Acid, incl. A.R. Kane

Eine Droge, eine Säure, ein Synonym für abartige Musik schlechthin, eine Reise in den Klang, eine neue Tanzmusik, die zehnte Chance für den Jazz oder die dritte für Grateful Dead oder die neue LP von A.R. Kane. Diedrich Diederichsen über das Nachzeichnen von Drogenerlebnissen durch Musik, und wer zu unrecht mit diesem Namen sich schmückt.

Die bemerkenswerteste Platte, die dieses Jahr aus Großbritannien gekommen ist, ist eindeutig die erste LP des Duos A.R. Kane. Bislang irgendwo zwischen 4AD-Sound und Brit-House interessant schwankend (an M/A/R/R/S beteiligt), haben sie mit 69 ein Werk der lange vergessenen und weder von Always August noch von den Fuzztones (um zwei Extreme, die jeweils auf völlig verschiedene Art mit Lysergsäure in Verbindung gebracht wurden, zu nennen) richtig wiederbelebten Richtung Musik, die Acid-(= LSD)-Trips nachzeichnet, hingelegt. Dies ist um so interessanter, wenn man bedenkt, daß sich zur Zeit eine Vielzahl von real existierenden (Acid House) und von britischen Journalisten erfundenen Gattungen (Acid Jazz, Acid Soul) mit der umgangssprachlichen Bezeichnung für die Erfindung des Professor Hofmann schmücken.

69 ist eine Platte, die alle Elemente eines normalen Acid-Trips enthält: Veränderung des Zeitgefühls, Aversion gegen alle „natürlichen“, konventionellen, alltagslogischen Strukturen und Abläufe und geduldig unermüdliche Faszination für das kleinste Detail, Wörtlichnehmen von Wörtern, Umkreisen eines einzelnen Tones etc. (dies übrigens der Beginn wie auch das Erfolgsgeheimnis der New Age Music, deren Wurzeln ja im Acid Rock, speziell seiner europäischen Ableger, zu finden sind), das sich ständig die Frage stellen: WAS BEDEUTET DAS EIGENTLICH WIRKLICH? (dieser Ton, dieses Wort, dieser Klang). Die Kunst des Acid Rock geht aber nun über das beharrliche Untersuchen eines einzelnen Tones hinaus, ihr Ziel muß es sein, nicht nur das herkömmliche Zeitgefühl außer Kraft zu setzen (und nur eine Methode, das zu erreichen, ist der geile Groove oder die Spacemen-3-Monotonie, die sich denn auch eher auf andere Drogen beziehen), sondern vor allem dennoch einen Zusammenhang zu schaffen, ein Werk, das keine Körperlichkeit hat und antilinear ist. Der Engländer spricht ja häufiger vom BODY eines abstrakten, immateriellen Werkes und genau dieser BODY, der Schwerkraft unterworfen, muß, so will es die Gattung, verschwinden, und dennoch darf nicht der Zusammenhang verloren gehen. Die Musik auf 69 ist zum Beispiel nicht arhythmisch/beatfrei, aber sie hält den Beat ganz aus der Dramatisierungs-/Einteilungsarbeit heraus: Melodisch geht die Platte mehrfach von einfach runtergespielten Skalen aus, spielt in etwas verschrobeneren Tonarten das, was Klavier lernende Kinder aus den Etüdenbüchern des berüchtigten Czerny abspielen, dabei einen anderen Aspekt von Körperlichkeit umgehend, den Baß, indem die ganze Platte ausschließlich jenseits des, sagen wir, eingestrichenen C stattfindet. Das Schwierigste aber bleibt im Acid Rock die Stimme, nichts widerstrebt der Illusion von Körperlosigkeit (die übrigens nichts mit Träumen, Dösen etc. zu tun hat, sondern – wie wir noch sehen werden – von der eigentlich jeder modernen Kunst zugrundeliegenden Idee der Überwindung der Natur handelt) wie eine menschliche Stimme, Dino Valente und Jerry Garcia verdanken ihre Karriere als Sänger nicht zuletzt diesem Aspekt, ihr phrasierungsfreier, resonanzloser Gesang klang nie wie aus einem Körper kommend, wie Ausdruck, wie Kehlkopf. A.R. Kane rekonstruieren diesen Effekt durch Echo und andere Techniken, also bewußt, aber sie erzielen ein Ergebnis, das über solche Vorbilder, gerade weil bewußt eingesetzt, hinausgeht. Das gilt auch für den alten Avantgarde-Dauerbrenner KLANGTRAUBE, im Fachjargon Cluster, der in allen Acid-Musiken eine wichtige Rolle spielt, in der Rockmusik generell aber vom Feedback übernommen wird (andere Musiken kennen Cluster beim Klavierspiel mit dem Ellenbogen etc.): ich habe indes noch nie ein derart raffiniertes, kontrolliertes Feedback gehört wie bei A.R. Kane, manchmal muß man wohl lyrisch dazu sagen.

