Ein TIP-Gespräch mit der Sängerin und Songschreiberin Marianne Faithful
TIP: Auf Deinem letzten Album besingst Du den New Yorker „Times Square“. Wie ist Dein Verhältnis zu Deiner neuen Heimat?
Faithful: Ich lebe abwechselnd in New York und Jamaika, Aber ich komme noch hin und wieder nach Europa, um meine Mutter zu sehen. Ich habe England verlassen, als das mit den Falkland-Inseln losging. Verstehst Du, Mann, zuviele Bullen auf der Straße. Das ganze Land zu rechts. New York ist fantastisch, wie ein fremder Planet!
TIP: Planet Rock?
Faithful: Ja (lacht). Man langweilt sich nie. Wenn es mir zuviel wird, gehe ich nach Jamaika, um zu lesen und zu schreiben. Mich auszuruhen.
TIP: In einem Deiner neuen Songs feierst Du Irland…
Faithful: Das ist eine sehr idealisierte Beschreibung. Meine besten Freunde kommen tatsächlich aus Irland, aber ich komme nur noch selten dahin.
TIP: Hast Du den Ärger mit der Parade am St. Patricks Day in New York mitbekommen? Der Bürgermeister wollte nicht, wie sonst üblich, mitmarschieren, weil der Vorsitzende des Festkommitees mit der IRA sympathisierte.
Faithful: Tja, die IRA. Ich mag sie nicht besonders. Ich kann sie verstehen, aber ich kann nicht sagen, daß ich mit ihnen sympathisiere. Sie töten Leute, Mann!
TIP: Du hast selbst einen Song über eine Terroristin geschrieben, „Broken English“.
Faithful: Ulrike Meinhof, ja. Das war, als ich hier in Deutschland gearbeitet habe, vor sechs Jahren. Es herrschte eine ähnliche Atmosphäre wie jetzt in England. Zehn Bullen kommen auf einen Bürger: überall Kontrollen und Überwachung. Du mußt Dir mal das Video dazu ansehen, Derek Jarman hat es gemacht, eine Art Zusammenschnitt aus Bildern von Straßenunruhen, Armeeaufmärschen und Tanzszenen. Ich selber komme gar nicht drin vor, was mir sehr gefällt.
TIP: Woran arbeit Du im Moment?
Faithful: Ich bin Produzentin geworden. Chris Blackwell (Chef von Island-Records, Mariannes Plattenfirma – Anm. d. Verf.) hatte einen jungen polnischen E-Komponisten unter Vertrag genommen. Kein Mensch wußte recht, wozu. Zwei Jahre saß der arme Kerl in London ’rum, und kein Mensch hatte eine Ahnung, was man mit ihm anfangen könnte. Bis ich die Idee hatte, eine Art Soundtrack für einen Film schreiben zu lassen, der nie gedreht werden würde. Das Ganze sollte auf Orwells „1984“ basieren, und ich sehe meine Aufgabe darin, klassische Kompositionstechnik mit modernen Sound-Effekten zu verschmelzen. Ich stehe sehr auf Sound-Effekten, aber die Produzenten sind meistens zu blöde, um das, was ich will, zu realisieren. Einmal wollte ich Grillenzirpen, aber sie haben es einfach nicht hingekriegt. Inzwischen habe ich mich so mit Technik beschäftigt, daß ich es selber kann.
TIP: Ich hatte schon bei einigen Deiner Songs den Eindruck, sie klängen wie Titelsongs zu nie gedrehten Filmen.
Faithful: Ja genau. Ich habe immer gern Songs gehabt, die einen vom ersten Sound-Effekt an in eine bestimmte Atmosphäre versetzen – wie jene großen Filme über den Süden, wo schon vom ersten Moment an der Ton klarmacht, worum es geht. Ansonsten arbeite ich daran, eine Live-Band auf die Beine zu stellen.
TIP: Das wäre eine Überraschung. Du hast doch bis jetzt erst eine kurze Tour in den Achtzigern gemacht.
