Die Band, die sich Diedrich Diederichsen in einem Fiebertraum erschaffen hat. Warum der Beat nicht trocken sein darf. Warum Coltrane doch mehr Energie hat als Slayer. Was sie von den Knechten göttlichen Ratschlusses unterscheidet. Über die blöden alten Pentatonik-Reihen. Über die Freiheit der Instrumentalmusik und die Bedienungsanleitung zu Groove-Spasm.
Blind Idiot God ist die Gruppe, die allen gefallen hat, die bei den Berlin Independence Tagen waren, andere kennen sie als die Gruppe, die mich zwang, im März dieses Jahres mein SST-Instrumental-Rock-Coming-Out zu schreiben, noch andere wissen von dieser eigenartigen Band zu berichten, die einen Teil ihres Konzertes loslegen wie Motörhead, nur schneller und instrumental und über Non-Rock/Blues-Harmonien und als ein Sound, nicht in Einzeltönen Konversation führend, sondern entschlossen zum überpersönlichen Wall Of Sound a.k.a der blinde, namenlose, göttliche Energiestrom (ohne Gott), um dann im zweiten Teil nur noch Dub-Nummern zu spielen, die auf Fotos aussehen wie verunsicherte Schuljungen, die sich in den Krach flüchten, um die eigene Unsicherheit zu kompensieren. Aber diese These läßt man fallen, wenn man sie auf der Bühne sieht bzw. der Musik zuhört, die alles andere als ein Krach von der Sorte ist, in den man sich flüchten, Krämpfe lösen und sich mit zudecken kann. Es ist vielmehr ein Krach, der aus penibelst gesetzten Tönen besteht, große komponierte Musik, die die Lärm-Dimensionen nicht als Schock-Effekt oder Ego-Verstärker nutzt, sondern als Symphonie-, Wagner-Funktion (gute Kompositionen sind dünn und doof – kommt etymologisch von taub/deaf –, wenn sie nicht eine Sound-Dimension haben, die den Tönen Extra-Freiheiten, die nicht auf dem Blatt stehen, gewähren kann). Die Eigendynamik des Orchesters und anderer Verstärker. Aber Lärm ist kein Selbstzweck: „Das unterscheidet uns von Big Black. Das harmonische Material von Big Black ist nichts anderes als KC & The Sunshine Band, der Rest sind bis zur Schmerzgrenze aufgedrehte Verstärker.“
So Andy Hawkins, der rothaarige Gitarrist, Wortführer und Komponist der meisten Stücke, ein junger Mann, Mitte 20, dem es einen unglaublichen Spaß macht, über Musik detailliert zu sprechen, ins harmonische wie ins geschichtliche Detail gehend. Wenn nicht näher angegeben, stammen die Antworten von ihm, wenn näher angegeben entweder von Gabriel Katz, einem dicklichen, bebrillten Jungen, der Baß spielt und an dickliche, bebrillte Jungen erinnert, die in anglo-australischen Jugendsendungen trotz körperlicher Schwerfälligkeit in die Kindergangs aufgenommen werden, weil sie andere Dinge als Raufen und Baumhäuserbauen sehr gut können und viel wissen (was eigentlich? Die Öffnungszeiten der Leihbücherei?), wie in der mein Leben prägenden Serie Ten Town – Die zehn Aufrechten; oder von Ted Epstein, dem Drummer.
