outfit, mit überdimensionalem Kreuz auf der Bühne. Die Leute konnten spielen, taten aber so, als würden sie’s nicht können. Noisy Improvisationen über einen rockigen Background. Nicht schlecht, aber ohne Höhepunkte. Nylon Euter dagegen fand ich richtig schlimm: Eine richtig professionelle Nostalgie-Show, mit Cover-Versionen, Kostümen und einem foolesken Bühnen-Konzept. Pop für Alternative der vorigen Generation. Aber sie mußten eine Zugabe geben. Die übrigens für Hamburger Verhältnisse sehr ruhige Masse gab dem Kritiker Unrecht.

    X-mal Deutschland aus Hamburg, Mädchen-Quintett, machen Hoffnung. Gegenüber ihrem Debüt beim Sylvester-Fest wesentlich verbessert, zumindest in der Bühnenpräsenz. Die Musik ist harte, moderne Kantigkeit, ohne Unentschlossenheiten und mit tollen Frisuren, sehr direkt vermittelt. Manchmal hört man Siouxsie-Einflüsse, aber das Ganze ist schon sehr eigenständig (hiermit seid ihr, X-mal Deutschland, in die heiligen Hallen der SOUNDS-Redaktion eingeladen, Steindamm 63, U-Bahn Lohmühlenstraße), die Texte waren allerdings etwas peinlich. Ich bin nie zufrieden; doch: bei Palais Schaumburg, trotz technischer Ausfälle und zum Trio geschrumpft total überzeugend. Sie sind und bleiben Hamburgs Numero Uno-Tanzorchester und wissen immer besser aufzutreten und sich zu vermitteln.

    Auch Wirtschaftswunder konnten sich erneut als Live-Band auszeichnen: Gleich zwei starke Frontleute: Sänger Angelo, der mit seinem Italo-Schmalz selbst einen Kevin Rowland fade wirken läßt und Tom Dokoupil, diesmal nicht nur wie bei Radierer an Keyboards, sondern als archaisch-bulliger Gitarrero. Die Songs kamen durchweg besser als auf Platte. Ein gelungener Abend ging zu Ende.

    Busch Tetras machen das Rennen

    Welche der diversen Contortions-Reste kriegen wir Deutsche als erste zu sehen, war lange die Frage. Die Raybeats, Defunct, die Bush Tetras oder gar die Contortions selber?

    Es sind die All-Girl-Band Bush Tetras, wie der kluge Leser schon der Überschrift entnommen haben dürfte. Die Band mit einer enormen Reputation bei New York-Touristen und angeblich auch unter Einheimischen sowie einer nicht ganz so tollen Single kommt gemeinsam mit den Bongoes (auch irgend so’ne Hip-Pop-Band) aller Wahrscheinlichkeit nach noch im März in die BRD, nachdem sie vorher in einer größeren Package-Tour England bereist haben.

    Ein neues Ereignis also für Afro-Chic-Anhänger, Sex-People und Funkateers.

    Super 8 hilft der Super 8 an die Macht

    padeluuns ominöses Ein-Mann-Unternehmen „Organisationskreis Neuer Medien“ organisiert zur Stunde eine Round Up-Tournee mit Super-8-Filmen aus dem Berliner Untergrund. An jeweils drei Tagen soll in 26 Städten vor allem der BRD aber auch in Graz, Wien und Zürich ein jeweils circa zweistündiges Programm laufen, das einen zusammenhängenden, unzensierten Überblick über die Arbeit mit einem Medium in einer Stadt liefert. Ein weiteres Beispiel für den unbändigen Drang der Super Achtler nach Präsenz und Resonanz. Eine neue anyone-can-do-it, wenn-er-nur-eine-Idee-hat-Subkultur strebt ans Licht einer größeren Öffentlichkeit, nach größeren Kommunikationsebenen.

    Zu Recht, meint SOUNDS und trägt solidarisch die Plakatkosten.

    Unter den Teilnehmern findet man die verschiedensten bekannten und unbekannten Namen: Rosa von Praunheim mit seinem Oldie „Rosa Arbeiter auf goldener Straße“, Tabea Blumenschein, natürlich; Kippenberger (den man in „in“-Kreisen wieder gut findet, weil keiner ihn gut findet), padeluun selber, Blixa Bargeld und Andy Unruh von Einstürzende Neubauten, Maler und geiles Tier Salomé und 15 andere, die zu eine Gesamtlänge von 7 Std. Material beitragen. Darunter gibt es so platz- und zeitsparende Beiträge wie „Kein Film von Bernhard Ben Salem“, aber auch 65-Minuten-Werke, wie den von Doering, Yana Yo und Sascha von Oertzen. Die Tour mit dem Titel „Alle Macht der Super 8“ läuft von März bis Juni, unten die Termine für März.

    1.-3. Heidelberg; 11.-13. Wuppertal, Alte Mensa; 15.-17. Wuppertal, Nordstadt-Kollektiv; 18.-20. Stuttgart, Künstlerhaus e.V.; 23.-25. Köln, Kurfürstenhof; 26.-28. München, Loft; 29.-31. Hamburg, Künstlerhaus e. V.

    Die Termine für April, Mai und Juni bringen wir in den entsprechenden Monaten in unserer Tournee-Rubrik.

    Peter Bursch – Soloprojekt

    Peter Bursch, landein-landaus bekannt durch seine Gitarren(lehr)-bücher, geht z. Zt. mit der Kassette seiner ersten Solo-LP hausieren. (Bisher gab’s außer ein paar Stücken auf Gitarren-Samplern Peter Burschs Musik nur zusammen mit seiner Gruppe Bröselmaschine in Vinyl). Leicht hat er’s damit natürlich nicht, denn z. Zt. der „Krise“ wollen sich die meisten Plattenkonzerne nur auf eindeutige Trends einlassen. Und in so einen paßt Peters Musik nun mal gar nicht. Natürlich sehr gitarrenorientiert holt er sich seine Inspirationen aus Renaissancetänzen ebenso wie von Lennon/McCartney oder Jim Croce und reichert dies Material nicht nur mit akurater Technik, sondern mit weitspannenden Arrangements- und Soundeinfällen an. Daraus entsteht dann eine Musik aus solidem Guß, die den Stempel eines erfahrenen und mit allen Wassern gewaschenen Vollblut- und Allroundmusikers trägt (bis auf einige Soli spielte Peter alle Instrumente selbst), die sich ähnlich der Arbeit von John Martyn, von John Fahey oder von Davy Graham nur schwer in die modischen Schublädchen industrieller Verwertbarkeit pressen lassen.

