„Stalingrad / Stalingrad / Deutschland Katastrophenstaat / Wir leben im Computerstaat“ steht an einer Ampelsäule neben der Bushaltestelle, von der mein Nachtbus abfährt. Ein weiterer Beweis für die Popularität der Gruppe Abwärts, insbesondere ihres Songs „Computerstaat“, vgl. auch unseren Poll und unsere Charts des letzten halben Jahres.
U-Bahn-Linie 3, Station St. Pauli, über die Reeperbahn laufen, im Imbiß Schinkenwurst mit Pommes Frites und zwei Alko-Debilos zuhören, wie sie sich wieder und wieder Sätze wie „Is-nich“ oder „Is-sichnich“ zulallen, in eine Seitenstraße gehen.
FM Einheit und Frank Z., 2/5 von Abwärts leben hier mit drei weiteren Leuten (2/3 von „Rip Off“) in einem geräumigen St. Pauli-Altbau, noch nie hatte ich es so nah zu einem Interview-Termin.
Im Flur hängen vier Ronald McDonald-Kugelschreiber an einem künstlichem Geweih. Auf ein Bravo-Poster, das John Lennon unter lauter Friedenstauben zeigt, hat jemand mit Kugelschreiber „Tot“ geschrieben, so daß das Wort genau die Fläche der weißen Taube einnimmt.
Wir reden über die Vergangenheit der Bandmitglieder. Frank Z. (Gitarre, Vocals und Komponist vieler Songs) war früher bei Big Muff, eine Band, über die er heute nicht mehr reden mag: Violinistin und Sängerin Margitta hatte FM Einheit (Effekte, Synthie und Vocals) angewiesen, nichts über ihre musikalische Vergangenheit zu verlautbaren. Drummer Axel war bei Blender und Bassist Mark Chung bei der Buschband.
Frank Z. (über die Vergangenheit von FM Einheit): „Du hättest ihn damals mal sehen sollen. Ich hab ihn mal auf auf so ’nem Festival gesehen, mit so’ner Jazz-Rock-Band. Lauter Langhaarige und er schon damals im New-Wave-Outfit, mitten dazwischen!“
FM Einheit: Das war Bertha And Friends. Die wollten da aber schon nicht mehr, daß ich mit auftrete, der einzige in der Band, der das wollte war ich.
Wir reden über Musiker und Professionalismus.
FZ: Ich würde nie auf die Idee kommen, uns als Musiker zu bezeichnen. Musiker, das sind für mich Leute, die acht Stunden üben.
Aber auch bei euren Instrumenten, also gerade bei Gitarre und Schlagzeug, sind doch wiedererkennbare Techniken vorhanden, bestimmte Mittel, die ihr benutzt…
FZ: Man muß ja auch sagen, daß, was immer so gefordert wird, grundsätzlich Neues zu machen, gar nicht möglich ist. Ich komme eben vom Rock’n’Roll, bin ziemlich geprägt von den ganzen bekannten Sachen und dieser Anspruch, immer was Neues machen zu wollen, ist eben ziemlicher Humbug. Denn es gibt nichts grundsätzlich Neues.
Glaubt ihr, ihr hättet euren Erfolg eher den Live-Auftritten oder eher den Platten zu verdanken?
FM: Live-Auftritten vor allem und durch „Computerstaat“, aber live, das ist eben eine bessere Situation. Man sieht die Leute, für die man spielt.
FZ: Aber wir haben gar nicht so viele Auftritte gemacht, wie man immer denkt, wenn du das mal mit so etwas altmodischen deutschen Bands vergleichst, die das mehr amateurhaft aufziehen, so deutsche Hard-Rock oder deutsche Jazz-Rock-Gruppen, die touren ununterbrochen, spielen überall. Wir haben aberhöchstens vierzig Gigs gemacht. Ich finde eben auch, daß man seine Sache zielgerichter machen sollte, so daß man die Sachen die man macht, auch dementsprechend vertritt. Man könnte ja unheimlich viele modische Kompromisse machen. Auch wenn du erstmal als Avantgarde auftrittst. Das sieht man ja bei vielen englischen Bands, die erst eine kompromißlose Avantgardeplatte machen, und dann plötzlich extrem kommerziell werden. Oder wie die Ramones, die mit hartem Pogo anfingen und dann kommt da dieser Superproduzent Phil Spector und macht Sachen wie dieses „Baby I Love You“ und der letzte Lacher, den du da noch herauskriegen könntest, erstickt bei dem Gedanken, wie und unter welchen Umständen das entstanden ist.