Die andere Frage, die sich die ganze Zeit stellte, kommen die vom Free Jazz oder vom Punk-Rock?, beantwortete sich im Laufe des Abends, an dem sie uns ihr bestes gaben, ein Konzert, das alles wegblies und mich Weisheiten auf der immer richtigen Bierdeckel-Kladde notieren ließ wie: Es gibt Ideen, die sind so alt wie sie gut sind (meinte ich die Idee, Rock als Instrumental-Musik zu begreifen, weil das sein eigentliches Wesen von Link Wray bis heute ist? Der Sound der E-Gitarre, alles andere ist sekundär – die aber ist das logischste und natürlichste Instrument überhaupt, wie man wieder daran sehen konnte, wie sie in Andys Armen lag, so natürlich wie man nur sein Baby in die Arme nimmt, etwas grundsätzlich Anderes als eine Diskette in ein Laufwerk zu schieben. Natürlich haben auch natürliche Dinge eine Zeitlichkeit und eine Geschichtlichkeit, aber das kann Jahrtausende dauern: die E-Gitarre ist schließlich ein Kind der Leier, Mann, als Waffe dürfte sie so alt und beständig sein, wie das auch immer nur leicht abgewandelte und umgerüstete Gewehr, daher u. a. auch, Lord Simone De Frithe, halte ich Ihre Einschätzung, mit der Gitarre gemachte Musik sei am Ende, für verfrüht, obwohl ich glaube, daß es in Europa einen dauerhaften Frieden gibt, der alles Leben und Denken auf Generationen vollkommen verändern wird, oh Leisure Suit Larry, auf Kosten von heute noch unvorstellbar blutiger Ausrottung der dritten Welt, versteht sich), und in dessen Verlauf erst Andy Gitarrist zu mir zum DJ-Pult kam und ein Gespräch über das Globe-Unity-Orchester anfing und über Alexander von Schlippenbach und Sven-Åke Johansson zu fachsimpeln begann, und dann Ted Schlagzeuger, der die Vor- und Nachteile verschiedener Black-Flag-Besetzungen durchdiskutierte, mit besonderem Gewicht auf den jeweiligen Drummer: „Ich überlege mir bis morgen, ob ich Dir einen Drummer nennen kann, den ich wirklich bewundere“, durch diese zwei Gespräche von selber. Er nannte dann, glaube ich, doch neben einigen Reggae-Drummern den langjährigen Coltrane-Begleiter Elvin Jones, aber das war in einem anderen Zusammenhang. Sie kommen also von beidem und aus St. Louis, dann zogen sie nach New York.
„Also jetzt müssen wir erst Dir mal eine Frage stellen, warum hast Du geschrieben, wir seien zur Industrie gegangen?“
Tja, das war die Information, die ich von den zuständigen Leuten bekommen habe, als dann die Anzeige von Enemy kam, ein Label, das man kaum Industrie nennen kann und ansonsten Sachen von Last Exit und Sonny Sharrock rausbringt, war der Text schon fertig geklebt, aber wo wir bei dem Thema sind, wie kam es dazu, daß ihr von SST zu Enemy gewechselt seid?
„Wir waren bei SST eine von vielen Bands, und nicht unbedingt die wichtigste dieser vielen Bands, und so hätten wir uns nicht durchsetzen können. Es stimmt schon, daß Bill Laswell gesagt hat, daß wir mehr verkaufen können, und daran finde ich auch nichts Schlimmes, Du scheinst nicht sehr viel von Laswell zu halten?“
Das will ich nicht unbedingt sagen, aber er scheint mir ein Tausendsassa zu sein, der nicht alles gleich gut finden kann, gleich unterstützen kann, in dem Sinne wäre er viel mehr das, was ihr SST vorwerft, als SST selber, die ja immerhin in letzter Zeit versucht haben, mit einem größeren Aufwand etwas auf den ersten Blick so Unpopuläres wie instrumentale Rockmusik durchzusetzen.
„Das mag stimmen, aber unser Ausstieg hat wohl auch eher was damit zu tun, daß es eben kaum Kommunikation gab, dieses Label ist in Amerika, vor allem an der Ostküste, nicht so superpräsent, wie man hier denkt, jedenfalls nicht mit seinem ganzen Katalog, hinzu kommt, daß sie zwar eine Menge für eine Musik gemacht haben, die auch mit unserer zu tun hat, und wovon wir profitiert haben mögen, trotzdem gibt es auch andere Sachen auf dem Label, die ich nicht besonders mag, also bei den Alter Natives komm ich nicht mehr mit, Fusion-Jazz ist nicht meine Sache und der Grateful-Dead-Einfluß eher auch nicht.“
Aber ich gehe doch recht in der Annahme, daß es euch darum geht, so etwas wie instrumentalen Rock zu spielen, der erstmals das am Rock ausspielt, was Songs mit Texten nicht können, ohne in die Falle zu tappen, Jazz zu spielen? Und da teilt ihr doch gewisse Interessen mit Gone oder anderen SST-Bands, auch vielleicht die Idee, Heavy Metal, von Kinderkram befreit, zu einer neuen Kunstform zu entwickeln?