    Sorgen macht sich Peter Bursch dennoch wenig, denn unter die Leute bringt er die Platte notfalls auch über unabhängigen und/oder Eigenvertrieb. Vorerst kann man Peter Bursch auch auf Tourneen hören, wo er durch sein speziell angefertigtes Sound-System auch die kniffeligsten Studio-Effekte reproduzieren kann.

    Endspiel

    Der Zeitschrift „Filmkritik“ und Samuel Becket haben wir zu gleichen Teilen folgende Vision geklaut, die wir unter Umständen, wie das so unsere Art ist, zur Rubrik werden lassen und deren monatliche Wiederholung wir hiermit androhen: Die Weltelf spielt gegen eine BRD-Auswahl:

    Weltelf

    Tor:

    Robert Wyatt

    Libero:

    John Cale

    Verteidiger:

    Kim Fowley, Mac Rebenack, David Byrne (Vorstopper)

    Mittelfeldregisseure:

    Marc Bolan, David Bowie

    Angriff:

    Don Van Vliet, Marc Stewart (Pop Group), Jimi Hendrix, Andy Partridge

    Auf der Reservebank:

    Genesis P.Orridge (Tor), Noddy Holder (Slade, Ausputzer), James „Blood“ Ulmer (Mittelfeld), James White, Frank Zappa (Sturm)

    Deutschland (West)

    Tor:

    Thomas Schwebel

    Libero:

    Frieder Butzmann

    Verteidigung:

    Michael Ruff, Gudrun Gut, Robert Görl (Vorstopper)

    Mittelfeld:

    Marcus Oehlen, Detlef Diederichsen

    Angriff:

    Harry Rag, Ziggy XY, Bettina Köster, Peter Hein

    Auf der Reservebank:

    Holger Hiller (Tor), Hans Keller (Sturm), Tom Dokoupil, Xao Seffcheque (Verteidigung).

    Nach anfänglichen Vorteilen für die Weltelf kommt die deutsche Mannschaft zusehends besser ins Spiel. Jimi Hendrix bekommt die gelbe Karte nach einem bösen Foul an Peter Hein. In der 34. Minute fiel dann jedoch so überraschend wie unverdient das 1:0 für die Weltauswahl durch den frisch für Andy Partridge eingewechselten Flügelflitzer und Flankengott James White. Als er drei Minuten später auch noch von Robert Görl im Strafraum gelegt wurde, hatte die Weltelf durch Elfmeter die Chance zum 2:0, doch Schwebel ahnte die Ecke.

    In der zweiten Hälfte wurde Hans Keller für den wenig mannschaftsdienlichen und ballverliebten Ziggy XY eingewechselt. Robert Wyatt hielt einige plazierte Schüsse aus der zweiten Reihe, die Marcus Oehlen abgefeuert hatte. Butzmann und Gut gelang es immer besser, den wieselflinken White zu neutralisieren und in der 64. Minute fiel der hochverdiente Ausgleich: einen Abspielfehler Marc Bolans ausnutzend hatte sich Harry Rag den Ball an der Mittellinie geschnappt und paßte präzise auf die in die Gasse gestartete Rechtsaußen Köster. Der mitgelaufene Offensiv-Verteidiger Ruff vollendete. Zu diesem Zeitpunkt wechselte die Weltelf Noddy Holder gegen Mac Rebenack ein. Holder hatte mit versteckten Revanchefouls und offener Brutalität die dramatischen Schlußminuten zu einer entfesselten Schlacht aufgeheizt. Erlösend, daß die Deutschen in der Schlußminute durch eine Bogenlampe von Detlef Diederichsen, die Robert Wyatt nicht richtig ausrechnen konnte, zum Siegtreffer kam.

    Sounds Ätzliste

    Evelyn Holst („Stern“)

    Für die größte Fehlerquote im Bereich des Rockjournalismus und andere Irrungen und Wirrungen

    Alle

    J.J.Cale

    Für den dünnsten und den dümmsten Rockmusiker

    D.D.

    Protest!

    M.O.R.K.

    Harry Rag

    Für Megalomanie, Selbstüberschätzung und dergl.

    M.O.R.K., Hans Keller

    Protest!

    D.D.

    Peter Green

    Für den zweitdümmsten Rockmusiker

    D.D.

    Berlin

    Für die fortgesetzte Produktion ätzenden Ficki-Ficki-Macho-Rock’n’Rolls bei gleichzeitiger Verfolgung und Ermordung der einstmals blühenden Avantgarde

    Alle

    Xao Seffcheque und Alfred Hilsberg

    (zu gleichen Teilen). Für die verspätetsten Manuskripte des Monats

    Red.

    Diedrich Diederichsen

    Für besserwisserische Filmkritiken

    M.O.R.K.

    Michael 0. R. Kröher

    Für einen völlig verirrten Geschmack

    DD.

    Flaming Bess

    Für ihre himmelschreiende Penetranz, sich per Cover, Text und Musik in der Spitzengruppe unzeitgemäßer, deutscher Rock-Kitsch-Bands zu halten.

    T.B.

  • Throbbing Gristle – Der erste und nicht endgültige Bericht

    Die Rastas sagen, daß der, der kein „Ital Food“ (= ihren Auffassungen entsprechend gesunde Nahrung) esse, vom Reggae-Baß den Magen umgedreht bekäme. Passiert ist das bisher in keinem bekannten Fall. Anders bei Throbbing Gristle – Peter Christophersons Geräusche haben tatsächlich schon manche Leute zum Kotzen gebracht.

    Drei Konzerte gaben TG diesen November in der BRD, ihre ersten Auftritte außerhalb des britischen Königreiches, und schon beim dritten Gig – in Frankfurt – kam es zum Eklat, wurde Bier (nach anderen Berichten Rotwein) über Teile der Anlage gegossen und nur weil die Instrumente so sorgfältig gesteckt waren, waren keine Toten in der Band zu beklagen. Nach zwei ganz normalen Konzerten in Berlin gerieten TG in Frankfurt unfreiwillig wieder in die Zone, die ihr Image, ihren Nimbus ausmacht: Gewalt, Verwirrung, Brutalität.

