Yello

„Die Residents sind große Yello-Fans“, sagt Jay Clem von der Cryptic Corporation und Manager des Residents-Label Ralph Records (mehr über ihn im nächsten Heft), nachdem er vorher die Kriterien für die Aufnahme von Künstlern für das Ralph-Label formuliert hatte: „Intelligenz, revolutionäre Ideen und Sinn für Humor“.

Mit dieser Kombination sind die Qualtitäten des Schweizer Trios Yello wahrhaftig trefflich umrissen. Nicht der existentielle Drang zur Äußerung, nicht das jugendliche Begehren sind der Motor der Yello-Musik. SOLID PLEASURE, das erste Album der Band, ist in der Tat ein massiver Spaß. Eine Band kommt zu Wort und Ton, die weder ihre Jugend in der strengen Zucht eines Jesuiteninternat verbringen mußte, noch ihre Zivilisationsneurose aus Akrons verbranntem Gummi speist, sondern von Egomanien und anderen Manien verschont, ziemlich gesund, intellektuell und muikantisch, sich dem vorgefundenen Material aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Rockmusik zuwendet.

Dieter Meier, Senior der Band, Sänger, Texter mit einer bewegten Vergangenheit warnt mich: „Ich mag der Gesprächigste der Band ein, aber die anderen Boys sind mindestens ebenso wichtig; für unsere LP vor allem der Boris. Boris Blank bedient die Synthis, Carlos Peron, laut LP-Credits, Effects und Tapes, beide laut Meier ca. 26 Jahre alt, arbeiten schon seit längerem menschlich und muikalisch zusammen, ohne vor Yello-Zeiten an die Öffentlichkeit getreten zu sein. Eine Yello-12-inch-Platte erschien bereits in der Schweiz (sagte ich schon, daß das Trio aus der Schweiz kommt, sich aber nicht schweizerisch sondern eher landlos, ja kontinentlos anhört), von Dieter Meier gibt es eine Single unter eigenem Namen und eine mit der Band Fresh Color aus Aarau, aber die Person Meier lohnt noch intensiver beleuchtet zu werden. Dieter Meier ist nämlich auch einer der Leute, die seit Jahren einen Namen auf der Kunstszene haben, und plötzlich in der Musikszene auftauchen. (Vgl.: z.B. Genesis P-Orridge). Seit mehr als einem Jahrzehnt ist er auf diversen Sektoren und unter Ausnützung diverser Medien aktiv (Film, Video, Environment/Konzept-Art, Performance etc.). Als „bezeichnend für meinen Approach“ nennt er etwa ein Video-Band, das Meier zeigt, wie er sich mit „großem Ernst um equilibristische Kunststücke“ bemüht, „die ich natürlich gar nicht kann“. In New York („wo eine Pistole etwas anderes bedeutet als in Europa“) stellte er sich bei der Eröffnung seiner Austellung in die Eingangshalle und richtete eine Pistole auf den Eingang. Beim Näherkommen konnte man eine kleine Tafel mit der Aufschrift „This Man Will Not Shoot“ entziffern. Bei der Dokumenta in Kassel hat er eine gußeiserne Platte vor dem Kasseler Hauptbahnhof in den Boden eingelassen mit der Aufschrift: „Auf dieser Platte wird Dieter Meier am 23.3.1994 von 15 Uhr – 16 Uhr stehen“ – „Bis jetzt meine erste Verabredung für die 90er Jahre!“, sagt Dieter Meier bei unserer Begegnung im Phonogram-Penthouse (Phonogram wird die Platte, wie auch andere Produkte, von Ralph Records in der BRD vertreiben).

Wie ist Meier zur Musik gekommen?

„Ich habe jahrelang Gitarre mit nur einer Saite gespielt und dazu so eine Art klösterlichen Singsang gemacht, ich habe das täglich so ein bis zwei Stunden praktiziert und irgendwann mal ein Band aufgenommen, um zu testen, ob meine subjektive Wahrheit einen objektiven Wert hat.( … ) Als Anthony Moore (mit dem Meier seit Jahren befreundet ist) damals die Slap Happy-Platte zusammen mit Uwe Nettelbeck machen wollte, sollte ich zwei Stücke in diesem Stil dazumachen. Das hat dann in der Studio-Situation überhaupt nicht geklappt. Später hat Anthony Moore noch manchmal mit mir Aufnahmen gemacht. So vor vier, fünf Jahren traf ich in Zürich den Ronnie Amsler, der heute bei Hertz ist (sehr beachtliche Schweizer Gruppe – d. Verf) und wir haben wilde, chaotische Auftritte gemacht. Achtung, fertig los, voll Power. Manchmal war das furchtbar langweilig und manchmal unwahrscheinlich spannend (…). Für mich ist das Auftreten – und die Studio-Arbeit kann man fast einschließen, da ich meist sehr unvorbereitet ins Studio komme und das für mich wie eine Live-Situation ist – so etwas wie ein Tachismus mit der Stimme, so wie Jackson Pollock gemalt hat (…) in eine Situation zu treten, die außerhalb des Zeit/Raum-Kontinuums liegt. (…) Aber ich habe auch schon immer ein sehr konstantes Backing gesucht, daß mir die Freiheit gab mit der Stimme unabhängiger zu sein.“