Ihr seid ja nun bei einer Größenordnung angelangt, wo vergleichbare neue deutsche Bands sich entweder nach einer großen Plattenfirma umsehen oder konsequent „Nein“ sagen, hattet ihr schon Angebote?
FM: Nein, nicht direkte, aber die könnten wir immer haben. Aber für uns ist das absolut klar, daß wir das nie machen würden, also jenseits jeder Debatte.
Weil ihr die Kontrolle verliert oder aus ideologischen Gründen?
FM: Nee, nicht aus ideologischen Gründen. Wir haben uns eben die Sache aufgebaut. Wir wußten wie das läuft und wir wissen es immer noch. Wir wollen jetzt nicht zu „Konkurrenz“ (Label der Phonogramm – Red.) gehen oder irgend so einem Scheiß-laden, weil das dann deren Sache wird. Wie es jetzt ist, wo wir die Platten selber vertreiben (FZ und FM arbeiten im Vertrieb von „Rip Off“), da wissen wir wo die Platten hingehen. Du mußt eben die Kontrolle über deine Platten auch haben, weil du viel mehr Liebe für deine eigene Musik hast. Das beschäftigt dich ja den ganzen Tag.
Wer hat sich eigentlich den Namen Abwärts ausgedacht?
FM: Der Vorteil ist, wenn du Abwärts heißt, kannst du immer geschmacklose Musik machen: es ist immer durch den Namen gerechtfertigt.
Ist eure LP eigentlich als Reproduktion des Live-Erlebnisses gedacht oder auch als Studio-LP zu verstehen? Ich hatte den Eindruck, daß das genau das ist, was ihr z.B im Hamburger Künstlerhaus live gespielt habt.
FZ: Wir haben schon immer im Rahmen unseres Könnens versucht, das Studio als zusätzliches Instrument zu nutzen. Live betreiben wir viel weniger Perfektionismus, da kommt es auch auf andere Sachen an.
Klaus Maeck (Co-Produzent der AMOKKOMA-LP, Ripp Off- und Filmemacher): Die Platte ist aber schon so entstanden aus den Sachen, die bei der Tour im Frühjahr live gespielt wurden, da ist im Studio nichts hinzugekommen.
FM: „Ich bin stumm“ ist im Studio entstanden.
Ihr habt dann ja so ein Punk-Stück auf der Platte „Karo 1/4 08/15 hoch 2″…
FZ: Ja, das ist entstanden, als dieses ganze Gewichse losging mit Bullen und Punks im Karolinenviertel, diese ganze Scheiße, in die man selber auch irgendwie verwickelt wurde.
Live erleben die Leute das ja als ein ganz normales Pogo-Stück.
FZ: Das ist das Problem. Aber es sollte auch keine Punk-Verarschung sein, ich hab das damals wirklich so gesehen.
Aber der Text ist doch ziemlich ironisch.
FZ: Aber wir wollen niemanden parodieren, es ist eben so, wie wir das sehen. Genau wie auch der „Japan“-Text.
„Bruce Lee kämpft mit dem Curryhuhn“, der gehört doch eher nach Hong-Kong.
FZ: Aber das ist eben mein Verhältnis zu Ländern wie Japan, das stellt sich in mir so dar. Diese ganzen Produkte, die ganzen Nachahmungen, fängt an mit Autos.
KM: Das gilt auch für „Maschinenland“. Das ist ja aus einer ganz konkreten Wohnsituation entstanden.
FZ: Da haben wir hier in der Simon-von-Utrecht-Straße gewohnt (eine Art Schnellstraße, auch in St. Pauli). Da war es genauso, wie im Text, wenn du aus dem Fenster sahst: „Rechte Seite Supermarkt / linke Seite Abenteuerspielplatz / in der Mitte Autobahn“.
FM: Man sollte die Texte auch nicht zu wichtig nehmen, das sind Situationen, Momente.
Aber man nimmt Texte, gerade deutsche Texte eigentlich intensiver wahr, als sich das die Musiker so denken…
FM: Aber man soll eben in Texte nichts reindichten. DAF machen ja auch ganz simple Texte, „Verschwende deine Jugend…“
FZ: „Maschinenland“, da haben wir auch noch einen Film gedreht mit Klaus (Maeck). Da hat er die Straße in Zeitraffer aufgenommen, alles ganz schnell und wir sind ganz langsam gagangen, so daß das normal aussah. Beim Abspielen ist mir überhaupt erst klar geworden, was da abgeht in der Straße.
