Was wäre die neue Michael-Jackson-LP ohne Paulinho da Costa? Der berühmte brasilianische Percussionist, einer der vielbeschäftigsten Percussionisten neben seinem Landsmann Bosco de Oliveira, spielt auf jedem Track die sogenannten Percussions und damit das Instrument, mit dem auch Michael Jacksons Karriere bei der Familienband Jackson 5 einmal begann, die Bongotrommel (also ganz unten).
Wer in einer Großfamilie aufwächst, fühlt sich schon dann einsam, wenn weniger als fünf Menschen im Raum sind. Wer aber infolge einer extrem anstrengenden Pubertät schwer wunderlich geworden ist, und so die natürliche Andersartigkeit anderer Menschen im Vergleich zu sich selbst nicht ertragen kann, ist besonders einsam und tröstet sich bekanntlich mit der berechenbaren Andersartigkeit von eigenartigen Tieren und nächtlichen Telefonaten unter falschen Namen mit George O’Dowd. Ich wollte fragen: Was machen wir jetzt mit dem armen, einsamen Michael Jackson?
Diesen Monat schrieb er Fernsehgeschichte. Er und CBS schafften es, dem deutschen Fernsehen (und mit ihm zahlreichen anderen europäischen Staatsfernsehprogrammen) sein neues Video incl. zusätzlichem, seine einmalige Karriere feiernden Werbespot auch noch gegen Geld unterzuschieben. Alte Formel-1-Streits zwischen Staats-TV und Plattenprivateigentum dürften damit endgültig und paradigmatisch zugunsten des mächtigsten Musik- und Copyright-Eigentümers auf der Welt entschieden sein. Er darf ebenso deutschen Puristen des öffentlichen Rechts die Bedingungen diktieren wie über das Werk von Klassikern der Musikgeschichte uneingeschränkt befinden. Wenn es Michael nicht gefällt, erscheinen gewisse Beatles-Platten nicht mehr, dürfen ihm unliebsame Songs (wie im Falle von „I’m Down“, das die Beastie Boys aufnehmen wollten) nicht mehr gecovert werden. Man stelle sich vor, sagen wir, Michael Ende besitzt die Rechte am Werk Goethes und findet den „Faust“ zu heavy und den „Werther“ zu negativ und unterbindet fürderhin deren Erscheinen oder verhindert Inszenierungen ihm mißliebiger Theater.
Und wir erwähnen hier nicht umsonst so einen wie Ende und seine Anhängerschaft verzückter Lehramtsanwärter, die es immer für irgendwie wünschenswert hielten, wenn die Kinder auf diesem Planeten mehr zu sagen hätten: Das erste, was die täten, wäre nämlich, Alkohol, Mathematik und schwierige Bücher zu verbieten, weil sie das unheimlich finden. So auch Michael Jackson, einer der mächtigsten Männer (?) des Kulturbetriebs.
In seiner Einsamkeit und seinem Anlehnungsbedürfnis findet er zwar noch immer Männer, Väter, Mütter, die mit ihm ins Studio gehen und Duette aufnehmen, so daß wir uns noch eine Weile auf den sicherlich ungemein beruhigend-mäßigenden Einfluß eines Paul McCartney vielleicht verlassen können. Doch in letzter Zeit häufen sich geplatzte Duos. Mit Freddie Mercury kam er einfach nicht zurecht. Man hatte sich nichts zu sagen/zu singen. George Michael wurde im nachhinein gekippt, nachdem er im Londoner Nachtleben wieder einmal die Klappe nicht halten konnte und Klatsch über die gemeinsame Arbeit im Studio verbreitete. Der Einfluß anderer Erwachsener wurde ebenfalls in letzter Zeit minimiert, so daß man sich fragt, was Michael Jackson mit Macht und Einsamkeit – zwei sehr starke Drogen für ein Kind – in nächster Zeit anrichten wird, wenn man ihn läßt, und warum er gerade das tut, was er sowieso schon tut: Die Gespräche mit denen, die er wirklich schätzt, auf Band aufnehmen (Warhol, gut), die größte Cartoon-Sammlung der Welt vervollständigen (McCartney, Scheiße) oder fliegen lernen und generalstabsmäßig planen, 150 Jahre alt zu werden (darüber werden wir reden müssen!).