    Vor den beiden Berliner Gigs wurde jeweils der Throbbing-Gristle-Film „After Cease To Exist“ aufgeführt, eine Kastration vor der Kamera, oder besser: wie man einen Schwanz seziert (auch hier regelmäßig Übelkeit, Ohnmachtsanfälle). Der Soundtrack zu diesem Film bildet die zweite Seite der ersten LP von TG. THE SECOND ANNUAL REPORT von 1977, die A-Seite enthält verschiedene Live-Aufnahmen, vorwiegend des Titels „Slug Bait“: I get your husband to your front bedroom / I cut his balls off with my knife / I make him eat them right there / In front of his pregnant wife / … / I look at your big heavy stomach / It’s already moving a bit with your baby / I use the carving knife from your kitchen / I start to perform the operation / … / I pull out your baby / I chew his hand off with my teeth / I lick him clean / It’s obscene / As you bleed to death I kill it / I’m just a wicked boy“ – Dieser Härte entsprechend waren die frühen Auftritte TGs aggressive Negation des geläufigen Konzert-Ablaufs, extreme Versuche den Zuschauer in Verwirrung zu versetzen, um ihn dann in diesem Zustand hart zu treffen. Da gab es einen Auftritt, bei dem sich die Gruppe hinter Wänden verbarg und eine Video-Installation ihr Bild nach außen übertrug. Es kam oft zu Schlägereien, Skandalen und überall gab es wütende aufgebrachte Zuschauer, jeder war auf seine Art provoziert. Das war der Krach der frühen Jahre.

    Throbbing Gristle entstand 1975. Mitglieder waren und sind Genesis P. Orridge, Texter, Verfasser von Manifesten, Künstler von internationaler Reputation in diversen Metiers, und Sänger; Chris Carter – Synthies, Rhythmusgeräte, Organisator des Band-eigenen Labels Industrial Records: Cosey Fanni Tutti – Gitarre, Synthies, schöne Frau, nebenberuflich Striptease-Tänzerin und Ex-Porno-Darstellerin und Pete Christopherson – Operator diverser selbst konstruierter elektronischer Maschinen.

    Man lebte am Anfang gemeinsam in einem Fabrikgebäude („Death Factory“) bei London und arbeitet(e) gemeinsam an Musik. Alleine und gemeinsam an Filmen, Aktionen, Texten etc. Am bekanntesten wurden dabei die Projekte von Genesis, dem Mann des Wortes in der Gruppe. Seine Burroughs-Verehrung etwa, mit dem er schließlich zusammentraf, sich austauschte und momentan eine LP aufnimmt.

    Doch die Musik bekam mehr und mehr Wichtigkeit. Throbbing Gristle lernte die Lektion, die schon viele Künstler lernten, daß Musik in unserer Zeit das Medium ist, das Avantgarde-Gedanken immer noch am weitesten trägt. Obwohl TG bis heute, also in fünf Jahren nur 37 mal live aufgetreten sind, spürt man auf ihrer zweiten LP, THE THIRD AND FINAL REPORT, wie intensiv sich TG zwischen 77 und 78 ihrer Musik ausgesetzt haben. SECOND ANNUAL REPORT führt radikalen, aber verhangenen, konturenarmen Synthie-Lärm vor, der den Zuhörer zwar plötzlich und unmittelbar körperlich treffen kann, um sich dann aber wieder endlos durch die Rillen zu nudeln. THIRD AND FINAL REPORT dagegen führt kürzere organisierte musikalische Einheiten vor, erfüllt den Gebrauchswert einer Schallplatte, ohne an Radikalität einzubüßen. Im Gegenteil: mehr Schärfe, mehr Dichte, mehr Konzentration.

    Throbbing Gristle verarbeiten hier viel konkretes Material (Briefe, eingesandte Kassetten – wie etwa den Brief eines amerikanischen Krankenpflegers über dessen Horrorerlebnis mit einer von der Taille aufwärts völlig verbrannten, aber lebendigen Frau, die er die Hamburger Lady nennt – TG haben seinen Brief vertont und auf dem Cover abgedruckt). Ebenso werden Statements zu den einzelnen Musikstücken (Entstehungsgeschichte, Umfeld) veröffentlicht, die TG kommunizierbarer, offener und einsehbarer werden lassen. Bis heute ist die Korrespondenz, das Feedback ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Alle Konzerte werden mitgeschnitten und die Kassetten den ca. 2000 TG bekannten Briefautoren zugänglich gemacht, einzelne Fans machen Konzerttouren mit oder mixen mal einen Gig. Während mir Genesis das in Berlin zwischen den beiden Gigs erzählt, sitzt ein solcher TG-Supporter mit im Zimmer, ein junger Engländer, den man nach seinem äußeren Erscheinungsbild eher für einen Cure- oder gar Police-Fan halten würde.

    Ihre vierte LP, HEATHEN EARTH – CAN THE WORLD BE AS SAD AS IT SEEMS?, wurde vor geladenen Fans in der „Death Factory“ mitgeschnitten. Zwischen den aggressiven und provokativen Begegnungen mit dem größeren Rock-Publikum (Platte, Konzert) steht bei TG also immer die Kommunikation im Kleinen, der kontinuierliche Austausch. Dies schuf für TG eine Basis, die es ihnen möglich machte, auch nach der frühen Schockphase effizient weiterzuarbeiten. „Wir machen solche Auftritte nicht mehr. Wir haben das gemacht, wir wissen wie es ist, wir haben unsere Erfahrungen gemacht.“ Das Thematisieren gröbster und härtester Exzesse von Gewalt, das TG z.B. im NME eine totale Ablehnungsfront einbrachte (auch wenn erzählt wird, das hätte persönliche Ursachen), ist heute abstrakteren Themen gewichen. Texte wie „Slug Bait“ und „Urge To Kill“ oder der Auschwitz-Song „Zyklon B Zombie“ sind auf der dritten TG-LP mit dem „ironisch/mehrdeutigen“ (TG) Titel 20 JAZZ FUNK GREATS nicht mehr zu finden. Ebenso verzichtet diese Platte auf Geräuschkollagen, man findet fast überall einen, wenn auch oft minimalen, tonalen musikalischen Aufbau und ein, zwei kleine Synthie-Instrumentals, die einfach nur hübsch sind.

    Ein anderes musikalisches Talent TGs begann sich zu entfalten. Cosey: „Es gab eine Phase in der wir oft geübt haben, wir spielten so oft zusammen, daß uns die Musik zu schleimig wurde. Heute spielen wir nur noch bei Konzerten, für Plattenaufnahmen und wenn wir neue Instrumente ausprobieren.“

    Bei dem TG Konzert in Berlin lernte ich, daß den Texten, der Präsentation in vergangenen Zeiten und anderem außermusikalischen Beiwerk im Falle TG zuviel Gewicht beigemessen wurde, Man kann über „Slug Bait“ denken was man will: „Realismus“ oder „Abscheulich“ , mir gefällt die Attitüde des Unbedingten, des so-hart-wie-es-geht, aber all das bedeutet nichts, wenn man nicht die Musik erlebt hat, am besten live erlebt, It don’t mean a thing if it ain’t got that Swing!

