Neues Deutschland – Stolz und Freude über das gemeinsam Erreichte

Ein paar Gruppen gibt es doch in Neu-Deutschland, die sich andere Strategien erworben haben, als sich in mittelalterlicher Ergriffenheit aufs Armageddon vorzubereiten oder sich politisch zu profilieren, indem sie Polizeibeamte Bullenschweine nennen. (Warum müssen immer Tiere für Beschimpfungen herhalten? Bullen und Schweine sind gequälte Opfer einer maschinellen Landwirtschaft und tun niemandem etwas zuleide. Sie räumen keine Startbahn-Bauplätze und auch keine instandbesetzten Häuser.) Neben Geisterfahrer und Freiwillige Selbstkontrolle sind die Kasseler Neues Deutschland eine der interessantesten Bands des deutschen Untergrunds geworden. Sie lieben BRD und DDR, denn sie wohnen direkt an der Grenze.

Ästhetik und Wirklichkeit in den deutschen Republiken ist ihr Thema, dem sie sich mit Liebe widmen. Schlagzeugerin Sabine Hartmann: „Wenn ich höre, daß Leute auswandern wollen, nach Australien oder so, bin ich völlig fassungslos. Wenn man sich mit den Dingen hier erst mal richtig beschäftigt, Fernsehen, Bild-Zeitung usw., ist das alles unheimlich interessant.“

Die Gruppe besteht seit über zwei Jahren und nannte sich auch schon mal Rexiw, wenn es darum ging Video/Installations-Kunst live zu verwirklichen. Als erstes deutsches Untergrund-Label veröffentlichte das gruppeneigene Iron-Curtain-Label eigene Videos und produzierte andere Kasseler Bands wie Modern Entertainment (inzwischen als Ex-Kurs bei Phonogram) und im Moment ist man von den Helden fasziniert, einer minderjährigen Pop-Band mit tollen Melodien, die man auch schon auf dem letzten Klar!-80-Sampler hören konnte. „Unser Label-Konzept ähnelt No Fun: Gruppen aus der Gegend produzieren, die man persönlich kennt.“

Was an der Gruppe über die LP hinaus gut ist, ist ihr Umgang mit der Provinz-Situation in Kassel. Lest noch mal aufmerksam den Leserbrief der C.U.B.S. auf Seite 5. Die Methode von Neues Deutschland scheint mir eine gute Antwort auf die angesprochene Problematik. Wer in der Provinz lebt, sollte nicht die Großstadt imitieren. Die Provinzler sollten ihre Umgebung, nicht den Traum von einer anderen Welt, als Ausgangssituation nehmen, Regionalismus sollte nicht bei bärtiger Folklore aus vergangenen Jahrhunderten und akademischer Volksliedforschung enden. Das Konzept von Neues Deutschland, die aktuelle Folklore des Zonenrandgebiets, wo West- und Ostfernsehen sich im Äther schneiden, Löwenthal und Schnitzler zum Sprachrohr einer Macht werden, zeigt da einen interessanten Weg. Warum nicht auch eine „Avantgarde-Folklore“ für die schwäbische Alp?

Das folkloristische Element bei ND ist in der Musik nur durch eine gewisse Simplizität erhalten. Peter Hartmann singt, Sabine Hartmann spielt Schlagzeug und George Hampton spielt mal Gitarre, mal Baß. In Zukunft wird vielleicht noch ein Posaunist mitmischen. Geplant sind Wanderauftritte bei Karl Carstens oder vor der Villa Hammerschmidt oder bei der Leipziger-Messe. Aber Folklore meint eben bei ND vor allem den gesunden Anspruch, nicht die großen Gefühle zum großen Ganzen auszustoßen, sondern sich mit Liebe der Details der eigenen Welt anzunehmen. Songtitel beziehen sie aus der „Bild“ oder ihrer Lieblingssendung „Kennzeichen D“: „Liebe Kennt Keine Grenzen“ etwa, die rührende Geschichte von der deutsch-deutschen Liebe stammt aus der „Bild“, der Slogan vom „Kapitalistischen Wildwux“ dagegen aus der DDR.

Bei ND gibt es nicht diese blödsinnige, veraltete Herrschaft der Phantasie. ND findet statt zu erfinden. Medienrealität wird automatisch zum Textteil. Alles ist Kunst. Repräsentation der Repräsentation. „Wir möchten in Würdigung besonderer Verdienste um die Verständigung und die Freundschaft der Völker und um die Erhaltung des Friedens mit dem Stern der Völkerfreundschaft in Silber ausgezeichnet werden oder noch besser: In Würdigung überragender Verdienste beim Aufbau und bei der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Deutschen Demokratischen Republik und der Festigung der Völkerfreundschaft mit der Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden!“ „Wir verstehen die Russen immer besser mit der Zeit“. „Wenn du so’ne DDR-Illustrierte liest, das ist so toll, die packen in jeden Satz eine Gefühlsaufwallung, das ist wahnsinning. ‚Stolz und Freude über das gemeinsam Erreichte‘.“

George: „Es kommt eben darauf an, daß man das mal ausschlachtet. Das ist ja eben das, was Deutschland zu Deutschland macht. Jeder weiß im Ausland: Das ist so’n Land, da geht’n Zaun in der Mitte durch. Das ist für die Ausländer total unvorstellbar.“ Sabine: „In Moers meinte ein Typ: ‚Die kommen vom Zonengebiet, diese Gruppe, denen geht’s nicht so gut wie uns. Wir haben hier gleich die holländische Grenze. Das ist cool, aber die haben die Zonengrenze, denen geht es schlechter als uns.‘ Die haben uns wirklich überhaupt nicht verstanden. Für mich ist das super, daß ich an der Zonengrenze wohne.“