„Ja, um Fusion geht es uns in jedem Fall nicht. Gone ist eine sehr gute Gruppe, obwohl sie manchmal noch richtige Jazz-Elemente haben, das gilt auch für Black Flag Instrumental, aber das ist bei ihnen ja völlig in Ordnung. Daß wir aber keinen Sänger haben liegt einfach daran, daß wir Sänger grundsätzlich peinlich finden, wir finden es peinlich, wenn einem einer was erzählt: warum? Und warum zur Musik? Es gibt Ausnahmen wie Henry Rollins oder der Sänger von Discharge, ein paar andere Punk-Sänger, auf die ich jetzt nicht komme, vielleicht noch, aber insgesamt ist uns alles Persönliche im Zusammenhang mit Musik zuwider. Ich bin mit Instrumental-Musik aufgewachsen, das erste, was mich faszinierte, war Strawinsky. Und die Texte sind immer so schlecht, so störend, wir mögen keine Individuen, die sich auf der Bühne präsentieren.“ So geht es noch eine Weile weiter, und ich sage ihnen, daß ihre Musik eine Nerven-Musik ist, sie schabt einem auf der Gehirnhaut rum, sie fühlt sich an wie die Bedienungsanleitung zu einem epileptischen Anfall, Groove-Spasm, BIG RAMMDÖS!, sie sind einverstanden, wir sind uns einig, daß diese Direktansprache an nicht die Gehirnströme, sondern an das in unserem Kopf, was zum Beispiel auch Hospitalismen und nervöse Gesten regelt, noch nie harmonisch so kompliziert gespielt wurde, und ich frage, ob das nicht die atheistische Version von „Ich bin das Instrument Gottes“ ist, von dem, was Free- und andere Jazz-Musiker seit Jahrzehnten immer wieder sagen, sagen müssen, um klar zu machen, daß ihre Musik nicht der Umsetzung ihrer Ansichten oder höchst zufällig entstandener Gefühle dient (von dem, was BIG das Peinliche nennen), sondern einem Größeren, einem Energiestrom, in den man sich einklinkt, von dem man sich tragen läßt und dem man versucht standzuhalten. Und den man naheliegenderweise entweder für Gott, die Kräfte des sich ausdehnenden Universums oder Elektrizität hält. BIG und ich kommen nicht durch Zufall auf John McLaughlin und seine Arbeit bei der immer noch unerreichten Tony Williams Lifetime, die damals auch einen Beat-Club aufgrund kosmischer Strahlung absagten („Unglaublich arrogant“, U. Nerke); daß McL zum Instrument des teuflischen Sri Chimnoy wurde, ist ja noch bekannt.
„Ja, ich glaube, man kann sagen, daß wir die atheistische Version dieser Haltung sind, das glaube ich schon, ich weiß nicht, wie es mit den anderen ist, aber ich persönlich glaube nicht an Gott.“
„Nee, wir auch nicht.“
Im Gegensatz zu jenen Knechten des rätselhaften Ratschlusses der Musik, haben diese Erforscher ihres ewig rätselhaften Wollens kaum Improvisationen, also wörtlich Unvorhersehbares, das ja in allen klassischen Intensitäts-Musiken dazugehörte, in ihrer Musik.
„Ich will versuchen, möglichst auf einem Punkt zu bleiben, an einem Punkt spielen, mich interessieren keine Gitarrensoli, die über irgendwelche persönlichen moods Auskunft geben. Dazu ein Beat, der nicht steif ist, nicht trocken, das ist das, was wir an Hip-Hop mögen, daß es nicht swingt, aber hinter dem Beat geschlagen wird, und der Beat selbst nicht so steif ist wie bei der meisten Rockmusik.“
Gabriel: „Wir haben allerdings auch schon unter anderen Vorgaben gespielt, mit John Zorn zum Beispiel und mit Eek-A-Mouse.“
Was hört ihr denn sonst in New York?
„Ja, wir haben eine Weile sehr viel Hip-Hop gehört, wirklich fanatisch, waren in den Clubs etc., Public Enemy war sehr wichtig für uns, dann Marley Marl, Big Daddy Kane und Biz Markie, letztens waren die Jungle Brothers sehr gut, aber insgesamt geht es im Moment eindeutig bergab, obwohl, wenn wir samstags ‚Rap Attack‘ im Radio hören, immer noch ein gutes neues Stück dazwischen ist. Ansonsten hören wir Dub, Jazz.“
Habt ihr euch schon überlegt, den Hip-Hop-Einfluß so in Eure Musik zu übersetzen wie den Dub-Einfluß?