    Im SO 36, jenem herben, länglichen Kerker, ist es halb voll und nur halb dunkel. Ich komme zu spät. Auf der Bühne drei Männer in Kampfanzügen, eine Frau in Leder: Cosey sitzt mehr oder weniger unbeweglich im hinteren Bühnenteil und bearbeitet dem Publikum abgewandt ihre Gitarre, ein introvertiertes Lächeln umspielt Pete Christophersons Lippen, während er auf größtenteils selbst konstruierten elektronischen Gerätschaften die Klänge fabriziert, die das spezifische Fluidum der meisten TG-Platten ausmachen: von den schlaftrunkenen Erörterungen („United“ „Persuasion“) über die Attacken (Zyklon B Zombie“, „Urge To Kill“) bis hin zu den Fast-Liedchen und dem neuen Hit: „Something Came Over Me“. Chris Carter steht langhaarig und rätselhaft am Ende des Horizonts und fabriziert Rhythmen, die Blicke konzentrieren sich auf Genesis, den Sänger und Chef-Ideologen mit der weiblichen Physiognomie. Er singt live genauso schnarrend, einfräsend auch ohne elektronische Stimmverfremdungen. Seine Bewegungen sind, egal ob gerade heftig oder zurückhaltend-diszipliniert, immer absolut suggestiv und prazise. Daß er bei einem Song wie „Something Came Over Me“ Wichsbewegungen macht, mag gelesen zu platt und banal wirken. Gesehen ist es absolut richtig. Bei „Discipline“ verfällt er nicht in modische Devo-Robotwerk Zackigkeit. Seine körperliche Verarbeitung von Musik ist nie pantomimisch, fool-esk. Die Leute, die von „Performance“ reden, irren: es war ein Konzert. Dem Zuspätkommenden erschien es, nachdem er sich nach vorne gewühlt hatte, beim Betrachten der Gesichter im Publikum so, als wäre er mitten in die TG-Welt versetzt: lauter kleine wahnsinnige Mörder, lauter Ed Kempers mit einem Drang zum Töten. Natürlich waren es in Wirklichkeit lauter nette aufgeschlossene junge Leute, aber das Konzert war eben gut, führte suggestiv vor, warum TG die doch etwas platte Frage: „Kann die Welt so schlimm sein, wie es scheint?“ zum Programm einer LP erheben.

    Genesis: „Musikalisch sind unsere Konzerte überhaupt nicht geplant oder eingeübt, wir verarbeiten einfach die Eindrücke des Tages, der Räumlichkeit, der Stadt“ – Aber es gab doch Momente unglaublich stimmiger, aber sehr komplexer musikalischer Inszenierung – „Kann sein, daß du es so hörst, natürlich gibt es Stellen, die vage festgelegt sind, aber gestern sagte Cosey zum Beispiel zu mir ‚Ich möchte, daß du „Discipline“ so und so singst‘, und ich tat es, so entstehen unsere Auftritte“… „Und deshalb haben wir auch Angst vor einem zweiten Konzert, wir haben den Leuten im SO alles gegeben, was wir ihnen geben konnten, wir haben zu dieser Stadt gesagt, was wir dazu zu sagen hatten“, erläutert Cosey. Tatsächlich war dann auch das zweite Konzert ein energieloser Abklatsch vom ersten Konzert, erwähnenswert war höchstens der Auftritt von Non alias Boyd Rice vor fünfzig Übriggebliebenen nach dem Konzert.

    Der Gesamtkomplex Throbbing Gristle vermittelt eine Vielzahl zum Teil widersprüchlicher Anregungen und das intensiv. Z.B. der ständig präsente Widerspruch zwischen der Ausgeglichenheit, den fast sanften Charakteren und den Greueln, die sie vorführen. Oder auch zwischen Genesis großem Output an Formulierungen, Erklärungen und Manifesten einerseits und der Weigerung Erwartungen, Gedanken etc. zur Musik zu präzisieren, sich festzulegen.

    Der totale Krieg wurde zum Informationskrieg und wir sind mittendrin“ heißt ein Essay von Genesis P. Orridge, den man auf deutsch „Amok Koma“ (siehe Buchbesprechungen im letzten Heft) nachlesen kann. Darin heißt es unter anderem:

    Ich bin (…) der Ansicht, daß seit den frühesten Stammeszeiten, durch Ansiedlung und Städte und Industrialisierung hindurch bis zum heutigen Tag, ein beständiger, endloser Prozeß ablief. Diesen bezeichne ich als Kontrollprozeß, und er existiert unabhängig von irgendwelchen Individuen. Dieser Kontrollprozeß kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt von fast jeder Interessengruppe für ihre überkommenen Interessen eingesetzt werden (…) Seine entscheidende Stärke liegt darin, daß er die Information unter Kontrolle hat. (…) Der Feind ist also der Kontrollprozeß, und dessen Macht gründet sich letztlich kaum auf Militär und Polizei, ist keine Sache brachialer Gewalt (…) die wirkliche Macht hat der, der die Information hat. (…) Die Schwäche derer, die an den Kontrollhebeln sitzen, liegt darin, daß sie eine sehr einseitige Perspektive haben, während wir die Outsider, die genetischen Terroristen oder Kontrollagenten, wie wir bei TG dazu sagen (was nicht heißt, daß wir Kontrolle ausüben, sondern, daß wir uns mit ihr auseinandersetzen), die Fähigkeiten des Mutanten haben, Bewußtseinssprünge zu machen. Genau das sagt man ja kreativen Menschen nach, oder Künstlern oder talentierten Kriminellen: daß sie die Dinge in größeren Zusammenhängen erkennen, Strukturen von außen analysieren (…) In inspirierten Momenten fliegt der Sand in so manches Getriebe…

    Auf dieses Manifest und seinen Zusammenhang mit der konkreten TG-Arbeit angesprochen, will Genesis sich zunächst nicht festlegen: „Das zu beschreiben, das würde zu weit führen. Was zwischen uns und dem Publikum geschieht… ist, nun ja, sehr komplex“

    Aber könntest du die Vorstellung von Subversiven und Rebellion aus deinem Aufsatz erläutern?

