Weil ich ein Metropolis-Gänger sei, sollte ich übers zweijährige Jubiläum schreiben, war die Idee des zuständigen Redakteurs. Ich halte mich insofern daran, als ich nicht recherchieren oder bilanzieren will, sondern meinen Eindruck von dieser Institution aus der Position eines privaten Kinokunden wiedergebe, der sich um die Befriedigung seiner cinephilen Bedürfnisse sorgt.
Die Kinosituation in Hamburg war von jeher katastrophal. Das „Abaton“ das sich stets auch um das eigene kommerzielle Überleben kümmern mußte und mehr und mehr in eine Situation geriet, wo es eine bestimmte, gewachsene, soziologisch klassifizierbare Subkultur mit ganz bestimmten filmischen Gütern beliefern mußte, konnte nicht alleine leisten, was in anderen Großstädten die kommunalen Kinos besorgten: Das Fundament einer soliden Filmbildung liefern und die Avantgarde, vorzugsweise die heimische, fördern.
Dann wurde auch in Hamburg von einem Kommunalen Kino geredet. Hellmuth Costards Film „Der kleine Godard“ zeigte eine sehr lustige Planungssitzung. Das Kino nannte sich dann „Metropolis“ und zog in die Räume des alten Dammtor-Kinos. Der Name war mir sympathisch, weil er auf Fritz Lang verwies. Ein gutes Omen. Er war mir weniger sympathisch, weil es sich ausgerechnet um jenen längst geflügeltes Wort gewordenen, in den Wortschatz der Allerwelts-Methaphern eingegangenen Titel eines Films handelte, der so oft als definitive Großstadtsallegorie herangezogen wird. So, als ob sich ein Buchladen, der sich auf Science Fiction spezialisiert, „1984“ nennen würde. Ich war dankbar, daß sich das Kino nicht der studentischen Kundschaft anbiederte und sich „Themroc-Palais“ oder „Bogey“ nannte, aber noch besser hätte ich einen Namen wie „Intolerance“ gefunden. Es klingt einfach schöner, wenn man am Telephon sagt: „Ich geh’ ins ‚Intolerance‘.“
Die Räume des „Metropolis“ sind ziemlich schön; denn sie sind würdig. Das Personal ist freundlich und weiß oft den Regisseur eines Films zu nennen, wenn man danach fragt. Das ist in Hamburg fast einmalig. Leider gibt es keinen Kaffee mehr und auch keine anderen Getränke.
Ich finde, das „Metropolis“ sollte nach zweijähriger Arbeit selbstbewußter werden. In allen Vermittlungs-Geschäften (Journaille, Fernsehen etc.) hat sich seit ungefähr zwanzig Jahren eine Haltung breitgemacht, die Person des die Vermittelnden kenntlich macht und miteinbezieht in die Darstellung des zu Vermittelnden. Ich möchte eine solche Subjektivität auch fürs Kino. Ein Kino sollte sich weder als Sex-Shop noch als Bibliothek aufführen, es sollte sich geben wie eine Zeitschrift. Ein anspruchsvolles Kino sollte sich wie eine anspruchsvolle Zeitschrift geben, das „Metropolis“ verbirgt sein Programm zu seh hinter Schein-Objektivität. Das mag an begrenzten Mitteln liegen, vielleicht liegt es aber auch an falscher Bescheidenheit.
Ich mag auch die Askese des Kunstfilmbetriebs nicht leiden, die in den Anfängen der Filmkunst-Theater berechtigt gewesen sein mag, als die Dichotomie „kommerziell/avantgardistisch“ noch einen Sinn hatte. Heute wissen wir, daß auch das Kommerzielle, oft gerade das Kommerzielle formal viel kühner ist als das beamtete Avantgardistendasein mit Pensionsberechtigung (um mal etwas zu übertreiben). Ich meine: Das „Metropolis“ sollte Werbung zeigen vor dem Hauptfilm. Das entweiht, gibt Zeit, sich im tiefschwarzen Raum zu sammeln, bringt Geld – und oft gibt es die tollsten Sachen zu sehen.