„Nicht so direkt, Hip-Hop ist für uns neuer als Dub, noch nicht so gegessen und selbstverständlich, außerdem ist das keine Musik für unsere Instrumente, aber wir haben schon überlegt, mal außerhalb von dem, was wir machen, mit New Yorker Rappern zusammenzuarbeiten. Bill Laswell wollte, daß wir mit Yellowman zusammenarbeiten, was auch fast geklappt hätte, ich traf neulich KRS-One auf der Straße und der stellte sich als ein netter Kerl heraus, vielleicht machen wir mal was mit ihm. Bill hatte sich ja für uns vor allem wegen unserer Dub-Teile interessiert, wegen der zweiten Seite von Blind Idiot God.“
Die immer, auf LP wie in Konzerten, nach exakt 60 % der Gesamt-Show folgt. Dennoch eigenartig, ich hatte geglaubt, ihm hätte gefallen, sich in Euch seinen alten Traum, Brötzmann und Motörhead verschmelzen, erfüllen zu lassen.
„Das kam wohl noch dazu, auf jeden Fall hat er seine Sache gut gemacht. Er hat eine Aufgabe für sich definiert, das ist das Mischpult, da darf keiner ran, keiner die Regler berühren, Wünsche muß man ihm mitteilen, dafür läßt er uns mit den Instrumenten in Ruhe. Ich hätte allerdings gern diese Deutschland-Tour, wie ursprünglich geplant, mit Caspar Brötzmann gemacht, bin alter Fan von seinem Vater, und was ich so höre, ist er in seiner Sache genauso gut.“
Man könnte sagen, ihr seid das Bindeglied zwischen Vater und Sohn. (Hier folgt eine längere Brötzmann/Free Music-Productions-Fachsimpelei, die ich dem Leser ausnahmsweise ersparen will, bis wir wieder in New York landen.)
„Die Ostküste ist schon eine ziemlich trübe Szene, das muß man sagen, immer noch entdecken, covern, feilen die Bands an Velvet Underground und den Stooges, bis zum Gehtnichtmehr, und dann sind da viele Einflüsse von englischen Bands der frühen 80er, was kein Mensch wahrhaben will, aber es ist so. Es gibt mehr New Yorker Lärm-Bands, die in Wirklichkeit nur Siouxsie & The Banshees durch kaputte Verstärker jagen, als man denkt und wahrhaben will. Live Skull ist nichts anderes als verzerrte Echo & The Bunnymen.“
Völlig richtig.
„Ja, aber jeder New Yorker Kritiker und Fanzine-Schreiber liebt Live Skull und jeder haßt Echo & The Bunnymen, dasselbe gilt für Birthday Party, davon klauen sie auch alle heute noch, dann wollen sie alle klingen wie eine andere Band oder ein Label, wie die Feelies, drei Bands in Amerika klingen wie Big Black, hunderte wie Homestead, in der Hoffnung, auf Homestead rauszukommen, dazu kommt ein übler Rassismus, die ewige Suche nach der Weißen Rockmusik, was ja völliger Quatsch ist, weil Rockmusik hat immer schwarze Wurzeln, was unsere Jungs nicht kapieren wollen, die denken, bei Velvet seien sie an der Wurzel und die sei weiß und trage dunkle Sonnenbrillen.“
Und was ist mit Sonic Youth?
„Das leuchtende Gegenbeispiel. Gute Leute, gute Musiker, gute Freunde, keine Rassisten.“
Welchen Platz nehmt ihr in diesem Pandämonium ein?