    „Wir brauchen keine Rebellion, wie sich etwa viele Punks das vorstellen, durch Konfrontation mit der Staatsmacht etwa. Das ist sekundär. Was ich mir vorstelle ist eine alien culture, eine fremdartige Gesellschaft mitten in Gesellschaft, die langsam von innen kommt. Sieh dir die Leute an, die zu unseren Konzerten kommen: Sie sehen unauffällig aus und wohnen in Suburb-Appartements. Aber sie denken und leben in einer Weise, die sich die Herrschenden nicht erklären können…“

    Auf dem von Throbbing Gristle geleiteten Label „Industrial Records“ erschienen neben vier Throbbing Gristle LPs und drei Singles diverse sehr unterschiedliche Singles: zwei von Monte Cazzaza, einem mit TG befreundeten, ebenfalls sehr radikal arbeitenden kalifornischen Performance-Künstler. An diesen Platten sind TG-Mitglieder beteiligt und die Geistesverwandschaft von Cazzaza’s Arbeit mit TG ist eh evident. Das Gleiche gilt für Surgical Penis Klinik, eine australische Gruppe, bei der ja schon der Gruppenname an „Cease To Exist“ erinnert. Aufgescheucht reagierte jedoch mancher auf Dorothy’s „I Confess“ und Elisabeth Welch’s „Stormy Weather“. Das erstere ist naiv-gerissener Pop, an der B-Seite hat sogar Genesis mitgewirkt, das zweite charmanter, verträumter Salonjazz. Beides ist sehr geschmackvoll und überzeugend, aber für den ernsten Hardcore-TG-Fan unerträglich. Von dieser Seite hörte man ja auch gegen „Something Came Over Me“ und die anderen neuen TG-Single-Beiträge empörte „Das-ist-ja-kommerziell“-Verwünschungen.

    Genesis: „Wir werden noch mehr solche Dinge machen. Wir sprechen von „Exotic Music“. Im Moment hören wir viel von Martin Danny. Das war auch die Musik, die gestern nach dem Konzert vom Band gekommen ist (ein höchst eindrucksvolles, melodisch-seltsam organisiertes und verfremdetes Bar-Piano-Geklimper – der Verf.). Er ist ein Amerikaner, der auf Hawail lebt und mich zur Zeit stark beeinflußt.“

    Genesis P. Orridge ist der leiseste Interviewpartner, den ich je hatte. Auf dem Band ist er kaum zu verstehen, obwohl er sich sehr deutlich artikuliert. Alle, die mit TG in Deutschland zu tun hatten (ich incl.) berichten übereinstimmend, wie nett und menschlich sich TG verhalten, ganz im Widerspruch zu ihrem Image. Die Zöllner an der Grenze Westberlin/DDR haben sie erkannt und gleich gesagt: „Ah, Throbbing Gristle, ihr spielt doch heute abend im SO 36, wir hatten euch schon erwartet.“

    Nach den Konzerten inspizierte die Gruppe die Berliner Strip-Tease Lokale. In einem Porno-Shop entdeckte Cosey einen alten Film in dem sie mitgewirkt hatte. Dies war der erste nicht endgültige Report über Throbbing Gristle in SOUNDS. Weiterführendes Material gibt es genug (etwa im Jahrbuch „The 80s“ von Jürgen Kramer oder in „Amok/Koma“), die Platten hat jeder gute Import-Händler, wenn nicht, übt Druck aus! Als Einstieg eignet sich am besten THE THIRD AND FINAL REPORT. In inspirierten Momenten fliegt der Sand in so manches Getriebe.

  • Captain Beefheart – So nah wie ein Kaninchen einem Papagei kommt

    Captain Beefhearts drittes Album hieß TROUT MASK REPLICA. Für ernstzunehmende Leute ist es die wichtigste Platte der Epoche (= Jahrhunderts, der Nachkriegszeit, des Rock’n’Roll, seit Schönberg, seit Bernd Alois Zimmermann oder was immer man sonst unter „Epoche“ verstehen will).

    Um TROUT MASK herum rankt und wuchert eine Disco- und Biographie, eine Mythologie, eine Weltanschauung, die seit fünfzehn Jahren immer mit der Rockgeschichte kreuzt, von ihr wegführt, elliptische Bahnen um sie zieht und nie an Reiz verliert, für die, die sich mit der Interpretation dieser Geschichte beschäftigen.

    Dementsprechend viel ist bereits über die berühmte erste Phase der Magic Band geschrieben worden. SAFE AS MILK, das erste Album, bewegt sich zwar formal in konventionellen R&B, Soul und Blues-Strukturen, deutet aber schon die eigentümliche Melodik des Captain an und führt natürlich seine jedwede Musikologie sprengende Stimme vor. Wie er mal die Frequenzen seiner Stimmbandschwingungen auf enges, gepresstes Quäken zusammenzwängt, so daß ein Ton kaum noch auszumachen ist („Electricity“) oder ein anderes Mal so singt, daß neben dem von der Melodie vorgeschriebenen Ton noch mehrere Obertöne im gleichen Moment anzuklingen scheinen. Seine Texte hatten sich noch nicht völlig der assoziativen Wildnis seines Innenlebens geöffnet, aber schon der erste Satz im ersten Stück auf Seite Eins („Sure ’nuff n’ Yes I Do“) war eine Bestimmung seines Standortes: „I was born in the desert…“

    Die nächsten drei Platten begründeten den bis heute monumentalen Ruf des Captain Beefheart alias Don Van Vliet. STRICTLY PERSONAL markiert noch ein Stadium des Übergangs, sowohl vom Material her, als auch von der Zusammensetzung der Magic Band: Ry Cooder, der (bei allem Respekt vor seinen Solo-Werken) mit seiner Gitarrenarbeit bei Beefheart wohl den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte, spielte noch mit: noch waren der Blues und sein Rhythmus dominant, auch wenn ihn Beefheart zeitweise genial zerlegte, etwa in „Gimme Dat Harp, Boy“.

    TROUT MASK REPLICA und LICK MY DECALS OFF, BABY waren um einiges radikaler und geschlossener. Hier hatte nicht nur Beefheart freie Bahn, die Musiker atmeten dieselbe Luft, hatten am selben Geist anteil. Beide Platten werfen die Kategorien tonal/atonal über den Haufen, weil die Musik ständig tonalen Gesetzen widersprechend neue, und durch Intonation und Phrasierung eindeutig vom Blues stammende Ordnungsprinzipien aufbaute. Beefheart, von dem es heißt er habe sich in seine frühen Prä-Magic Band-Tagen in seiner legendären Arbeit mit Zappa geweigert 4/4-Takt zu singen entwirft ständig neue vertrackte Rhythmen, die von seiner Band in polyrhythmische scheinchaotische Dschungel gesteigert werden, die trotzdem einen unverwechselbaren Stil hergaben. Und wilden Instrumentals wie „Hair Pie: Bake 1“ oder ungezügelter A Capella-Poesie wie „The Dust Blows Forward And The Dust Blows Back“ mit seiner genialen Schlußzeile: „Me and my girl named Bimbo/Limbo/Span“, standen immer schlichte,selbstbeschränkte, klagende Bluesnummern gegenüber wie „China Pig“; „I don’t wanna kill my China Pig“ wiederholte Beefheart mehrere Mal und man merkte, daß es ihm ernst war. Jeder Song dieser beiden Alben erfordert eigentlich einen Artikel für sich. Ich verweise daher auf einschlägige Sekundär-Literatur, wie etwa „Der rosa-baffe Morgen des Don Van Vliet“ in „Rock Session 3“.

