Alain Corneau: Die Wahl der Waffen

Corneau wird in der Öffentlichkeit gegenwärtig als Melville-Nachfolger gehandelt. Melville war jener gottgleiche Genius, der aus reiner Bewegung reine Sprache machte, der Ordnung brachte in imaginierte Phantasie, der dem von Erzählgesetzen bestimmten Konfektionskrimi ein Kino mit einer neuen, klaren, integren Bildgrammatik entgegensetzte.

Ganz wird Corneau diesem hochangesetzten Vergleich nicht gerecht. Er spielt mit einem alten Topos der Gangster-Mythologie, den er nicht unnötig in geschwätzige Vorgeschichten einbindet: Der Gangster, der es geschafft hat, gegen den Gangster, der es nie schaffen wird. Deren Haß aufeinander sie so stark verbindet wie ein gemeinsames Ethos, das sie letztlich zu Verbündeten werden läßt.

Gérard Depardieu, beliebtes Trampeltier des neuen französischen Kinos, hat es nicht geschafft, Yves Montand, das weise linke Gewissen der Nation, ist der, der es nachdrücklich geschafft hat. Depardieu ungeschlacht und Opfer unkontrollierter Emotionen bricht schießwütig aus dem Knast aus, hinterläßt eine Blutspur und sieht sich verzweifelt umzingelt von feigen, übersensiblen Polizisten und verunsicherten Gangstern. Montand dagegen residiert fürstlich und unerschüttlich auf dem Lande, seine ganze Liebe gilt seinem Gestüt und sein bestes Pferdchen ist die wunderschöne Catherine Deneuve.

Depardieu widmet sich närrisch einer päderastischen Besessenheit, vergöttert die Unschuld einer Puppen-spielenden Vierjährigen, und Montand leitet mit Weinkenner-Gesicht seine Vernichtung ein. Catherine Deneuve setzt sich Gefahr witternd und intelligent-selbständig ab. Doch ausgerechnet sie wird das Opfer der allgemeinen Schießwütigkeit. Sie rennt in die Kugel eines Polizisten, der später noch vor Angst winseln wird.

Das Schöne an der Wahl der Waffen ist, daß man nie weiß, wo man sich befindet. Die ausgewählt bizarren, aber realistischen Schauplätze (Landgut, Pariser Banlieue-Elend), meist in den frühen Morgenstunden fotografiert, konstituieren eine fremdartige neue Landschaft, eine in sich funktionierende Parallelrealität. Eine Welt, in der die Begriffe und die Moral der klassifizierten, überwachten und mit Zäunen begrenzten Wirklichkeit nicht mehr fassen. Gleichwohl stört das oft ätzende Overacting von Depardieu, die zu große Abgeklärtheit des weisen Pferdezüchters und die des öfteren ins Verklärende lappende Fotografie. Doch in solchen Momenten der Unzufriedenheit reicht ein Blick auf das Gesicht Catherine Deneuves, um das allgemeine Wohlbefinden wiederherzustellen.