Mit der Lupe muß man Artikel über Alan Vega suchen, in denen nicht seine Vergangenheit mit „die singende Hälfte des Duos Suicide“ bezeichnet wird. Sie besingen euphorisch und beeindruckt die Pioniertaten, die Vega im Verbund mit Martin Rev im Namen einer Musikrichtung verrichtet hat, deren Bezeichnung in keinem Vega-Artikel fehlt: „Minimalismus“.
Tatsächlich waren die kargen, melodisch-betörenden Synthesizer-Muster Revs, die Vega aus tiefster Seele interpretierte, maßgeblich für Generationen von Synthi-Pop-Musikern, von Soft Cell bis DAF. Und als der verstorbene New Yorker Musikkritiker Lester Bangs zwei Mitgliedern von Kraftwerk in den mittleren Siebzigern Tapes von Suicide vorspielte, sollen sie ihn unter Androhung körperlicher Gewalt zu zwingen versucht haben, Platten von dieser Gruppe zu besorgen. Allein, die gab es noch nicht. Und als es sie gab, liebte sie zwar jeder, der etwas zu sagen hatte, nur König Kunde nicht. „Johnny Teardrop“, „Dream, Baby, Dream“, „Sweetheart“ oder „Fast Money Music“ sind Klassiker, im Bewußtsein eines jeden Kenners klare, oft verzweifelte Moll-Balladen, durchsetzt von Schreien und Seufzern und heute sämtlich vergriffen.
Während der begabte Melodienfinder Rev direkt ins Elend driftete, riß sich Vega am Riemen und startete eine Solo-Karriere mit einer Rockabilly-Band. Nach dem Motto „Elvis’ Sun-Sessions – das ist der wahre Minimalismus“ (Vega) lieh er seine Begabung, zu simplen, repertitiven musikalischen Strukturen vokale Dramen zu modulieren, dem Geist des 50er-Jahre-Rock’n’Roll, freilich aus der Perspektive eines Großstadtbewohners, der intensiv an den Frühformen des New Yorker Punk Anteil hatte (Vega: „Wir waren die ersten. Nach uns kamen die Dolls, Television und die Ramones“) und der das mythische Motorrad mit Speed und Kokain tankte.
Bei der ersten von zwei Rockabilly-Platten war die Beziehung zur Historie nur durch die Harmonien zu erkennen, sonst schien es nur, als hätte Vega Rev gegen einen Gitarristen eingetauscht und rhythmisch und strukturell die Freiheiten der Suicide-Musik beibehalten. Für die zweite Platte organisierte er eine komplette Band, die diszipliniert seinen Zweieinhalbminuten-Höchstgeschwindigkeitspsychobilly exekutierte und sich lediglich für das viertelstündige Drama über einen Vietnam-Veteranen (Vega war in Vietnam) die Freiheit zu einer narkotischen Lärmorgie nahm.
Da der kommerzielle Erfolg weiter ausblieb, hat Vega seine Strategie ein drittes Mal umgeworfen: eine neue, große Plattenfirma, eine neue, flexiblere Band, ein neues Album, das die Rockabilly-Phase mit Suicide-Reminiszenzen überblendet, aber auch den Weg zu klaren Tanzpop- und einer alten Hot-Chocolate-Nummer findet. Und ein neuer Erfolg auch auf dem Kunstmarkt, wo Vegas Kruzifix-Collagen nach zehn Jahren kontinuierlicher Arbeit endlich eingeschlagen zu sein scheinen. Jetzt kann man Vega auch im einflußreichen Dauervideo-Kanal MTV in den USA sehen, und ohne auch nur in die Nähe der Chartsspitzen gekommen zu sein, hat er durch dieses Medium doch wenigstens jetzt einen Erfolg, der ihm ein Auskommen sichert.