So negativ Meier auch die gegenwärtige Kunstwelt sieht („Konzept-Art aus dritter und vierter Hand“ … „Diese Beuys-Schüler mit diesem Nudisten-Approach: ‚Oh wie sind wir frei‘“ „Vehikel für dünnbrüstige Theoreme“ … „Bei der neuen Malerei sehe ich am ehesten so eine gewisse Power“), er betrachtet seine Wendung zur professionellen Musik nicht als ein bewußtes Nein an die bildende Kunst: „Das wäre allenfalls eine Rationalisierung im Nachhinein. Meine Wendung zur Musik hat ganz private, biografische Gründe. Mich fasziniert eben an der Musik, daß es kein Zurück, keine Zurücknahme gib.“

Wie funktioniert die Arbeit mit Yello?

„Wir üben nicht in dem Sinne. Wir reden, tauschen Ideen aus und irgendwann kommen dann die beiden Boys, der Boris und der Carlos mit schon ziemlich fertigen Backings und dann mache ich vielleicht noch einen Melodievorschlag und den Text.“

Mir erscheint die SOLID PLEASURE-LP sehr eklektizistisch und zitatenhaft, ein Jonglieren mit den verschiedensten Stilen?

„Das liegt sicher auch daran, daß Boris die Fähigkeit hat, Sounds, die er nur einmal vor Jahren gehört hat, exakt zu reproduzieren, so als würde er sich ständig damit beschäftigen. Ich habe ihm einmal eine Wagner-Platte mitgebracht, um ihm meine Vorstellungen von Ökonomie in einem Klangbild zu verdeutlichen. Am nächsten Tag hatte er ein Wagner Stück fertig. Kitschig zwar, aber total im Geiste Wagners. (…) Der Boris hat die Fähigkeit, seine Instrumente zu beseelen, der hat einfach einen unheimlich schönen Approach zu all diesen Maschinen.“

Da ist etwas, das all diese divergierenden Stile zusammenhält, ein Konzept?

„Kein Konzept. Unsere Idee ist ein möglichst spielerischer Umgang mit jedwedem Klangmaterial.“ ( … ).

Du singst englisch, hast viele englische Begriffe in deiner Rede…

„Ich lebe seit fast zehn Jahren in London. Ich bin, wie gesagt sehr gut mit Anthony Moore befreundet und spreche auch daher viel englisch. Wenn ich versuche, deutsch zu singen, was ich auch schon probiert habe, verfalle ich sofort in so einen Wein-Gesang, so 30er Jahre-Melodien.(…) Außerdem ist das so eine kleine Feigheit. Ich kann zwar gut englisch, aber in einer Sprache, die nicht deine Muttersprache ist, kannst du nie alle Bedeutungen eines Wortes kennen, sind für dich die Bedeutungshöfe der Wörter nie völlig präzise umrissen. Du hast so eine größere Distanz zur Sprache. Das ist ein ähnlicher Fall wie mit kleinen Kindern, die noch nicht völlig ihre Sprache beherrschen, und aus diesem unkonventionellen Umgang mit der Sprache ergeben sich manchmal ganz originelle Wahrheiten, ohne daß das Kind genau ermessen kann, was es da eigentlich gesagt hat. (…) Außerdem fehlt mir in der deutschen Sprache das Gebiet des Spielerischen, im Deutschen gibt es eigentlich nur Schund oder Philosophie, das ist nicht nur ein Problem der Sprache, sondern der ganzen Kultur… “

Wie seid ihr eigentlich an Ralph-Record geraten?

„Boris und Carlos waren mal, als große Residents-Fans, in San Francisco und haben sich das Ralph-Büro angesehen. Ganz privat nur als Austausch ließen sie ein paar Bänder dort. Die Leute bei Ralph fanden das dann sehr gut. Irgendwann ist dann der Jay Clem nach Europa gekommen und hat uns ein Angebot für die LP gemacht. Das war zu einem Zeitpunkt, als wir schon eine Menge Angebote ablehnen mußten, weil die Verträge untragbar waren. Ralphs Arbeitsweise ist sehr fair und auch sehr bestimmt von der Liebe zur Musik (…) Das Cover finde ich natürlich sehr häßlich, aber toll, eben typisch Ralph. Wir hatten einen anderen Vorschlag gemacht, der aber urheberrechtlich nicht durchführbar war: Ein Foto von der Fußball-Weltmeisterschaft 1954. Ein satter Torschuß eines brasilianischen Stürmers aus der Hintertorperspektive fotografiert. Ein satter Schuß eben auch als Ausdruck von a SOLID PLEASURE.“

Zukunft?

Eine neue LP von Yello ist ziemlich fertig. Carlos Peron hat eine „sehr experimentelle Solo-LP aufgenommen, die unter Umständen auch auf Ralph erscheinen wird. Dieter Meier hat in Berlin soeben den Film „Sehnsucht nach Allem“ fertiggestellt („mein erster narrativer Spielfilm“): eine dramatische Geschichte um Rock’n’Roll und Verbrechen. Im Moment wird der Film geschnitten. Es wird noch viel zu berichten geben.