Wir sehen: das geht über das Programm, Nachzeichnen eines Acid-Trips, hinaus, das ist der Versuch, mal wieder, einen der frühen abstrakten Malerei entsprechenden Schritt in der Song-orientierten Pop-Musik zu vollziehen, gleichwohl ist es wichtig, auf den Acid-Aspekt hinzuweisen, denn was A.R. Kane machen, unterscheidet sich immens von etwa dem, was man bei SST ausbrütet und was, um in der Analogie zu bleiben, eher die Überführung der Pop-Musik in den modernen Roman meint. Ein weitergehendes, reicheres Denken, ein Einbeziehen aller möglichen anderen Praktiken, aber immer nach den Regeln der Diachronie, des zeitlichen Nacheinander, die dem Buch zugrunde liegt (auch wenn der moderne Roman und fIREHOSE in der imaginären Zeit des Romans hin und herspringen, die Buchstaben stehen in einer Reihe), während die Acid-Erfahrung ja als Verlust der Diachronie empfunden wird bei gleichzeitig um circa 30 IQ-Punkte gesteigerter Intelligenz, insofern ähnelt die Acid-Erfahrung dem sehr intensiven intelligenten Bildersehen, das aber dennoch in der Zeit geschieht und daher von keiner anderen Kunst so gut dargestellt werden kann wie von Musik. (Also: nicht Musik als Bild, was nicht geht, sondern als Bildbeschreibung.)

Warum aber überhaupt Drogenerfahrungen nachzeichnen? Von den offensichtlichen Fortschritten, die die Pop-Musik, im übrigen als einzige Kunst, dem LSD verdankt, abgesehen, beziehen sich alle Grundstimmungen, Grundvoraussetzungen der Pop-Musik dieses Jahrhunderts auf Drogenerfahrungen, denn die Droge ist für jeden neugierigen, interessierten Jugendlichen der natürliche Verbündete zum schnelleren Erwachsenwerden, sie hat (nicht ganz zu Unrecht) den Ruf, das zu vermitteln, was ein Musiker immer brauchte und sich nicht allein aus Büchern aneignen konnte: Lebenserfahrung (mit allen bekannten Gefahren, die es in sich birgt, derart der Zeit ein Schnippchen schlagen zu wollen und seine Seele dem Mann zu verkaufen, der ALL THE BEST TUNES hat). LSD war in dieser Hinsicht ein Fortschritt, weil es die erste Intelligenz-Droge ist, die erste Abstraktions-Droge. Im Gegensatz zu den Sex- und Macht- und Coolness-Drogen wie Alkohol oder Grass oder Kokain. Das, was man von ihr lernen konnte, ist zu einem großen Maße (jedenfalls im Underground) kollektiv vollzogen worden, sie ist nicht mehr unbedingt nötig in individuellen Biographien, sie muß nicht einmal Voraussetzung gewesen sein für die Platte von A.R. Kane. Vielleicht sind neue Drogen nötig?

Womit wir bei Acid House wären. Gibt es, nach allem, was wir gesehen haben, Gegensätzlicheres als Tanzen und Abstraktion, House und Wörtlichnehmen von Klängen, Eindringen wollen in Bedeutungen? Nein, aber es sind Gegensätze von der Sorte, die eigentlich dasselbe wollen. Natürlich ist die Bezeichnung Acid House nur eine Hip-Begriffs-Spielerei wie etwa auch der Name Tackhead, der mit dem alten Acidhead etc. spielt, Acid steht hier nur für schräge House-Musik, House mit abartigen Sounds, abartigem Speed und abartigen Harmonien.