Die Attraktivität des Programmes wechselt für mich sehr stark. Ganze Monate gehe ich nicht hin. Ganze Monate hetze ich Tag für Tag zu den unmöglichsten Zeiten zwischen den Schaukästen in den Hinterhof, eine Zigarette hastig im Sand des Foyer-Aschenbechers ausdrückend, um mich, oft mit knisternden Plastiktütchen beladen, meist während des Vorspanns, der vierten oder fünften Reihe niederzulassen. Man sitzt nicht sehr weich, aber man gewöhnt sich. Die Filme werden mit größter Sorgfalt und komplettem Nachspann vorgeführt. Oft hält Heiner Roß Vorträge über die Schwierigkeiten der Kopiebeschaffung. Da er das tut, erspare ich mir hier die Recherche.
Das „Metropolis“ arbeitet viel mit ausländischen Kulturinstituten, Botschaften etc. zusammen. Es beteiligt sich auch an Anlässen wie finnische oder polnische Wochen. Das hat sein Gutes, wenn die Botschaften oder Wochen oder Kulturinstitute die der Vereinigten Staaten, Frankreichs oder vielleicht auch Italiens sind. Auch Lateinamerika, Sowjet-Union oder Spanien mag hin und wieder hingehen. Aber leider wird viel zu häufig so ein Exotismus ausgelebt, der ausgerechnet den Ländern eine Chance gibt, wo sich eine Filmkultur überhaupt noch nicht entwickelt hat. Und wenn man sich nicht für die Länder selber interessiert, hat man nichts von zweiwöchigen Bulgarien-Dokumentationen. So was müßte Aufgabe des slavistischen Instituts der Universität Hamburg sein; im „Metropolis“ mmmt es die Zeit für Wichtigeres. Wenn das Wichtige getan ist, nämlich den Hamburgern die Geschichte des Films, die bislang spurlos an ihnen vorübergegangen ist, nahegebracht zu haben, kann man sich solchen Randerscheinungen widmen. Aber solange selbst Hamburgs aufgeschlossene Bevölkerungsschichten nicht einmal wissen, daß John Wayne ein großartiger Schauspieler war und ihn immer noch vor allem für eine Verkörperung des US-Imperialismus halten, muß hier noch viel getan werden. Zwar kennen inzwischen die meisten Menschen, die ins Kino gehen, Howard Hawks und (vielleicht auch dank des „Metropolis“) Fritz Lang, aber sie haben viele wichtige Filme dieser Regisseure nie gesehen. Ihre Aufführung war immer von kommerzieller oder programmplanerischer Zufälligkeit bestimmt, nicht von guten ‚halbwegs‘ vollständigen Retros. Schlimmer noch ist, daß Regisseure wie Raoul Walsh, Tay Garnett, Jacques Tourneur, Don Siegel, King Vidor, Preston Sturges etc. u.v.a. dem Namen nach überhaupt nicht bekannt sind, und wenn, vom Fernsehen. Und ein Film im Fernsehen ist ein Fernsehfilm, kein Film.
Hier gibt es viel zu tun, hier muß ein Bewußtsein umgekrempelt werden, das sich in München z.B. schon in den Sechzigern wandelte, das in Berlin eine Selbstverständlichkeit ist. Stattdessen sehe ich im Programmkonzept „Metropolis“ eher die Gefahr, einen unter Kinogängern verbreiteten Irrtum zu verfestigen. Das Zusammenfassen von stilistisch, historisch und auch sonstwie heterogenen, verschiedenartigen, unvereinbaren Filmen zu Themen-Reihen fördert die Idee, ein Film sei nichts anderes als die Exekution eines Stoffes. Eine Reihe „Oh Verbrechen“ zu nennen und dann Filme zu kompilieren, in denen irgendwann ein Verbrechen begangen wird, ist ungefähr so wie Filme zusammenzustellen, deren Regisseure ein „M“ als Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens tragen. Die Programmkinos machen ja mit ihrem „Literatur im Film“-Unsinn ganz ähnliche Fehler. Warum verzichtet man nicht auf Rubrizierungen, wenn man keine zusammenhängenden Filme zusammen bekommt und sagt stattdessen: „Hier sind ein paar Filme, die gut sind und die wir gerade zur Verfügung gestellt bekamen,“ oder so. Ich mache mir natürlich keine Vorstellung davon, wie nervenaufreibend und sonstwie grauenvoll die Arbeit an einem anspruchsvollen Kinoprogramm sein mag, aber ich möchte auf den Programmzetteln „meines“ Kinos keinen Unsinn lesen. Kino entwickelt sich nicht über Stoffe, sondern über Stile, Personen, Studios, politische Gegebenheiten etc. Dies gilt es sinnfällig zusammenzustellen.