Gewalt im Fernsehen
Die geläufigen Ideen über Michael Jackson lassen sich in der Regel leicht durch ein Gegenbeispiel widerlegen: Er ist steril und asexuell. Andererseits genießt er jede schlüpfrige Sex-Symbolik, die ein Video-Regisseur aus der Mantelinnentasche zieht. Er ist schwul und auf Mütter (Jane Fonda, Diana Ross) fixiert. Andererseits genießt er die Umgebung von hübschen bunten Püppchen und mag nicht von seinen Vätern lassen (Spielberg, Quincy Jones etc.). Er ist ein Solipsist, der durch Spielzeuguniversen donnert, und will mit der Welt nichts zu tun haben. Andererseits will er sie doch immerzu verbessern, die Welt, indem er der Dritten Welt rät, mehr zu spachteln, und den Fellow-Negern, die nicht auf der besseren Schule waren, dringend vom Gebrauch der Droge Crack abrät (wie zuletzt im Fernsehen). Usw. Die Wahrheit ist: Jede dieser Eigenschaften bedingt jeweils die andere, toleriert sowieso die andere wunderbar, solange nicht eine ernst gemeint der Prüfung durch die Welt ausgesetzt wird, wo Widersprüche nämlich erst Folgen haben (und sie vervollständigen so das fast schon triviale Psychogramm des durch keinerlei Tradition des Geldes vorbereiteten Kapitalismus-Anfängers, wie er in den USA immer schon und demnächst immer häufiger auftauchen wird). Michael Jackson meint allerdings nichts ernst, denn er kann in seiner Lage logischerweise nicht ERNST denken.
Dabei sehnt er sich ganz massiv nach dem Ernstfall, nach Beule, Krawall, Elend und Tod. Diese Ernstfälle, die er, wie im übrigen die meisten von uns, aus dem Fernsehen kennt, haben es ihm angetan, und er will sie bewältigen. Die, die ihn nicht persönlich betreffen (Armut, Hunger, Crack, Gewalt), durch saugeile Videos, durch die er gefahrlos und symbolisch am Leben anteil nimmt, den, der ihn betrifft (Tod), durch Verhinderung (panische Gesundheits- und Lebensverlängerungsprogramme).
Mehr als jeder andere mußte Michael Jackson die Grundidee eines jeden Amerikaners, das alles machbar ist, wenn man nur will, und die Grundidee eines jeden begüterten Amerikaners, daß alles käuflich ist, wenn man die Knete hat, im eigenen Leben ständig bestätigt finden. Und bekanntermaßen macht die erste Erfahrung das Leben schön, die zweite aber unsagbar schal und fad, wie uns die französische Bourgeoisie, atemlos zwischen zwei Exzessen, seit zweihundert Jahren zu erzählen versucht. Und hier kommt Michael Jackson und will sich die Unsterblichkeit machen lassen, ahnend – gähn, das gute alte Thema –, daß Lebenszeit nicht käuflich ist. Wie auch die Gabe, fliegen zu können, sein anderes Lebensziel neben dem biblischen Alter.
Wie ihr wißt, habe ich es gerne, jeden dahergelaufenen Popstar als Philosophen zu lesen. Michael Jackson darf man spätestens seit dem Satz „We are the world“ den reaktionärsten Menschen der Erde nennen. Andererseits ist bei ihm die gute wie die schlechte Science-Fiction-Produktion der letzten zwanzig Jahre zu so einem massiven Ernstfall zusammengeschnurrt, daß der wirkliche Ernst seiner Lage (seine Macht) unbesetzt und steuerlos durch das Universum seiner Möglichkeiten treibt. Hier ist ein Kind König geworden, laßt uns sein Mazarin werden, laßt uns Prinzregenten werden – so funktioniert ja der Reiz am Michael-Jackson-Klatsch. Ein romantischer Widersinn aus dem vorigen Jahrhundert, aber so wirklich wie die Depressionen des Claus von Amsberg.
Größtmögliche Erdferne
Was ist also passiert? Das Martin-Scorsese-Video „Bad“ ist wirklich fast nur öde, der Schwarz/Weiß-Anfang, die dreigliedrig steigende Armut/Verwahrlosung, die der Musterschüler auf dem Wege nach Hause durchstreift, sind noch ganz schön. Der Moralappell an die im bronxigen Ghetto gebliebenen kleinkriminellen Freunde des Musterschülers gehört schon zum Widerlichsten, das blöde Ballett braucht auch kein Mensch mehr, der Song ist guter alter Stumpf-R’n’B, wie man ihn nicht oft genug hören kann. Einmal sieht man kurz ein Fahndungsplakat in der U-Bahn-Station, das dann heruntergerissen wird. Über vier Bildern eines Delinquenten, den man als Martin Scorsese erkennen kann, steht: „Wanted For Sacrilege“. Fragt sich, an wem dieses Sakrileg begangen worden ist: an Scorsese, an der Filmkunst, an Michael Jackson, an Scorseses gutem Ruf …
Aber die Sache liegt eh ganz anders. Alles, was ich eben gesagt habe, hat nichts mit der Musik zu tun, die wir in den nächsten sechs bis zwölf Monaten überall hören werden, wo auch immer wir uns in diesen Städten aufhalten, von denen bleiben wird, der durch sie hindurchging: der Wind. Die Langspielplatte Bad von Michael Jackson, produziert von Quincy Jones, enthält eine Fülle von luxuriös produziertem, gelöst groovend eingespieltem zeitlosen R’n’B , auf der Höhe dieser Zeit, frei von Genialität und Prince entfaltet sie Mainstream-Musik, die uns nicht an alle amerikanischen Häßlichkeiten denken läßt, einen prallen, schwarzen Groove-Klassiker, the sound of money, und alles, was man dafür kaufen kann, plus eine Stimme, die man so wenig kaufen kann wie das ewige Leben, der Stand der Produktivkräfte, eine Leistungsschau, mehr nicht, aber mehr als die Funkausstellung, und eben genau das, wofür Radios erfunden und in Autos eingebaut wurden.
