Es hing mal wieder alles mit allem zusammen. Amelita sagte: „Ich werde dich mit Tortillas, Chili und süßem Wein verwöhnen.“ Im Fernsehen. Und hinterher mußte ich zur Wondratschek-Lesung. Amelita ist eine Mexikanerin und die erste und letzte barbusige Frau in einem Howard-Hawks-Film. Wolf Wondratschek untertitelt seinen neuen Gedichtband „Die Einsamkeit der Männer“ mit „Mexikanische Sonette“.
John Wayne, der in besagtem Film, „Rio Lobo“ von 1970, für die rassigen Mexikanerinnen nur noch als „Wärmflasche“ von Nutzen ist, nimmt das mit Humor. Er hatte in früheren Hawks-Filmen genug Frauen gehabt. Anders der jüngere Dichter Wondratschek, der mit den Frauen noch ein paar Runden zu begleichen hat.
Dennoch sind auch sie recht zahlreich erschienen zur Lesung im unattraktiven „Malersaal“, irgendwo an einer sehr kalten Ecke Hamburgs. Man schaut von oben herunter, wo sich in der Mitte der großen Bühne ein kleiner Mann verliert. Der nimmt einen Schluck aus dem Plastikbecher, gurgelt kurz und spuckt dann auf den Boden. Ganz so wie die richtigen Männer.
Der Dichter gibt sich gelangweilt. Mit seiner trainiert schnöseligen Stimme liest er aus seinen Sonetten und einem noch unveröffentlichten, aphoristischen Carmen-Text mit dem Untertitel: „Oder bin ich das Arschloch der Achtziger Jahre?“
Von der Bühne wehen, langsam aufsteigend, Poeme herauf, kunstvoll gewoben aus den zäh wiederholten Schlüsselworten Weib, Weiberfleisch, Elend, Blut, Tod, Kälte, Verachtung. Rolling-Stones-Texte im Grunde genommen, die ja auch entweder „Baby, She Was Hot“ oder „You’re Cold As Ice“ heißen. Rockpoesie also. Das also, was Wondratschek, von seiner avantgardistischen Frühphase einmal abgesehen, schon immer gemacht hat.
Aber eben doch nicht. Die von Wondratschek so hartnäckig und seit Jahren beklagte Tatsache, daß die Frauen die Männer nicht ranlassen und daß die Männer darob einsam, traurig und versoffen werden, präsentiert er neuerdings nicht mehr vor der Kulisse notorischer Schwabinger Amerikanophilie. Ein neuer Geist weht nämlich unter den vierzigjährigen Rock-Poeten. Fauser, ein anderer von ihnen, beruft sich neuerdings auf Gottfried Benn, und Wondratschek flüchtet zur klassischen Form des Sonetts, um dem zu entgehen, was sie alle so lautstark hassen: dem elendiglich niedrigen, verkommenen, profanen Kulturbetrieb. Ja, damit wollen sie nichts zu tun haben; diesen Tand, diese Falschheit, diese Oberflächlichkeit haben die Herren durchschaut.
Und überall kann man jetzt das Botho-Strauß-Syndrom beobachten: das schonungslose Geißeln der Beschissenheit des oberbeschissenen Kulturbetriebs (Wondratschek: „Podiumsdiskussionen über Hängetitten“). Da wird sich angeekelt abgewandt, die Konsequenz gezogen, wieder gedichtet, Sonette geschrieben. Stabreime, Assonanzen, Binnenreime, gebundene Sprache: Schöne Sprache.
Nur, was wird bei dieser Mutation mit dem alten Beatnik-Herzen, mit dem Road-Movie im Hirn? Einem Botho Strauß fällt es nicht schwer, Goethe statt Videospiele zu predigen, aber was soll einer machen, der von Kerouac, Bukowski und Bob Dylan kommt? Der seine immens hohen Lyrikauflagen der Tatsache verdankt, daß er auf dem Buchmarkt dasselbe unselige Ziel verfolgte wie Lindenberg auf dem Schallplattenmarkt: die Eindeutschung der amerikanischen Rockkultur?
Wondratschek begegnet diesem Problem mit einem ganzen Bündel taktischer Maßnahmen, und man muß sich wundern, wie er es wieder einmal geschafft hat, den Unterbau des Zeitgeistes voll zu treffen. Man will es heute eben nicht mehr locker, man will es jetzt auch mal wieder triefend. Zwar war Wondratschek schon immer triefend, aber er troff früher locker.
Jetzt hat er die Road des Road-Movie bis zu Ende gedacht: Nach Mexiko, wo die Männer hingehen, wenn sie ihre untreuen Ehefrauen erschossen haben (jedenfalls in Rock-Texten), nach Mexiko, das das Spanien der Amis ist. Nach Mexiko, Ort für den C. G. Jung im Ami. Mit 1a-Archetypen, urigen, schlammigen Mythen und Kulten. Wo der Mann noch Mann ist und dem Tod ins Auge sieht. Und die Frau noch Frau. Alles vollgeil verworfen und umgeben von einer prima Dritte-Welt-Kulisse. Kerouac war auch dort. Und Carmens, für die der frustrierte deutsche Neo-Macho nach Malaga fliegt oder in die florierenden Flamenco-Kurse drängelt, hat’s in Mexiko die Menge.