Und in diesem Punkt hat das „Metropolis“ Großes geleistet. Mit Lang fing es sehr gut an. Tagelang das Gesicht von Rudolf Klein-Rogge, tagelang die größten, gleichzeitig gewagtesten und akkuratesten Filme der Zwanziger zu sehen. Das war schon was. Moderne Begriffe von Fahndung und Polizei. Duplizität von Over- und Underground. Eine Fritz Lang-Reihe ist ein künstlerischer Verdienst, ein massiver Eingriff ins Bewußtsein. Eisenstein-Reihen können wir auch im Abaton sehen, und außerdem gibt es da auch Werbung und Getränke. Der angekündigte zweite Schub Fritz Lang kam bis heute nicht. Wenn eine komplette Zusammenstellung aller seiner amerikanischen Filme zu schwierig sein sollte, dann tuts auch ein Teil. Man läßt sich sowas gerne erklären.
Ein andrer Höhepunkt war Jean-Marie Straub und Danielle Huillet, denn die sind auf der Langstrecke die besten in Deutschland arbeitenden Filmschaffenden der letzten zwanzig Jahre. Im Zusammenhang sind ihre Filme nicht nur klarer, sondern auch besser. Zur Aufführung der beiden Böll-Arbeiten („Verfilmungen“ wäre ein falsches Wort, denn Straub/Huillet leiden gerade nicht unter der Bewußtseinstrübung, die diesem Begrift zugrunde liegt) „Machorka Muff“ und „Nicht Versöhnt“ war einer der alten Hauptdarsteller aus den frühen Sechzigern herübergekommen. Er saß amüsiert in der zweiten Reihe und man konnte ihn so von hinten und von vorne sehen. Die Holger Meins gewidmete Schönberg-Verfilmung „Moses und Aron“ , die das Fernsehen dreimal wegen dieser Widmung absetzte, lief mit Widmung. Mein genereller Blick auf das Kino wurde durch die Retrospektive dieser Filme, die ich mir in den Jahren zuvor zusammenklauben mußte, („Nicht Versöhnt“ lief mal in einer dieser blöden „Literatur im Film“-Reihen nachmittags vor grölenden oder gelangweilt mit den Füßen scharrenden Schülern im „Magazin“, „Moses und Aron“ vor protestierenden Alternativen im „Klick“) so verändert und umgestellt wie nachher nur noch einmal wieder im Metropolis, bei der David Wark Griffith-Retro, der wichtigsten pädagogischen Leistung dieses Betriebes.
Man sollte dieses Monatsprogramm zur Pflichtvorführung machen für Jeden, der aus Steuermitteln einen Film bezahlt bekommt. Die streng chronologische Anordnung machte klar, wie Kino entsteht; nicht nur, wie es historisch entstanden ist, sondern wie es Tag für Tag immer wieder neu entsteht. Wie Worte, Bilder, Gesichter, Bewegungen, Schriften, Blicke und Behauptungen aufeinander zugehen und sich gemeinsam aut den Weg machen. Es ist ja nicht damit getan, daß die Bilder laufen. Wenn man so etwas geschen hat, ist nichts mehr so wie vorher. Nicht einmal der nichtigste Werbespot bleibt selbstverständlich. Film funktioniert nicht mehr wie vorher, wenn vorgeführt wird, woher er kommt, und was er im Wesen ist.