Faithful: Ja, ich habe Probleme mit diesem sehr dumpfen Manager, mit dem ich zusammenarbeiten muß. Deswegen wird es wohl noch etwas dauern.
TIP: Hast Du vor, Dein Sechziger Jahre-Image, Deine ganze Legende, noch einmal auszunutzen, um mit dem Massenpublikum in Berührung zu kommen?
Faithful: Nicht bei der Tour, aber definitiv mit „1984“. Ich will so eine Platte nicht nur für mich selbst machen. Ich habe auch keine Probleme mit Massenpublikum. Schließlich ist das mein Job. Wenn ich diese Probleme mit dem Manager nicht hätte, hätte ich es längst gemacht.
TIP: Warum dann die lange Zurückgezogenheit in den Siebzigern?
Faithful: Ich hatte nichts Interessanteres anzubieten und wollte nicht mit irgendeiner Scheiße vor die Leute treten.
TIP: Mit einer gewissen Frustration…
Faithful: Natürlich hatte es auch mit Frustration zu tun. Mit den Sechzigern und dem Versuch, über all des hinwegzukommen. Es schien damals am besten zu sein, einfach zu verschwinden. Ich könnte das sonst wieder machen. Damals wußte ich auch nicht, ob ich je ein Comeback hätte haben wollen. Ich verschwand. Ich verschwand nicht, um wiederzukommen.
TIP: Aber das Verschwinden hat Dir bei Deinem Comeback enorm geholfen. Die lange Abwesenheit hat Deinem Image etwas Legendäres verliehen.
Faithful: Das ist wahr, es hat mir sehr geholfen. Aber vergiß nie: Alle Legenden wären nicht einen Pfifferling wert gewesen, wenn ich nicht etwas anzubieten gehabt hätte.
TIP: Dann hättest Du Dich lächerlich gemacht?
Faithful: Genau.
TIP: Andererseits…
Faithful: Wenn man gute Musik macht und kein Image hat, hat man auch keine Chance. Klar. Ich hab auch nichts gegen Image-Bildung, auch hab ich nichts gegen Interviews und Fotosessions. Ich mag meine Arbeit als Marianne Faithful, auch wenn Marianne Faithful und ich oft nicht dieselbe Person sind. Man könnte sonst so eine Kontinuität gar nicht durchhalten. Ich bin oft sprunghafter als Marianne Faithful. Manchmal, wenn ich Songs schreibe zum Beispiel, bin ich wieder sehr stark Marianne Faithful. Manchmal wird das natürlich zuviel, dann gehe ich nach Jamaika und lese ein Buch.
TIP: Welches zuletzt?
Faithful: Zuletzt „Under the Volcano“ von Malcolm Lowry.
TIP: Den entdeckt man hierzulande erst jetzt.
Faithful: Weißt Du, daß man in meine Biografie geschrieben hat, ich sei eine Albert Camus-Anhängerin. Das wirklich der letzte Unsinn. Ich habe ja nun wirklich viel in meinem Leben gelesen, aber Camus habe ich nie gemocht. Das muß unbedingt geändert werden. Ich Din schließlich völlig ohne Fernseher aufgewachsen, da liest ein junges Mädchen viel, und ich kann nicht verstehen, wie da so ein falscher Name angegeben werden kann.
TIP: Hast Du heute einer Fernseher?
Faithful: Nein, aber ich sehe hin und wieder bei Bekannten fern. In New York kann man ja viel sehen. Wenn des Ding erstmal angestellt ist, komme ich nicht mehr davon los. Obwohl ich es hasse, daß immer die Kommunikation so unter der Kiste leidet.
TIP: Wieso? Man kann doch gut gemeinsam lachen.
Faithful: Oh, ja. Aber das geht bei mir nur, wenn ich stoned bin. Dann allerdings… amerikanisches Fernsehen, wenn du stoned bist. Zu toll!