Aber Acid Music hat sowieso nichts mit Acidnehmen zu tun, ist keine Musik, die man auf Acid gerne hört, zeichnet lediglich die beschriebenen Wahrnehmungsveränderungen in für alle wahrnehmbarer Musik nach. Auf Acid neigt man stattdessen eher zu einem Kitschgeschmack, da man ja grundsätzliche Effekte untersucht, kann man keine sophisticatede Musik gebrauchen (davon lebten Bands wie Pink Floyd bis Tangerine Dream lange Jahre), schon Aldous Huxley stellte in seinem bekannten Essay Die Pforten der Wahrnehmung fest, daß ihm seine Lieblingsavantgarde-Platten unter Mescalin wie „Katzenmusik“ vorkamen und es ihn stattdessen nach Funktionsharmoniks „Greatest Hits“ (Bach, Mozart etc.) verlangte.

Acid House trägt aus drei Gründen den Namen Acid nicht ganz zu Unrecht: 1.) Acid hat natürlich eine körperliche Seite: der ganze Körper besteht nur noch aus Nerven, von den Knochen bis zur Epidermis: alles nur noch Nerven. Hörst Du Dir abstruse Acid-Tracks an, ist das genau das: das extrem physische Empfinden, daß alle Nerven gleichzeitig gekitzelt werden, und zwar durch die einfachsten Mittel: hohes Tempo ohne eigentlichen Rhythmus (alle Beats werden gleich betont), eigenartige Schnarr- und Kratzgeräusche (hundertmal fremder und gefährlicher und irgendwelchen inneren Organen, die sich nicht wohlfühlen, ähnlicher als das vertraute Scratchen). 2.) ist Acid House in mancher Hinsicht ein Aufbegehren gegen die Natur. Hip-Hop verhält sich dazu, wie sich die Allman Brothers zu Hip-Hop verhalten, alle „menschlichen“ (d. h. nachvollziehbar vom Menschen hervorgebrachten) Elemente sind restlos ausgemerzt. Der Mensch (so es ihn noch gibt) kann nicht dazu tanzen, da jedes Tanzen mit Binarität zu tun hat, während hier der Beat so schnell ist, daß er immer da (ein Vor/Zurück, Betont/Unbetont, das es in allen menschlichen Bewegungen gibt – der Mensch hat zwei Beine – gibt es nicht) ist, so gewisse Pogo/Skatepunk-Bestrebungen vollendend, aber im Grunde auf der alten Linie der Geschwindigkeiten und ungesunde Räusche glorifizierenden Pop-Tradition von Surf-Instrumentals über 60er-Serienthemen bis zu jeder Art von Space-Musik. Wer dazu tanzt, will definitiv genau das, was alle Drogenbenutzer schon immer wollten: Abheben, der Gravitation ein Schnippchen schlagen, Fliegen. Mann. 3.) Gemeinsame Wurzeln. Acid House ist ja nichts anderes als sinnentleerte (in jedem Sinne) Fortsetzung von Kraftwerk, die ja ihrerseits von Anfang an nichts anderes taten als weiterzuführen, weiterzutreiben, zu Ende zu denken, was ihre Kollegen von Amon Düül II bis Tangerine Dream von amerikanischem und britischem Acid Rock gelernt haben: Anti-Körper, Anti-Schwerkraft, Anti-Mensch-Musik, Musik für die Mensch-Maschine.

Nur am Rande ist da interessant, daß man hört, bei den exhausting Acid-House-Parties in London würde die neue (auch schon wieder vier Jahre alt) Designer-Droge Ecstasy gefressen. Ecstasy ist ein Gemisch aus Kokain, LSD und diese Mischung verträglich machenden weiteren Stoffen, ebenfalls am Rande sollte man darauf hinweisen, daß die Erfindung des Acid House nicht unbedingt erst in diesem oder im letzten Jahr in Chicago oder sonstwo in den USA gemacht worden ist, sondern vielleicht eher auf Remix-Mittelteilen von Alien-Sex-Fiend-Platten. Ich kenne ein Zoogz-Rift-Stück, das das gesamte Acid-House-Programm ausacidhouset, nur daß bis jetzt noch kein DJ auf der Welt auf die Idee gekommen ist, sich seine Extravaganz-Sounds aus der Ecke zu holen (im immer speedigeren Gattungskulturmischprogramm vermutlich der nächste Schritt).