Ich hätte nun gerne anschließend eine Stroheim-Retro oder eine Murnau-Retro oder frühe Ford-Filme gesehen, aber das war natürlich nicht möglich, auch das „Metropolis“ muß sich da vermutlich an einer gewissen Ausgewogenheit orientieren.
Eine andere wichtige Aufgabe, neben der Filmbildung, das Arbeiten mit der Avantgarde, hat das Kino vorzüglich wahrgenommen. Gleichzeitig mit Griffith gab es Wybornys 16-mm-Filme komplett, was in verschiedener Hinsicht gut paßt. Die von ihm und anderen beeinflußte junge Hamburger Avantgarde fand gelegentlich ihren Platz. Häufiger wäre besser. Und sogar die bescheidenen Anfänge einer Hamburger Super 8-No Wave, wie sie in New York floriert, feierte wenigstens für einen Termin in Gestalt von Filmen von Klaus Maeck, Donald Fuck und Kid P. Einzug in dem Kulturtempel. Häufiger wäre besser, und man sollte sich bei diesem Punkt von der Fixierung auf Hamburg lösen. Super 8-Punk existiert in der ganzen BRD und braucht dringend Öffentlichkeit. Ähnlich wie in Berlin das „Arsenal 2“ könnte das „Metropolis“ bei uns eine tägliche Einrichtung (vielleicht zur Nacht) auf die Beine stellen, die alte und neue Avantgarde zusammenbringt und in dem Rahmen ihrer kulturellen Umgebung präsentiert (Musik und bildende Kunst).
Einmal kamen die Bs nach Hamburg. Scott B und Beth B sind zwei New Yorker Filmer, die durch die unabhängigen Kinos der Welt touren wie Rock-Bands. In Hamburg spielten sie im „Metropolis“ und brachten eine Menge amerikanische Intelligenz mit. Sie redeten mit jedem, der wollte, besuchten Parties und Konzerte und zeigten nebenbei auch ihre Filme. Solche Leute sollten öfters kommen. Es gibt genug davon. Ihre Anwesenheit erweitert die Ideen davon, was möglich ist.
Das Publikum im „Metropolis“ ist eine angenehme Kreuzung aus „Abaton“, Kunstschule, Galerielöwe und Opernsänger. Von der „Abaton“-Kundschaft fehlen zum Glück die Freunde der lauten Unterhaltung im Kino, die einen Film nur noch betrachten können wie zu Hause vor der Glotze; nämlich dumm kommentierend, ständig erklärend und übertrieben amüsiert. So war es möglich, Filme ungestört stumm zu sehen, live Pianisten zuzuhören, die z.B. einige Lang-Filme untermalten. Etwas störend ist nur, daß eigentlich immer die Gleichen kommen, sich kennermäßig zublinzeln und zum ausgezeichneten Filmgeschmack gratulieren. Etwas zu wenig Culture-Clash im Publikum. Aber das liegt an der Beschaffenheit dieser Welt, nicht am Kino.
Eine Leistung des Metropolis, die unbedingt gewürdigt gehört, ist der Blick auf Hamburg im Kino. Die Wiederholung der ersten Hamburger Filmschau war sensationell. Schön ist das Bemühen dieser grauen, scheinbar gesichtslosen Stadt durch die Zusammenstellung von Filmbildern, auf denen sie in den verschiedensten Zusammenhängen vorkommt, zu einer romantischen Identität zu verhelfen, sie zu seinem gleichberechtigten Schauplatz zu machen, der es auch mit Chicago, New York, L.A. oder Paris aufnehmen kann.
Viele schöne Aufgaben gäbe es für die Zukunft dieses Kinos. Zum Beispiel wünsche ich mir seit Jahren, daß sich mal einer wirklich umfassend und kenntnisreich dem ungehobenen Schatz amerikanischer B-Filme seit dem zweiten Weltkrieg widmet, der filmischen Pop-Kultur mit all ihren umwerfenden Bizzarerien (man lese hierzu „The Cramps Guide to Teenage Monster Stories“) und die vielen Retros, die nur das dritte Programm vom WDR macht, wie man manchmal neidisch den TV-Programmen entnimmt, sind auch bitter nötig.