Während der Vorführung dieser Meisterleistung von Werbespot, für den die ARD auch noch bezahlt hat, vor dem eigentlichen Video, sieht man auch einmal den Sänger als Außerirdischen neben dem Führer der Erdlinge, dem altmodischen Ronald Reagan, der mit seiner aus „Spitting Images“ bekannten The-president’s-brain-is-missing-Stimme ein paar passende Worte über den amerikanischen Traum zu dem verrückten Milliardär aus dem anderen Sonnensystem sagt, zu dem Kobold aus der neunten Dimension. Was ist Ronald Reagans Politikaster-mit-freundlichem-Altersschwachsinn-Gesicht für ein erbärmliches Feindbild gegen diesen Marsianer, der alles hat und alles kann und alles beherrscht und auch bereit ist, seine Waffen zu gebrauchen? Was sind Maul- und Leinwandhelden wie Rambo, Norris oder Schwarzenegger mit ihrer devoten Söldnermentalität als Knechte des jeweiligen Willens des amerikanischen Kapitals gegen den extremsten Repräsentanten des allerneusten und aller-entschlossensten Geldes, und was gibt es für einen freundlicheren Slogan zum Vor-sich-Hinmurmeln, wenn man seine neuen Produkte genießt wie gute Jahrgangscocacola oder anderes perfektes, synthetisches amerikanisches Glück, zum Fordern und nicht Vergessen, als ENTEIGNET JACKSON! VERGESELLSCHAFTET DIE SCHLÜSSELPRODUCER (Quincy Jones)! SOZIALISIERT DISNEYLAND!
Die Gruppe Culturcide hat schon mal damit angefangen. Auf ihrer LP Tacky Souvenirs From Pre-Revolutionary America wird direkt das Copyright attackiert, neben Springsteen, McCartney etc. vor allem Michael Jackson. Die bekanntesten, sattgehörtesten US-Hits der letzten Jahre laufen einfach durch, und Culturcide spielen ein paar inkompetente Lärmsoli oder den einen oder anderen blöde passenden Griff dazu. Gelegentlich legen sie ihre eigenen belehrenden Spotverse über die Originale, aber so gelangweilt vorgenölt, daß deren kritische Offensichtlichkeiten einem nicht penetrant kommen. Die LP der Coolies, die grundsätzlich nur Paul-Simon-Songs spielen, von diesen aber nur Titel und einige besonders fiese Textzeilen übernehmen, geht einen ähnlichen Weg. Die moderne Sampling-Technology ermöglicht in einem solchen Copyright-Krieg nahezu jeden Übergriff, jeden Zugang zu Quincys und Michaels Marsianer-Paradies.
Und überhaupt: früher war es ein Zeichen von faschistoider Xenophobie, die Außerirdischen als bösartige Aliens zu zeichnen. Heute ist der Alien, nachdem er zu Recht für eine Weile zu einer Ikone der Subkultur und der Subversion wurde, zu genau dem Bestandteil bourgeoiser Folklore geworden, der die Endstationen von Yuppie-Karrieren glorifiziert: hysterisches Verhältnis zur Fitness des eigenen Körpers, größtmögliche Erdferne (Penthouse) bei möglichst perfekter Bodenkontrolle (gelegentliches Herabsteigen zu den schwarzen Brüdern, ihnen mit der Gewalt eines von üblen Hauern unterstützten Balletts eintrichtern, daß man noch einer von ihnen ist, und ihnen anschließend mit auf den Weg geben, nicht so viel zu klauen). So sind unsere verrückten kleinen Milliardäre mit ihren Kindergemütern. Ja, enteignet Michael Jackson. Ja, böse Menschen haben gute Grooves.