Ted: „Ich glaube nicht, daß man sagen kann, daß wir direkt von irgendwoher kommen, es gibt keine Kette, in der wir ein Glied sind, abgesehen von dem Dub, wo man sagen kann, wo das her kommt, aus welchem Genre, ansonsten gibt es ein paar Offensichtlichkeiten. Der Thrash-Beat kommt aus der Hardcore-Tradition, und noch ein paar andere Sachen sind leicht als Rock zu identifizieren.“
„Bei mir ist es eigentlich ganz klar, mich motiviert folgendes: Vor einiger Zeit bedeutete mir Heavy Metal eine Menge, es versprach mir etwas, und ich dachte, vergiß die Jazz-Scheiße, dies ist wirklich heavy, im Laufe der Zeit wird einem dann klar, daß Coltrane definitiv mehr Energie hat als Slayer, das Saxophon ist natürlich nicht so laut wie zwei elektrische Gitarren aufgedreht bis zur zehn, aber es hat eben mehr Gewicht. Also Heavy Metal bleibt ein Einfluß auf der maschinellen oder mechanischen Seite der Musik, ansonsten ist es klassische Musik, oder Jazz, auch weil die eben frei sind von all der Scheiße, die man bei Heavy Metal immer mitschlucken muß, bescheuerte Texte über Schmerz und Krieg und Chaos.“
Allerdings ging bei Coltrane ein Mann auf die Bühne und ließ es geschehen, während ihr, wie eben auch Slayer oder Metallica, festgelegte Stücke, festgelegte Breaks und andere festgelegte und festgelegt verknüpfte Maschinen und Mittel der Energieerzeugung benutzt, was ich okay finde, weil ich denke, daß es mit der Gitarre zusammenhängt, die eher ein kleines Symphonieorchester im Arm ist als ein Saxophon, das immer nur für den Mann, den Einzelnen, steht, der da spielt. Das Ding spricht wirklich, während die Gitarre Umrisse, Zeichnungen und Effekte ausstößt, nichts was mit den biologischen Grundlagen der Sprache zu tun hätte. So ein Einzelner ist dann ja auch immer in der Gefahr, seinen Bezug zum Energiestrom zu verlieren, weil er gerade an was Anderes denkt, nicht aufpaßt, abhanden kommt, während so eine Maschine wie eine Komposition, die Gitarren, die Drums, die Komposition, doch viel größer als man selbst ist, einen bei der Hand nimmt, wenn ein Coltrane schon mal abtreibt.
Gabriel: „Ich finde nicht, daß er abtreibt, er und seine Musik sind etwas insgesamt Spontaneres, als das, was wir machen, aber ich habe bei ihm immer das Gefühl, daß er weiß, was er tut.“
„Genau, das macht einen guten Jazz-Musiker wie Cecil Taylor oder Coltrane eben aus, daß sie so besonders konzentriert sind, daß sie ihre Absichten direkt umsetzen können, mit allen Mitteln, den Brennpunkt immer auf scharf gestellt haben, während die musikalischen Mittel von Slayer oder Metallica beim gleichen Grad der Focusiertheit so irrsinnig begrenzt sind, immer wieder dieselben alten Pentatonik-Reihen, der Tritonus, das ist so beengend.“
Coltrane ist aber auch, gerade er übrigens, ziemlich beschränkt, oder beschränkt sich, in einem Stück wie „Olé“ zum Beispiel passiert nicht viel, harmonisch, über 18 Minuten, klingt fast wie eine Dub-Platte.
Ted: „ Ja ein Stück wie ‚Africa‘ ist noch simpler, aber was darauf aufbaut ist immens.“
„Ich weiß, was Du meinst, manchmal ist das bei ihm dann diese religiöse Seite, reine Meditation, aber selbst dann, selbst wenn er seine Einflüsse aus der indischen Musik ausspielt, ist das für den Zusammenhang, in dem er damals stand – und das wichtige ist, daß man das heute und immer hört – unglaublich, was er spielt, man will ja auch nicht, daß ein alter Folk-Blueser Heavy Metal spielt, und Coltrane ist sicher beschränkter als einige Leute heute …“
Oder Eric Dolphy.
„… richtig, aber er war derjenige, der das Tor aufgestoßen hat, und das hört man.“
Ted: „Ich bin schon mit Rock-Musik aufgewachsen und alles, was ich gehört habe, war im Prinzip immer Rock-Musik, also auch mein größter Einfluß, aber das, was es heute gibt, ist einfach nicht besonders befriedigend.“
„Genau, und das liegt fast immer am Gesang, der fast alles vergiftet, und wenn der es nicht tut, ist es die absolute Ahnungslosigkeit dieser ganzen Bands in Bezug auf Rhythmus, die sind alle so dermaßen steif, spielen nie hinter dem Beat, spielen immer 4/4 Takt – und lausige 4/4.“
Hip-Hop und Dub sind aber auch harmonisch beschränkt, und Slayer haben eine Menge lustige Breaks und überraschende Wendungen.