    Das war der Stand Anfang der 70er. Zwei sehr gelungene Rock-Alben folgten: THE SPOTLIGHT KID und CLEAR SPOT. Konventionelle Let’s-get-down-and-boogie-Musik aber mit dem gewohnten textlichen Standard und einer sehr kraftvollen Magic Band, und wenn er in seinem gegenwärtigen Live-Programm immer noch „Big-eyed Beans From Venus“ singt, zeigt das, daß wir zwei uns einig sind, daß dies der gelungenste Song der Phase war.

    Beefheart hatte zu diesem Zeitpunkt einen Musiker-Stamm um sich, der die leicht wechselnden Magic Band-Besetzungen ausmacht und durch seine Fantasienamen Solidarität und Geistesverwandschaft mit dem Gruppenchef bezeugte: John French alias Drumbo, Wingeld Eel Fingerling alias Elliot Ingber, Rockette Morton, Antennae Jimmy Semens = Jim Simmons, Zoothorn Rollo, The Mascara Snake – oft waren es Zappa-Musiker, die die kreative Atmosphäre der Magic Band trotz der damit verbundenen Anstrengungen den gut bezahlten Facharbeiterjobs bei Zappa vorzogen: Jim Simmons, Arthur Dyer Tripp III , Roy Estrada, später Bruce Fowler u.a.

    Anfang der 70er erstarkte Virgin, das damals so eine Art Avantgarde-Label war und nahm Beefheart, der Schwierigkeiten mit seinen Plattenfirmen hatte, unter Vertrag. Aber das Ergebnis war kläglich: die beiden Platten, die Beefheart bis 75 produzierte, sind grausige Kompromisse mit dem Moloch Pop, die ein ungezügelter, undomestizierter Mensch wie Beefheart nicht ohne den Totalausfall einiger seiner Fähigkeiten eingehen konnte. Beefheart verschwand aus dem Bewußtsein seiner Fans oder wurde zu den Akten gelegt, neben die anderen gebrochenen Genies.

    Erst als eine Jugend die Stimme erhob, die in den entscheidenden Jahren des Heranwachsens mit Beefhearts wichtigsten Produkten konfrontiert worden ist, erinnerte man sich des Mannes in der Wüste, der sich in der Einsamkeit seines Familienlebens mit den Tieren der Wüste unterhielt, während an so unterschiedlichen Orten wie Swindon bei London (Partridge, XTC) oder Cleveland/Ohio (David Thomas, Pere Ubu) eine neue Jugend ihre neue Musik ausdrücklich auf Captain Beefheart zurückführte. Einer seiner lautstarken Fans, Lydon/Rotten, Flagschiff der Bewegung, hatte später einmal die Gelegenheit sein Idol zu treffen, eine Reporterin hatte das arrangiert in einem Restaurant von Los Angleles. Aber Lydon kam nicht und Beefheart war über seine Unhöflichkeit empört…

    Die neue Öffentlichkeit verlangte nach Produkten, nach Nachrichten, Beefheart wurde erneut zum Terrain für Spekulationen, Mythen und Legenden, wie schon zu Zeiten von TROUT MASK. 1974 war er das letztemal in Europa gewesen, 75 erschien BLUEJEANS AND MOONBEAMS, das zweite und letzte der Pop-Alben. Danach begann bei Beefheart der Wiederaufbau: Den Kern der neuen Magic Band bildeten Gitarrist Jeff Morris Tepper, Drummer Robert Williams, Multi-Instrumentalist Eric Drew Feldman und der alte Getreue John French alias Drumbo, den Beefheart erst jetzt kurz vor der 80er Tour endgültig verschlissen zu haben scheint. Drumbo schloß sich einer Sekte an und wurde daraufhin aus der Band entfernt. Zwischen 76 und 78 wurden unzählige Kompositionen produziert, verschiedenste Chronisten nennen gigantische , vierstellige Zahlen über unveröffentlichte Beefheart-Kompositionen, mir gegenüber sprach Don Van Vliet von 8964, die allerdings noch nicht alle arrangiert seien. Das Ergebnis der legendären BAT CHAIN PULLER-Tapes war das in den USA 1978, hier aber erst knapp zwei Jahre später veröffentlichte Album SHINY BEAST, das eine inspirierte, aber wenig zusammenhängende Tour de Force, durch die verschiedensten Stilbereiche des Don Van Vliet bietet. Der Einsatz des Ex-Zappa-Posaunisten Bruce Lambourne Fowler zeitigt zwiespältige Resultate. Und auch sonst hört man auf SHINY BEAST ab und an noch die Spuren einer obskuren Zappa/Beefheart Live-Tour, die ein, gemessen an der Quantität Genie, die zusammentraf, ziemlich mittelmäßiges Live-Album namens BONGO FURY (der Titel gibt in etwa die Geisteshaltung der Musik wieder) hervorbrachte. Auf SHINY BEAST taucht diese Vergangenheit in Form einer gewissen Zickigkeit mancher Arrangements auf. Alles in allem war dieses Album weniger ein Kunstwerk als das Versprechen auf kommende Kunstwerke.

    1980: DOC AT RADAR STATION. „Ich will dir was verraten“, sagt Don Van Vliet in einem konzentrierten Moment während unseres Interviews zwischen zwei Shows im ausverkauften Venue und rückt etwas näher „Ich bin mit diesem Album meinen persönlichen Vorstellungen näher gekommen als jemals zuvor seit…“ (überlegt) …„CLEAR SPOT“, falle ich ein. „Nein, seit LICK MY DECALS OFF, BABY“. Bevor ich Beefheart treffe, lese ich irgendwo, daß er die meisten Interviewer begrüßt, indem er ihnen eine unsinnige oder sehr spezielle Beobachtung mitteilt und dann dessen Reaktionen prüft. Nach der ersten (gigantischen, aber dazu später) Show suchen wir „Little Donald“, wie ihn Virgins Pressereferentin nennt, in seiner Garderobe. Dort sitzt jedoch nur Brave-Midnight Hat-Size Snyder, der Mann, der in drei Wochen 29 Songs lernen mußte und deutet auf die verschlungenen Katakombengänge, da hin sei Donald verschwunden.