Ja, hier ist das Leben echt. Kein Kulturbetrieb in der Nähe, keine Podiumsdiskussion bei der Siesta, keine Journalisten hinter den Kakteen. Dafür echtes Elend, echter Hunger! Hier ist der Ort, Petrarca und Allen Ginsberg verschmelzen zu lassen.
Und Wondratschek reist hin und schmiedet auf den Spuren seines neuen Lieblingsschriftstellers Malcolm Lowry, dessen Roman „Unter dem Vulkan“ und dessen mythisches Säuferelend ihm die Motive liefern, Sonette, die klingen wie eine ZDF-Produktion des ewig wahren, traurig schönen Geschlechterkampfes.
Neben mir sitzt während der Lesung ein dicker Mann mit schlechter Haut. Er ist besonders begeistert, wenn der Dichter ein ums andere Mal die Kälte der Frauen beklagt, von der unerreichbaren Carmen schwärmt und über intellektuelle Frauen unflätiges Zeug verbreitet („Dem Verstand hörig wie andere ihrem Kerl“). Er nickt, wenn Wondratschek den Gegensatz Carmen/Frauenbewegung konstruiert. Dabei konnte man erst zwei Tage vorher im „Heute-Journal“ Carmen-begeisterte Frauen sehen, die auf so rührende, traurige Art allen Klischees entsprachen, die über die Frauenbewegung im Umlauf sind, als seien sie von Franziska Becker gezeichnet worden. Doch unser Mann nickt weiter. Die prosaische Frauenbewegung, der prosaische Kulturbetrieb, die vielen Fremdworte, die Wondratschek beklagt und kunstvoll meidet – da sitzt der Feind. Ja, so ist es wohl.
Und während ich da so sitze und der Entstehung eines Weltbildes im Kopf eines bedauernswerten Zeitgenossen beiwohne, stelle ich mir vor: Irgendwann muß Wondratschek sich entschlossen haben, zum Mann zu werden. Freiwillig begibt er sich auf die Spuren des armen Säufers Lowry. Freiwillig zieht er in eine mexikanische Strohhütte, quält sich den Whisky hinein. Den, der die Männer hart macht. Freiwillig verzichtet er auf die tägliche Rasur, setzt sich gleißender, gerbender Sonne aus und brütet über den Tücken der klassischen, hoch über dem Zivilisationsgemecker der Asphaltliteraten schwebenden Form des Sonetts. Und hat er es geschafft? Ist er zum Mann geworden, zum großen Einsamen?
Vor allem eine Erkenntnis hat er aus Mexiko mitgebracht, die er zwar seiner Inspiration, dem neuerdings modischen Lowry, in den Mund legt, die aber hundert Prozent echter Wondratschek ist: „Scheiß drauf, mein Junge, hat einer gesagt, scheiß drauf, nur das ist wichtig.“
Und das korrespondiert voll mit der alten Wahrheit, daß ein Mensch sein wahres Gesicht im Fragebogen des „FAZ“-Magazins zeigt. Denn da lautet Wondratscheks Motto: „Leckt mich am Arsch“. Und das ist wieder so verdammt schweigsam männlich, daß die Ausrede, es ginge bei den Sonetten um Lowry-Motive, nicht mehr greift.
Man muß nur hinsehen, der denkt wirklich so, der ist so. Trotz aller cleveren, professionellen Dichterei, trotz cleverstem Trend-Timing (Wondratschek hatte die Carmen-Welle schon im Urin, als Saura noch am Drehen war), man kann dem da unten ansehen, daß er wirklich am liebsten ein einsamer, versoffener Mann wäre, der wie Lowry, vom Suffe impotent, von einer unerreichbaren Frau gedemütigt wird. Wondratscheks Unglück ist, daß er ein Bubi geblieben ist, ein ganz normaler, altgewordener Bubi mit einem ekligen Leitbild.
Ist er also eine lächerliche Figur, einer, der Schwierigkeiten mit den Frauen hat und das an die große Glocke hängt? Nein, das wäre zu einfach. Das kommt aus einer Tradition, aus einer ganz bestimmten Falschdenk-Ecke, die mit Verstimmtheit, Verbocktheit und Verdruß zu tun hat. Eine Ecke, aus der auch Wim Wenders und Vadim Glowna kommen. Wortkarge, gequälte Männer, denen irgendwas zu schaffen macht. Die das große Elend umtreibt. Kein konkretes Elend, wie zuwenig Sex, sondern das große Elend. Die Krise, das Nichtwissen, die Gottlosigkeit, die Sinnlosigkeit. Daß wir alle sterben müssen.
Bei Wondratschek wird all dies parfümiert und kokett serviert, von mißratenen Gesten einer müden Männlichkeit begleitet, die immer um Seriosität kämpfen, wo es nur darum ginge, gut gemachten Schmock zu verteidigen. Eine Larmoyanz, hinter der immer der zornige Schüler aufflackert, der neckische Provo alter Schule, der Protestler Münchner Provenienz.
Wondratschek haftet das Flair einer „Kommissar“- oder „Derrick“-Figur an. Er ist ganz das juvenile Problemkind aus gutem Hause, auf leicht schiefe Bahn geraten, das sich Herbert Reinecker und Erik Ode am Telephon ausgedacht haben könnten. Provo und eigentlich doch stockbürgerlich. Wolf Wondratschek ist Uschi Glas.