„Ja, aber man muß einen grundsätzlichen Unterschied machen zwischen linearer und statischer Musik, die linearste Musik ist Bebop, die statischste ist Hip-Hop oder Dub. Das ist eine Frage des Haltens von Tönen u. a.“
Und Ihr seid eher auf der statischen Seite?
„Würde ich sagen. Wir stellen im Gegensatz zum Jazz und zum Metal den Brennpunkt nicht scharf ein, und wir achten darauf, daß nicht zu viel auf einmal geschieht. Gut, manchmal geschieht eine Menge, aber diese Dinge sollten alle eins sein, nicht verschiedene Stimmen. Und was Slayer betrifft, glaube ich, daß das meiste bei ihnen Zufall ist, wenn die Solo spielen, haben die keine Ahnung, in welcher Tonart sie sich befinden oder absichtlich nicht befinden, das ist ganz lustig, aber das ist auch alles.“
Also Rock-Musik als das, was sie sonst nie ist, nicht nur instrumental, sondern auch anti-linear und gegen Subjektivismus, was ist mit Witzen?
„Seit ich Heavy Metal nicht mehr so sehr als Musik ernst nehme, von der ich was lernen kann, sondern als kulturelle Seltsamkeit, kann ich auch wieder viel mehr damit anfangen. Ich werde mir jetzt die neue Voivod anhören, die wird mir, glaube ich, auch musikalisch gefallen, die verfolge ich schon seit der Zeit als sie eine reine Venom-Kopie waren, die neue Metallica ist dagegen wieder so übel produziert, klingt einfach nicht.“
Wie seid Ihr nun zum Dub gekommen?
„Als wir 15, 16 Jahre alt waren, hat ein Freund von uns in St. Louis in diesem wunderbaren Platten-Laden gearbeitet, mit einer Jazz-Abteilung von der Du träumst und eben auch einer hervorragenden Reggae-Abteilung. Da hörte ich zum ersten Mal eine Dub-Platte, irgendwas von Scientist. Es haute mich um, wie wenig passierte, und als mir die Details klar wurden, war es noch besser, ich hab mich seitdem immer dafür interessiert, erst für den Dub der alten Schule, die erste moderne Dub-Platte war Dub Factor von Black Uhuru, wann war das?“
Gabriel: „83, 82, ich war gerade mit dem College fertig, und es war ein massiver Einschnitt.“
„Dennoch warne ich die Leute immer, sich unsere Platte anzuhören wie eine Prince-Jammy-Platte oder andre jamaikanische Dub-Platten, dort wurden nämlich Vocals herausgenommen und etwas anderes an ihre Stelle gesetzt, das bleibt in der Musik spürbar, wir haben dagegen nie Vocals gehabt, Freunde von mir, die auf Old-School-Dub stehen, meinen immer, wir würden Dub vergewaltigen, aber wir machen was anderes, wir spielen Dub, und wir sind keinen Konventionen verpflichtet. Hinzu kommt, daß wir harmonisch über die Grenzen der einfachen Pentatonik, auf der alle jamaikanischen Dub-Platten beruhen, hinausgehen, das wäre für uns bescheuert, wenn wir uns darauf beschränken sollten, wo wir uns auch sonst harmonisch nicht beschränken, trotzdem wollen wir nicht zu weit abweichen, wir wollen andrerseits nicht klingen wie A.R. Kane, ausgeflippte Geräusche und atonales Gelärme und Jesus And Mary Chain in Dub.“
Gabriel: „Oder wie African Head Charge.“
Ihr mögt Adrian Sherwood auch nicht?
„Er ist ein guter Produzent, aber er macht grauenhafte Drums, die ganze mixerische Seite des Dub beherrscht er hervorragend und hat viel geleistet, aber die Drum-Sounds sind steif. Er sollte mal Last Exit produzieren, er hat die Cassette irritiert zurückgegeben, er soll Angst gehabt haben.“
Ja, er haßt Jazz, LeBlanc steht da mehr drauf.