Die meisten „Tracks“ werden wohl eh nur als Rohmaterial für den DJ angesehen, kommen fast namenlos oder unter Pseudonymen auf Samplern und fast-No-Name-Maxis daher, entfalten für mich den vollen Reiz allerdings nur, wenn man sie gerade nicht als Rohmaterial, sondern als das, was sie gar nicht sein wollen, sieht, als Arbeiten in ihrem eigenen Recht, immer daran denkend, daß sie eines Tages wahrscheinlich als Musik für „das Tor des Monats“ wieder auftauchen werden (dann wahrscheinlich „Return des Monats“).

Acid Soul (obwohl es diesen Begriff in anderer Auslegung schon früher gab) oder Acid Jazz sind dagegen nichts als typisch britische Recycling-Etikette von DJs und Journalisten. In den so benannten Charts findet man dann unter Jazz echte Gruselnummern wie Dave Pike Set oder Gabor Szabo oder Chico Hamilton, Mersh-Jazz der 60er, der nicht einmal schräge klingt, sondern allenfalls ein bißchen Latin-House-mäßig (House Jazz wäre dann schon das treffendere Etikett: auf der neuesten Dance-Jazz-Compilation ist doch tatsächlich Coltranes „My Favorite Things“ drauf. Wann beauftragt man mich endlich, die Dinger zusammenzustellen? Hey Morgan Khan!), und unter Acid Soul ebenso unsinnig Curtis Mayfield, obwohl der andrerseits seinerzeit durch seine instrumentalen Freiheiten viele Deadheads mit Geigenaversionen, die Wilson Pickett und Martha & The Vandellas von den Grateful-Dead-Versionen von „Midnight Hour“ und „Dancing In The Street“ kannten, zum Soul rübergezogen hat.

Die Erkenntnis des Acid-Trips ist, daß Signifikant und Signifikat identisch sind. In der Wirklichkeit der Nüchternheit gilt dies tendenziell für das Bild, aber nicht für den Text, für den Sound, aber nicht für den Song. Die Pop-Musik kann nur ihr Gespaltensein zwischen Sound und Song lernen besser zu verstehen, indem sie die Extreme extremer gestaltet, auslebt. Sie muß – und sie tut das an allen Fronten – zum Mittel der Abstraktion greifen.

All-Time-Acid-Top-Twelve

GRATEFUL DEAD: „What Becomes Of The Baby“ (Acapella-Echo-Track auf Aoxomoxoa)

GRATEFUL DEAD: Feedback (auf Live/Dead)

GRATEFUL DEAD: Dark Star (dto.)

DINO VALENTE: selftitled

QUICKSILVER MESSENGER SERVICE: „The Hat“ (auf Just For Love)

HAMPTON GREASE BAND: Music To Eat (superrare Super-LP, wer sie loswerden will, schenkt, verkauft, tauscht sie mir, ein Gitarrist der Gruppe, Glenn Phillips, ist heute Solo-Künstler bei SST, der Leader Hampton B. Coles hat eine supersuperrare Solo-LP gemacht)

BLACKSUN ENSEMBLE: selftitled (Gruppe um HGB-Nacheiferer Jesus Acedo aus Arizona, die nach diversen Cassetten eine erste LP für das englische Irren-Label Reckless gemacht haben).

TIM BUCKLEY: „Song To The Siren“, „Come Here Woman“, „I Woke Up“, „The Healing Festival“, alle von Starsailor

VELVET UNDERGROUND: „Loop“ (zehnminütiges John-Cale-Solo-Stück auf dem Semi-Bootleg Velvet Underground and so on, trotz Acid-Haß des gesamten Ostküstenclans mußte das hier rein, fast hätte ich noch „L.A. Blues“ der Stooges genannt …)

JOY DIVISION: z. B. „She Lost Control“

ALWAYS AUGUST: „Geography“

u. v. m. …