Defunkt – Die ganze Wahrheit über Funk

„Ja, guten Ta’g. Ich hätte gern zwei Taxis in die Johnsallee, zur Pension Edelweiß.“ – „Zu den Ausländern da? Da haben wir heute schon drei Taxis hingeschickt. Die mußten alle wieder umkehren.“ „Aber die zwei werden wirklich gebraucht.“ – „Dann brauchen wir ihren Namen!“ – „Diederichsen.“ – „Schön, Herr Dieterichsen. Wenn was schiefgeht, halten wir uns an Sie!“

Drei Sechstel Defunkt und ich steigen ins Taxi. Aus den Lautsprechern dröhnt … Defunkt! „Man that’s us! Ist das Radio oder Kassette? Radio? Wirklich? Wir sind in Deutschland im Radio! Joe, komm her, hör dir das an. Wir sind in Deutschland im Radio.“ Taxifahrer: „Wohin soll’s denn gehen?“ „Ins Onkel Pö!“

Der folgende Auftritt dortselbst warf dann jeden vom Hocker. Die Blues- und Rockjazz gewöhnte Pö-Laufkundschaft ebenso wie neugierige Kurzhaarige, Jazzer und James Brown-Spezialisten. Defunkt war einfach gut. Die LP-Stücke wurden durchweg im dreifachen Tempo gespielt. Joe Bowie singt so cool, wie er virtuos Posaune spielt, die beiden Gitarristen waren Spitze, vor allem Kelvyn Bell, die Bassistin Kim Clarke hinreißend und gut und Richard Harrison spielte für vier. Selbst der einzige Weiße, ein skandinavisch wirkender Trompeter, flog auf der gleichen Höhe mit. Einlagen wie Charlie Parker- und Jay McShann-Nummern, virtuose A Capella-Intros und die spannungs- und konzentrationsgeladenen langen Pausen zwischen den Nummern ließen ein geplättetes Publikum im restlos ausverkauften Club zurück. Nur ein paar Seufzer, ein paar „Ich-glaubte-James-Brown-sei-auferstanden“s. Es blieb kein Auge trocken. Auch Arne Schumachers Berlin-Artikel enthielt derart begeisterte Defunkt-Passagen, die wir, um Verdoppelungen zu vermeiden, rausnahmen. Aber sogar das nicht gerade Funk-gewöhnte Berliner Jazz-Publikum muß Defunkt zum Opfer gefallen sein.

Joe Bowie reibt sich die Augen: „Wir sind selber überrascht!“ Vor ein paar Stunden rieb er sich auch die Augen. Für’s Interview wurde er aus dem Bett geholt. Er streifte sich einen seidenen Bademantel über, während ein Manager seine Anzüge ordnete: „Ich hab einen langen Jazz-Background und sehr viel R & B gespielt.“ Dein Brüder war einer der Gründer des Art Ensemble Of Chicago. – „Ja, vor allem der A.A.C.M. Die Organiation schwarzer Free Jazz Musiker in Chicago. Ich war auch ein Mitglied von A.A.C.M. und hab da schon in den späten Sechzigern mitgespielt, wenn auch nicht beim Art Ensemble. Wir sind alle aus St. Louis und wir hatten damals eine Gruppe, die Black Artist Group, die viel Kontakte zur Chicagoer Szene hatte, damals in den Sechzigern. Später spielte ich in der A.A.C.M.-Big Band. Davon gibt es leider keine Aufnahmen. Aber von der Black Artist Group gibt es einige wunderbare Aufnahmen, die LP OUR LAKE zum Beispiel. Ich hab diverse Platten mit diesen Leuten gemacht. Defunkt mache ich jetzt seit drei Jahren, als eine Art Kombination meiner Soul- und R&B-Erfahrungen mit meinem Jazz-Background.“ – Arbeitest du weiterhin auch noch in einer Free Jazz/Avantgarde-Richtung nebenher? – „Nein, keine Zeit. Ich hatte zuletzt diese Platte mit Luther Thomas gemacht mit unserer Gruppe St. Louis Ensemble (I JUST CAN’T FIGURE IT OUT auf Moers Schallplatten in Deutschland erhältlich), seitdem mache ich nur noch Defunkt.“

