Nachdem sich Motown-Soul nun wirklich in alle Winkel der Szene herumgesprochen hat und noch der letzte Drömel stolz eine „Diana Ross & The Supremes – 20 Golden Greats“-Kompilation sein eigen nennt, ist nun der Stax-Soul, die andere Richtung der schwarzen Musik der 60er Jahre, mit einem massiven Revival an der Reihe. Erst waren es Dexys Midnight Runners, die schon vor zwei Jahren keine Gelegenheit ungenutzt ließen, von seltenen Stax-Singles zu schwärmen, nun kommen noch Bands wie die Nitecaps oder Jack Mack & the Heart Attack dazu, die auf Vorbilder wie Otis Redding, Wilson Pickett oder Eddie Floyd verweisen.
Anders aber als die vielen angenehmen Revivals, Verweise und Wiederaufnahmen, mit denen wir in der letzten Zeit zu tun hatten, ist das Stax-Revival eine weniger spielerische Angelegenheit, sondern wird teilweise sogar richtig ernst genommen. Dazu muß man wissen, daß der Stax-Sound von allen Spielarten der schwarzen Pop-Musik dem Rhythm & Blues der fünfziger Jahre am nächsten steht und somit so etwas wie ein schwarzer Bruder des weißen Rock ist. Bezeichnenderweise sind es Künstler des Stax-Label, die über die Siebziger und Achtziger-Jahre-Entwicklungen der schwarzen Musik (Phillysound, Disco, Chic, P-Funk, Free-Funk, Rap) mit der gleichen Borniertheit die Nase rümpfen wie die weißen Rock-Fans. Wilson Pickett: „Die Disco-Künstler haben keinen Stil… Für die Schwarzen ist Disco ein musikalischer Rückschritt, denn mit diesem immer gleichen Beat kommt man nicht weiter.“ So doof reden sonst nur Weiße über Disco.
Wilson Pickett kam nach Hamburg, der Liebling der Vertreter aller Authentizitäts- und Rock- und Soul- und Straßenstaub-Mythen, also all derer, die im schwarzen Star lieber einen blues-leidenden Verlierer als einen eleganten Gewinner sehen wollen. Er spielte nirgendwe anders als im Logo, dem tierischen Rockschuppen mit der originalen Schweiß- und Bieratmosphäre und der vollgeilen Überfüllung. Für zwanzig Mark, eingeklemmt zwischen Rollo-der Wikinger-Verschnitten und Gangstern der dritten Liga, durfte man eine Stunde Klassiker der 60er von „Midnight Hour“ bis „Land of 1000 Dances“ erleben. Zuerst trat seine Band ohne ihn an und versuchte sich an einer superschlappen Version des Kool & The Gang-Hits „Get Down On It“. Die schlappe R&B-Band kam mit dem komplizierten, verschachtelten Kool & The Gang-Stück an keiner Stelle zurecht, und vor allem die Bläser klangen wie kranke Katzen. Dann kamen Wilson Pickett und ein dicker Mann, die ein Spiel aufführten, das man noch öfters sehen sollte: Immer wenn Wilson auf die Bühne ging, wurde er unisono vom dicken Mann und vom Orgelspieler angekündigt, ca. 10mal pro Song. Verließ er die Bühne, wurde er vom Orgelspieler abgesagt und der dicke Mann warf ihm einen Bademantel über: die alte James Brown-Show, aber in einer so elend-abgeschmackten Variante, daß es direkt wieder lustig war. Von den bekannten Songs sang Wilson Pickett meistens eine Strophe, dann wurde nur noch ein Bläser-Riff wiederholt und Wilson holte sich ein ums andere Mal ein paar Damen aus dem Publikum auf die Bühne, mit denen er tanzte, gluckste, grunzte, rumknutschte und Händchen hielt. Das machte er nett, Charme hat er.
Es war ein Ausflug in das andere Hamburg. Ich war froh, es so lange nicht sehen zu müssen: das Gibbi-Westgermany-Hamburg, das besoffen sich krampfhaft um Originalität bemühende Eric-Burdon-Hafen-Reeperbahn-Hamburg. Das Hamburg der alten Mythen und der alten Witze. Derweil tobte in den einschlägigen Cafés und Discos die Saison, das junge Hamburg und wir wollen uns mit diesem Ereignis nicht weiter belasten.