„Aber gerade LeBlanc macht ihm, glaube ich, diese grauenhaften Drums-Sounds, obwohl er wohl selber ein ganz guter Drummer ist. Das gilt nicht nur für Reggae, auch für Tackhead: gute Sounds, aber grauenhafte Drums, trocken und hölzern.“
Disagree totally über Letzteres, aber egal.
Ted: „Große Reggae-Schlagzeuger sind etwas Wunderbares, so etwas hat man in keiner anderen Musik. Diese Fähigkeit, im allerkleinsten Detail noch traumhaft sicher Kleinstrhythmen zu verschieben und Akzente zu setzen, die sind so tief drin im Groove, daß sie die allerschwierigsten Dinge – wie nämlich eine Phrase richtig zu akzentuieren ist – noch spielerisch in winzigste, aber pointierte Kleinigkeiten hineintreiben, Schlagzeuger wie Sly Dunbar oder Style Scott …“
Das sind auch die einzigen, die ich kenne, gibt es eigentlich noch mehr?
„Auf den meisten Dub-Platten spielen Leute, die nicht namentlich genannt sind, man hört aber, daß es andere sein müssen als Sly oder Style, aber ich kenne sie auch nicht beim Namen.“
Und A.R.Kane haßt ihr?
„Ich kann ein paar gute Ideen oder Motive heraushören, aber ich bin etwas skeptisch, ich hätte sie gern mal live gesehen. Sie arbeiten halt in einer Werbeagentur, und das macht sie mir etwas suspekt …“
Hab ich auch schon gemacht.
„… und dann haben sie diese total englische Trendiness-Haltung.“
Ja, aber anders geht es nicht in England. Jedes Kleidungsstück ist ein kulturelles Statement und will wohl überlegt sein.
„Das ist okay mit mir, ich ziehe auch nicht irgendwas an, ich denke auch über meine Kleidung nach, aber in England bestimmt deine Kleidung, was für Musik du hören darfst und in welche Clubs du gehst, nicht umgekehrt, wie es sein sollte.“
Was haltet ihr von Acid House?
„Wer? Ist das ’ne Band?“
Eher eine Jugendbewegung, House-Sound, aufgespeedet, elektrischer und mit schrägen, man kann sagen, atonalen Effekten, statt reduzierter Melodieteilchen oder Samples. Dazu Revival des Smileys, des LSD und anderer Halluzinogene und einiger Acid-Test-Attitudes.
„Ach so, Acid-Parties, ja haben wir von gehört, diese Beschreibung klingt lustig, als wäre es sehr hysterisch, und man könnte sich das gut anhören. Weil, ich muß sagen, ich hasse House, ich hasse es wie die Pest, tut mir leid, diesen ganzen Scheiß, daran kann ich mich nicht gewöhnen, auch nicht an diese Versuche, aus Hip-Hop eine Disco-Musik zu machen oder Latin-Hip-Hop, diese Rhythmen sind so ohne jede Grazie, so stumpf und steif, als ich es das erste Mal beschrieben hörte, dachte ich, es wäre genau das, was ich brauche, als ich es dann das erste Mal anhörte, war es widerlich, es macht mir Angst, was diese Leute aus Hip-Hop machen wollen, ich meine, was ich noch weniger ertragen kann ist Salsa, diese üblen 30er-Jahre-Harmonien, übel …“
Da geb ich dir recht. Kann ich auch nicht ertragen, vor allem diese Keksdosen-Percussion …
„Bah! Und kein Baß, die ganze Latin-Musik hat keinen Baß.“
Die einzige Musik, die ich nicht ertragen kann, neben griechischer Folklore.
„Du meinst die mit der Bouzouki? Das Letzte, aber ich kann sogar Mariachi-Musik aushalten, find ich gut.“
Gabriel: „In der ganzen Welt gibt es zur Zeit einen durchgängigen Folk-Music-Pop-Sound, jedes Land, das eine Folklore hat, hat sie jetzt als Weltmusik zu Pop verarbeitet, was so ziemlich das Grauenhafteste ist, was man sich vorstellen kann. In Israel ist es noch schlimmer, da haben sie eine Bubblegum-Musik mit Moll-Akkorden, klingt wie eine Mischung aus chassidischer Hochzeitsmusik und Bay City Rollers, immer der Dur-Sept-Akkord und die Moll-Tonleiter.“