Was hat dich dazu gebracht, die Experimente zugunsten von Tanzmusik aufzugeben? „Diese Zeit erfordert andere Ausdrucksformen. Ich fühlte mich einer anderen, jüngeren Generation verpflichtet, für die ich diese Musik mache. Es ist Zeit für eine rauhere Musik und für eine Musik, die sich am Tanzen orientiert.“ – Wie kam es zu dem Namen, Defunkt? – „Ein Journalist von der ‚Soho Weekly‘ hat ihn sich ausgedacht und in einer Kritik verwendet. Ich habe ihn dann benutzt als eine Art Startschuß für mich, neu anzufangen, alles anders zu machen, mit einem völlig neuen Bewußtsein zu spielen.“ Warum wurde die erste LP mit völlig anderen Leuten aufgenommen als die, die jetzt live spielen und die 12inch aufgenommen haben? – „Mit der Zeit entwickeln sich Leute, zumal Musiker. Sie bekommen eigene Ideen. Ich will aber keine anderen Ideen. Ich will unseren Sound verbessern. Dafür brauchte ich andere Leute.“ – A.A.C.M. hatte einen bestimmten politischen Anspruch. Die Organisation wollte bestimmte spezifisch schwarze Kultur fördern und war in der amerikanischen Rassismus-Diskussion ebenfalls sehr radikal engagiert. Leben diese Ansprüche und Ideen in Defunkt fort und ist die Musik von ihnen bestimmt? – „Ja, und es ist sogar besser geworden als zu Zeiten von A.A.C.M. Wir erreichen mehr und jüngere Leute. Ich glaube, daß die damaligen Grundideen übertragbar sind auf einen neuen Sound, andere Zeiten, ein anderes neueres Bewußtsein. Heutzutage muß man zwangsläufig dramatischer werden, visueller, aber auch unterhaltender. Je schlechter die Zeiten werden, desto größer ist die Nachfrage und Offenheit für Tanz und Unterhaltung. Während der Depression der dreißiger Jahre gab es auch sehr viel Tanzbands. Einfach, weil die Leute in solchen Zeiten auf die Straße wollen, rausgehen, irgendetwas tun und kommunizieren.“

Wer ist Janos Gat, der immer als Mitautor auf den Defunkt-Platten auftaucht, aber offensichtlich nicht mitspielt? – „Janos Gat ist ein ungarischer Theater-Autor, der sehr gute Stücke schreibt. Er schreibt mir die Texte, die ich dann vertone.“ – Wie fandest du das Berliner Jazz-Fest, bei dem ihr ja sehr erfolgreich aufgetreten seid? „Oh, es war gut. Es zeigte, daß auch die Jazzer endlich wahrnehmen, daß sich was geändert hat. Daß wir in anderen Zeiten leben und daß der Jazz der nahen, der sehr nahen Zukunft ein anderer sein wird, daß sich jede Menge neue Stile entwickelt haben. Es ist gut, daß das ansatzweise dokumentiert wurde.“ – Warum habt ihr eigentlich Chic’s „Good Times“ bearbeitet? – „Das war damals ein sehr populärer Song, den man unentwegt aus dem Radio hören konnte. Weil er eine musikalisch sehr verbreitete Sprache sprach, haben wir ihn benutzt, um den Leuten dann allerdings zu sagen, daß die Zeiten alles andere als gut sind. Wir haben über Drogenprobleme und dergleichen gesprochen, wir haben halt die Wahrheit gesagt. Funk-Texte sind meist unrealistisch und seicht und da gehen wir einen Schritt weiter und werden ernst, verbinden ernste Texte mit Tanzmusik. Wir wollen keine Illusionen erwecken.“ – Was für ein Publikum habt ihr in den USA? – „Hauptsächlich weißes New Wave-Publikum, aber das ändert sich gerade jetzt, wir sprechen endlich auch schwarzes Publikum an. Das hat eben mit dem zu tun, was ich den Wechsel der Zeit nenne.“

Und das beste, was man zu unseren Zeiten musikalisch sagen kann, ist eben, den „Good Times“-Riff in dreifacher Geschwindigkeit zu spielen, da kochen die Unterschenkel, das Gehirn käst und die Nebenniere schlägt Blasen. Das ist eben die Wahrheit.