Bei allen Sachen, die ihr macht, finde ich, daß sie immer extrem mit Hamburg zusammenhängen, so daß ich glaube, wenn ich nicht Hamburger wäre, könnte ich kaum was damit anfangen.
FZ: Das klingt jetzt vielleicht nach Klischee, aber ich würde eher sagen: das ist Großstadt-Musik. Die kommt auch in München gut.
Eure Texte bestehen ja fast nur aus einzelnen Worten, fast Parolen.
FM: Das ist eben Werbesprache. Wie wir unsere Texte machen, könnte man auch Werbung machen, dementsprechend sind auch unsere Texte schablnenhaft. Das ist ziemlich bewußt gemacht. Das ist eben die Kom-munikationsform, die heute vorherrscht.
Wie vereinbarst du eigentlich Palais Schaumburg mit Abwärts?
FM: Ja, noch geht es und ich hoffe, daß es noch länger geht. Das sind ja auch völlig verschiedene Sachen. Palais Schaumburg ist Tanzmusik, da bin ich Schlagzeuger; und bei Abwärts mache ich hingegen halt alles mögliche. Bei Palais Schaumburg reizt mich auch die Sache, mit einer Rhythmusmaschine zusammen Schlagzeug zu spielen, dadurch kann ich anders als andere Schlagzeug spielen, mehr Pausen machen, Akzente setzen.
FZ: Man muß aber auch sehen, das geht, wenn das einer macht, aber nicht wenn alle das machen. Für mich stellt sich die Frage nicht. Ich bin bei Abwärts und mache da die Musik, die ich machen will und kann die auch verwirklichen.
FM: Ja, meine Position bei Abwärts ist eben auch ziemlich zerissen. Ich arbeite ja in drei Bereichen: Singen, dann so rhythmische Sachen, Percussion und dann eben Geräusche, Krach. Ich höre eben auch ziemlich verschiedene Arten von Musik, Disco genauso wie gute Pogo-Truppen, deswegen will ich auch selber verschiedene Arten von Musik machen. Ich versuche mich bei Ab- wärts auch zu beschränken, bei Proben mache ich zehnmal soviel wie auf der Bühne. Ich versuche das Wesentliche herauszubekommen, ich glaube, daß vielen das fehlt.
Was ist es eigentlich für ein Gefühl zum hundertsten Mal „Computerstaat“ zu spielen?
FZ: Man kann das ja variieren, außerdem ist das ein Stück, das mir immer noch Spaß macht.
Und das Volk liebt es.
FM: Die schreien danach.
Aber ich verstehe nicht was „Stalingrad“ da soll?
FZ: Das ist so ein ganz volkstümliches Symbol für ein bestimmtes Gefühl, dem ich mich dauernd ausgesetzt sehe.
Aber „Stalingrad“ – da denkt man an Leichenberge im Schnee, das Besondere am Computerstaat ist doch, daß Gewalt und Unterdrückung nicht so offen sind…
FZ: Stalingrad steht aber vor allem für das Eingeschlossensein, „Der Kessel von Stalingrad“, das ist doch unheimlich bekannt… und dieses Gefühl habe ich ständig. Stalingrad ist für mich, was mir mein Alter vom Krieg erzählt hat, daß du in einen Krieg, also in eine mörderische Sache verwickelt bist, die dir Kopf und Kragen kostet, in totaler Kälte und du bist eingekesselt und wirst abgeknallt, und diese Situation ist auch jetzt da, die siehst du zwar nicht, aber die kann in fünf Minuten herbeigeführt werden, weil du eben in einem System lebst, das von Computern gesteuert wird.
Wir reden noch über die Poll-Ergebnisse und das hervorragende Abschneiden von Abwärts.
FZ: Man muß eben auch sehen, daß wir außer bei „Spex“ und SOUNDS unheimliche Schwierigkeiten mit Rundfunk und Presse haben. „Musik Express“ hat unsere Platte nicht besprochen, die „Morgenpost“ hat nach unserem Auftritt mit Cure nur über Cure geschrieben, angeblich weil wir ein „negatives Image“ haben. Und mit Rundfunk haben wir auch nur schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn du z.B. beim NDR ankommst, wollen sie dich erstmal am liebsten filzen. Nur beim SFB war es gut. Da sind wir hingekommen mit der Single, die haben sie zehn Minuten später in der Sendung gespielt und noch ein Interview gemacht.
FM: Vielleicht solltest du deine Leser noch darauf hinweisen, daß Abwärts jetzt ne Disco-Single macht und auch wieder auf Tour kommt.


