Yoko Ono. Die bestgehaßte Witwe, Mutter der Avantgarde und Erfinderin des Punk ging erstmals auf Tournee – mit einem Konzept vom Sternenfrieden

Yoko Ono ist auch, schon wieder, Joseph Beuys. Auch sie will alles. Das wird bei ihr manchmal unlogisch, weil sie jede Menge Feinde hat, denen sie ihre Liebe wie ihren Haß erklären muß. Als Witwe eines der größten Protest-Sänger aller Zeiten hat sie schon viele Lieder gesungen, die Grenzen zogen, die eine und die andere, die richtige und die falsche Seite definierten, aber sie glaubt, daß wir im Prinzip alle Wasser sind und, wie sie es einmal formuliert hat, kein großer Unterschied zwischen Mao und Nixon bestehe, wenn man sie nackt auszieht, kein großer Unterschied zwischen Marilyn Monroe und Lenny Bruce, wenn man ihre Särge durchsucht.

Zwar ist es in der Welt des Denkens, die aber nicht notwendig mit der Welt der Kunst identisch ist, immer interessanter, Unterschiede zu suchen und zu bestimmen, als Gemeinsamkeiten herauszuklamüstern, aber für diese militante Menschenliebe ist kein Paradox zu doof, kein Trick verboten. Wie alle Alleserfasser, Alleserforscher hat auch Yoko Ono sich ein neues Wirtschaftssystem ausgedacht: es heißt Peace-Economy und stellt die Antwort auf den ihr oft gemachten Vorwurf dar, daß Kriege nicht, wie sie laut Vorwurf zu glauben scheint, aus bösem Willen entstünden oder gar, weil die Menschen nicht miteinander reden und sich nicht genügend lieben, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Yoko Ono will jetzt, daß aus wirtschaftlichen Gründen Frieden entsteht. Leider hat sie diese Theorie bis jetzt nur benannt, noch nicht ausformuliert, aber sie ist eben eine Konzeptkünstlerin. Konzeptkünstler denken sich oft Theorien aus, ohne sie darzulegen, eigentlich denken sie sich nur Namen von Theorien aus, was freilich wirklich eine Kunst ist.

Alle Frauenrechtlerinnen müßten Yoko Ono lieben. Sie ist die tapferste, entschlossenste, kämpferischste Frau, die ich je gesehen habe, nicht im Inge-Meysel-ich-schaff-das-schon-Sinne tapfer, nicht im Dennoch-Sinne der vom Schicksal geschlagenen, sondern im Sinne der Besessenen, die die wahren Künstler stellen.

Nicht, daß die Wahnsinnigen bessere Künstler sind, aber ein guter Künstler verzichtet nie auf die Methode der unvernünftigen Beharrlichkeit, die er bei den Besessenen lernen kann. Yoko Ono ist eine der wenigen aktiven, bekannten Künstler, die noch von der Avantgarde (professionelle Besessenheit! Weiß was sie tut!) gelernt hat, d. h. sie weiß, daß Schönheit entsteht, wenn man diszipliniert und rücksichtslos gegen sich selbst arbeitet, angelegte Häßlichkeiten und Unzulänglichkeiten der eigenen Persönlichkeit betont und zum Prinzip erklärt. Sie konnte Anfang der 70er den ausgebufftesten Free-Jazzern (John Tchicai, Ornette Coleman etc.) erklären, daß ihre Dauerschrei-Modulationen etwas mit deren Befreiungsideen zu tun hätten (was nicht stimmt, aber gut funktionierte), sie konnte bei einer Session mit ihrem Mann und dem damals gerade von Genie zum eitlen Amerikaner-Gitarristen kippenden Zappa, jeden Versuch Zappas in seine routinierte Virtuosität zu verfallen, niederbrüllen (was besonders schön klingt, weil sie es in dem Bewußtsein tut, daß sowohl sie wie auch Zappa im Grunde Wasser sind, von verschiedenen Ozeanen, und es ist typisch für ihre Methode, daß sie von ihrem Namen auf alle Menschen schließt). John und Yoko haben sich im Verlauf ihrer Karriere engagiert für: die IRA, Angela Davis, die Frauen – sie betont heute gerne, daß John Lennon der einzige Mann geblieben sei, der einen feministischen Song geschrieben habe, dieser hatte immer betont, daß ihm seine Frau die Zusammenhänge erklärt habe – John Sinclair (als Manager von MC5 der Vorläufer Malcolm McLarens, sowie Vorsitzender der White Panther Party), behinderte Kinder und die Beendigung des Krieges in Vietnam. Wer ihnen das Recht dazu abspricht, weil sie selber beide jede Menge Kapital gehabt hätten, folgt dem Gedanken, der Marxismus könne nicht stimmen, weil Marx seine Frau geschlagen habe. Das Schönste an diesen Engagements war deren Einfachheit. Nichts ist schlimmer, als ein Künstler, der bei politisch motivierten Pop-Songs glaubt, Analyse und Raffinesse walten lassen zu müssen, der gar komplexe Lehrbeispiele mit versteckten Lerneffekten für geeignet hält, eigenes Denken beim geneigten Publikum anzuzetteln. Der gute Pop-Song ist immer ein auf verschiedene Art und Weise verarbeiteter, modulierter, gestalteter Schreikrampf (Yoko Ono hat mit Geschrei angefangen und sich das Schreien selbst bei ihrem domestizierteren Spätwerk von Biolek nicht verbieten lassen), ein Wimmern, eine Abgrenzung, ein Fluch, ein kategorischer Imperativ. Durch Yoko lernte Lennon von den einfachen Dingen („Mother“, „War is over“, „Free the people now!“, „Power To the People“ etc.) zu singen. Die oft bemühte, auch von dem erlauchten Paar gerne ins Rennen geschickte Behauptung, Yoko habe Punk erfunden, ist nur zu wahr. Punk war zu genau 50 % Yoko-Ono-Japan-Blues (Wir sind alle Wasser, wir sind alle Baumwollpflücker, tu uns nicht weh! Gib uns Liebe und dem Frieden eine Chance!).

Wie Beuys ist auch Yoko Ono eine Künstlerin, die man nicht auf den wissenschaftlichen Nährwert ihrer Theorien untersuchen sollte, sondern eine der wenigen, die es immerzu wieder schafft, einfache, richtige Dinge auf so geschickte Weise zu plazieren, daß man ihr keine Fehler nachweisen kann und glauben muß. Lennon: „God is a concept, by which we measure our pain … Yoko and me, that is reality.“