    Wir treffen ihn von drei weiblichen Fans umringt, das Sopransaxophon in der Linken, ein abgewetztes Plastiktütchen mit Zeichnungen und Texten in der Rechten. „Da unten stinkt es, es stinkt infernalisch… ein Geruch, die Hölle!“ Objektiv stank es da unten natürlich überhaupt nicht, aber ich stimmte ihm zu, während alle anderen auf den objektiven Wahrnehmungen ihres Geruchssinns und den daraus abgeleiteten Erkenntnissen hartnäckig beharrten.

    …„Der Mann versteht mich!“

    Wir bahnen uns durch den Vordereingang unseren Weg durch die Menge, die bereits für die letzten Karten zur zweiten Show an diesem Abend ansteht. Viermal war es bis jetzt ausverkauft. Die Menge wirft dem Captain Scherzworte zu. Herzensgut lächelt er zurück. Er genießt den Rummel um seine Person und blickt sich nach jedem Wort um. Beim Interview nebenan im Cafe reagiert er auf jedes Geräusch, daß irgendein Kellner in irgendeiner Ecke des Lokals macht und dreht sich um, untersucht aufs genaueste die Quelle des Geräusches. Auf der Bühne haben wir drei Instrumentals gehört, zwei davon waren schon auf DOC AT RADAR STATION („As Close As A Rabbit Gets To A Parrot“) Ich frage Beefheart, wie es kommt, daß bei diesen Instrumentals exakt die LP-Version reproduziert werden könne, ob diese Stücke von ihm vorgeschrieben wären oder ob es vielleicht Kompositionen der betreffenden Musiker seien?

    „Ich würde nie einen Musiker an Kompositionen mitwirken lassen. Nichts gegen meine Musiker. Sie sind die besten. Alle. Sie können alles, aber sie dürfen nicht komponieren. Ich komponiere zu Hause ununterbrochen und auch auf der Tour. Ich habe auf dieser Tour schon wieder dreieinhalb LPs geschrieben… Nein, ich nehme meine Kompositionen zu Hause mit dem Flügel auf Band auf und die Musiker erarbeiten sich die Stücke, der Gitarrist, ich meine den neuen Gitarristen, Brave-Midnight Hat-Size Snyder, er ist wirklich der beste, er kann alles, die anderen auch, sowieso, aber er ist der Indianer…“

    Wieso, er ist doch blond?

    „Na und, es gibt auch blonde Indianer, sie sind sehr musikalisch. Außerdem ist er nicht blond, ich nenne das nicht blond… aber ihnen allen wird es bald schlecht gehen, den Indianern, den Tieren … (unverständliche Monologfetzen folgen) … Reagan, dieser schlechte Schauspieler! Ich habe es in England erfahren, ich konnte es nicht fassen!“

    Sollte man ihn beseitigen?

    „Pfui nein. Ich glaube nicht an so etwas. Füttert ihn mit Heu! Stopft ihn bis obenhin mit Heu voll, so daß er sich nicht mehr bewegen kann. Er ist ein zu schlechter Schauspieler. Ich habe schon einen Song über ihn, bzw. meine Angst vor ihm gemacht als er noch nicht mal Gouverneur von Kalifornien war, ‚Beatle’n’Bones And Smokin’ Stones‘.“ (auf STRICTLY PERSONAL).

    Beefhearts Band hatte an diesem Abend nicht nur die neuen Songs von SHINY BEAST und DOC AT RADAR STATION von dem etwas akademischen Beefheart-erweckt-mit-neuen-jungen-Leuten-den-alten-Beefheart-Ruch befreit und diese Stücke als lebendige, aktuelle Äußerungen dieses wildernden Gehirns deutlich gemacht, sondern auch sehr gefühlvoll und genau alte Stücke neu erweckt: „Abba Zabba“ und „Drop Out Boogie“ von SAFE AS MILK, „Kandy Korn“ von STRICTLY PERSONAL, „The Dust Blows Forward And The Dust Blows Back“, „The Old Fart At Play“ u.a. von TROUT MASK REPLICA und „Big-eyed Beans From Venus“ von CLEAR SPOT. Wie kommt es, daß die Band all diese Stücke spielt und spielen kann, die doch größtenteils geprägt sind durch den sehr persönlichen Stil der ehemaligen Mitglieder?

    „Sie beschäftigen sich mit nichts anderem seit vier Jahren. Wir sehen uns oft und sie kennen wirklich fast das ganze Cpt. Beefheart-Programm, wir können wirklich jeden Abend ein anderes Programm spielen.“

    Was ist mit Beefhearts sagenumwobenen Tätigkeiten als Maler, Bildhauer und Schriftsteller?

    Er deutet auf die Plastiktüte: „Das habe ich heute gemacht (ein vollgemalter DIN A 4 Block schaut aus der Tasche). Ich habe inzwischen einen wirklich guten Agenten gefunden. Einen Chinesen, er versteht was vom Geschäft. Er wird einige Ausstellungen mit mir machen, einen meiner Gedichtbände herausbringen und endlich auch einen meiner Romane… Dieser Reagan … Ich war neulich in New York und habe da zum ersten Mal die deutschen Expressionisten gesehen, es war überwältigend für mich. Die haben damals schon genauso gedacht wie ich heute, unabhängig von ihnen. Kennst du „Nosferatu“? Das stammt auch aus der Zeit…“

    Kennst du den ersten „Mabuse“?

    „Klar, Fritz Lang, ich verehre ihn. Ich wollte ihn einmal bei mir in der Wüste treffen. Er hat bis zu seinem Tod in der Nähe von mir und meiner Frau gelebt, aber das Treffen hat leider nicht geklappt… “

    Welches war das letzte Buch, das du gelesen hast?

    „Kurzgeschichten von Jorge Luis Borges. Er ist überwältigend.“ (Vor dem Cafe drücken ein paar Fans ihre Nase platt, ein Mädchen kommt rein und will Beefheart von Jesus erzählen. Freundlich weist er sie ab: „Wenn du das glaubst…“)

    Hast du so viel Erfolg und Fans in den USA wie hier?

    „Oh ja. Wir spielten in ew York im „Bottom Line“ und Belushi, Diane Keaton, Woody Allen kamen alle zu mir hinter die Bühne. Woody Allen kann alle meine Texte auswendig.“

    Ist es für jemanden wie dich, der am liebsten mit den Tieren in der Wüste redet und zurückgezogen mit seiner Frau lebt („Wildlife alone with my wife / I’m goin up to the mountains for the rest of my life / before they take my wife / before they take my wild life“) nicht die Hölle, auf Tour zu sein?

    „Nein, es ist anders, aber es macht Spaß. Die Europäer verstehen mich gut. Ich möchte auch gern wieder nach Deutschland. Man versteht dort Avantgarde-Musik. Sie verstehen es wirklich. Außerdem liebe ich deutsches Bier. Als ich es das erste Mal getrunken habe, war ich auf der Bühne so betrunken wie noch nie, ich habe keine Erinnerung mehr an das Konzert. Der Himmel lag auf mir, die Bühne lag auf mir. Das war in Frankfurt, Anfang der 70er.“

    Was denkt Beefheart von den sogenannten Imitatoren seiner Stimme oder seiner Kompositionen, seinen Einfluß auf die aktuelle Musik?

    „Ich höre nichts. Ich will es nicht wissen, es interessiert mich nicht.“

    (In einem anderen Interview: „Warum sollte ich meine eigene Kotze durchwühlen. Ich interessiere mich sowieso nicht für Musik, ich bin ein Bildhauer“) „Das einzige was ich höre ist… nun gut, Strawinski. Ein bißchen vom frühen Stockhausen und eine Platte von Steve Reich gibt es, die ich mag, aber er hat sich seitdem nicht weiterentwickelt. Schade um ihn.“ (In einem Interview mit dem ME bekundet er noch seine Bewunderung für Roland Kirk, der ein Freund von ihm war und Thelonius Monk, Lester Bangs erklärt er, daß ihn selbst Eric Dolphy, der zweifellos sehr gut sei, nicht bewegen könne, wenn man es etwa mit dem Verhalten und den Tönen eines Gänserichs vergleicht. „Ein Gänserich – das könnte ein Idol für mich sein.“). Captain Beefheart meint das, was sich vielleicht wie cleverer Pop-Star-Small-Talk liest, wirklich sehr ernst. Er macht keine Witze und kennt keine Ironie, das wären Denkkonventionen, von denen er, der nie eine Schule besucht hat, weit entfernt wäre. Beefheart teilt sich völlig direkt mit.

    Stimmt es eigentlich, daß, wie von Zeit zu Zeit behauptet, der junge Don Van Vliet eineinhalb Jahre nicht geschlafen hätte?

    „Ja, klar. Ich würde auch heute noch nicht schlafen, wenn die Welt noch so interessant wäre wie damals. Es gab damals mehr zu erleben für mich. Das war zwischen meinem 25. und 27. Geburtstag (also vor 14 – 12 Jahren) Ich bin immer völlig offen. Ich nehme alles auf. Es reicht mir eine Minute der Konzentration und es ist wie acht Stunden Schlaf. Ich bin völlig erholt.“

    Der Beefheart-Kopf müßte eigentlich mal von fachlich berufener Seite analysiert werden. Wie kann ein Mann, der offensichtlich viele der bei den anderen Gliedern unserer Gesellschaft tätigen Kontroll- und Reguliermechanismen nicht hat, der vorgibt, wie ein Autist (und das zum Teil auch beweist) seine Wahrnehmung nicht zu filtern und auch seinen Output nicht den Gesetzen zeitlicher und logischer Abfolge überläßt, überleben ohne durchzudrehen, kaputt zu gehen, pathologisch zu werden, eben das Schicksal zu erleiden, das andere Beefhearts wie Artaud erlitten haben. Don Van Vliet macht einen zufriedenen Eindruck, er ist nicht die Spur wahnsinnig, er ist nicht einmal unausgeglichen. Sein Sprechen ist zwar durchsetzt von Gedankensprüngen, Wiederholungen, Assoziationen, aber er ist immer auch sofort dazu in der Lage eine ganz normale, pragmatische Frage zu beantworten oder sich einen Kaffee zu bestellen. Ein wunderbarer Mann.

    Gibt es abschließend etwas, was du unseren Lesern mitteilen willst?

    Nein, nichts… außer, daß ich glaube, Van Gogh war exzellent, nicht zu vegessen Franz Kline und Jorge Luis Borges…“

  • The Passions

    Barbara Gogan und ihre Schwester Sue waren Mitbegründer von Englands führenden, unabhängigen Label Rough Trade. Während Sue sich mit ihrer Band prag VEC, später Spec Records, auch musikalisch im Untergrund bewegte, gründete Barbara mit den Passions eine Gruppe, die die Massen ebenso erreichen sollte wie das Rough Trade-Publikum. Sie nahm ihre erste, ziemlich erfolglose LP beim Fiction-Label auf, eine Unterabteilung des Polygram-Konzerns, die sich vor allem um The Cure kümmert. – So konnte man die Passions auch als Vorgruppe von The Cure erstmals in unseren Hallen erleben. Wie die erste Platte, so bot auch die Live-Show den Eindruck intensiver, aber zurückhaltender Sozial-Realismen in melancholischer Verpackung, der Hauptgruppe gar nicht so unähnlich, wenn auch stark von Barbaras Gesang bestimmt.

    Nach dieser Epoche des Schattendaseins wechselte man die Besetzung und mit drei Männern nahm Barbara nun eine Single auf, die in England, zu Recht, zum Chart-Erfolg wurde, „I’m In Love With A German Filmstar“. Die Passions hatten es plötzlich geschafft: Ihre Musik streifte den Habitus moderner Traurigkeit fast zur Gänze ab, zugunsten eines eingängigeren Pop-Sounds, der seine Haken eher in der Raffinesse des Arrangements und in pfiffigen Nuancen hatte als in einer plakativen Haltung. Dabei wäre es falsch zu glauben, irgendjemand hätte Barbara Gogan das Gehirn gewaschen. Ihr Anliegen kommt auch auf der zweiten LP „30000 Seconds over China“ ebenso deutlich zum Ausdruck wie auf dem düsteren Debüt „Michael & Miranda“, nur daß sich dies in einem sehr reizvollen Kontrast zu leichten, eleganten Pop-Konstruktionen entwickelt. Oft hat bei den Passions ein subtiler Humor die Rolle des verbitten Pathos moderner Großstadtverzweiflung übernommen, wie sie noch besonders deutlich auf dem Innencover von „Michael & Miranda“ zum Ausdruck kommt: Vier junge Menschen mit heruntergezogenen Mundwinkeln posieren an einem stehenden Kanal, links ein Hochhausblock, am anderen Ufer verfallene Altbauten und viel Müll, der Himmel bedeckt, am Horizont ein Kran. Dem ist eine vieldeutigere, aber nicht weniger entschiedene Haltung gefolgt. Auch bei den Passions stellt sich heraus, daß der fortschreitende ökonomische Verfall Großbritanniens eher klugen Schein-Optimismus als noch größeren Primitiv-Pessimismus hervorbringt.