Der Hai gilt als Sinnbild des Geizes, der Verschlagenheit und des Betruges, doch die Kinder, die in diesem Film stehlen, dealen, zuhältern und sogar töten, sind klassische Milieu-Fälle – für ihr Tun kaum verantwortlich zu machen. Und Asphalt ist weder in den Slums von Sao Paolo noch im dortigen Heim für schwer erziehbare Knaben ein häufig verwendeter Werkstoff. Der deutsche Titel für den brasilianischen Erfolgsfilm über arme und noch ärmere Kinder ist also etwas unglücklich gewählt.
Es ist das alte Lied, wir kennen es seit „Los Olvidados“ oder den italienischen Neorealisten. Verwahrlosung wird durch brachiale, willkürliche Heimerziehung zur Kriminalität, aus Ausweglosigkeit wird Mord und Totschlag, unbeschreibliches Elend gebiert noch unbeschreiblicheres Elend.
Doch „Pixote“ wie der Film im brasilianischen Original nach seinem Held, einem zehnjährigen Herumtreiber mit rührenden, großen Augen und pfiffigen Gesten, heißt, kann der Uralt-Geschichte ein paar neue Aspekte abgewinnen. Der linke Journalist und der die Menschheit liebende Untersuchungsrichter sind gegen Willkür und Gewalt von Polizei und Erziehern ebenso machtlos wie die Jugendlichen im Heim, bis sie zum einzigen, natürlich illegalen Mittel greifen, das allein Erfolg bringen kann: Flucht. Und Babenco singt auch anschließend nicht das immer gleiche Lied vom notwendig folgenden beklagenswerten Abstieg in die Kriminalität, sondern schildert zunächst mal die Freuden des freien Räuberberufes im sonnigen, warmen, bunten, hellen Brasilien, wo trotz allen Elends genügend begüterte Trottel herumzulaufen scheinen, die einen Aktenkoffer oder eine Handtasche zuviel haben.
Als es dann Trouble gibt, mit linken Partnern beim Koks-Deal oder mit einem Gringo, der den vorher einige Male gemeinsam mit einer bedauernswerten älteren Prostituierten erfolgreich exerzierten Beischlafdiebstahl nicht über sich ergehen lassen will, fallen Schüsse und blitzen Messer, kommen Gegner, beste Freunde und harmlose Ausländer um ihr Leben.
Trotz aller Konventionalität hat sich „Pixote“ einiges von dem grellen Ideenreichtum des brasilianischen „Cinema novo“ bewahrt, ohne an die Brillanz eines Glauber Rocha heranzureichen. „Pixote“ ist dokumentarischer, trockener, durchaus zum Lachen, z.B. wenn man sieht wie das geschickte Handwerk des Diebstahls vorgeführt wird, wie Tragik und Ungeheuerliches nicht mit großen Gesten belegt, sondern als Selbstverständlichkeit gehandelt wird.
Das Heranwachsen, die Einführung der Sexualität in das Leben der ansonsten bereits völlig selbständigen Heranwachsenden ist ebenfalls interessant gelöst. Frauen kommen in dem Film nur als Erzieherinnen vor. Die Jungs im Heim sind entweder schwul oder noch nicht geschlechtsreif. Als das Trio um Pixote schließlich von einem Zuhälter eine abgelegte Prostituierte erwirbt, krank und traurig, bringt sie die Gefühle der drei durcheinander: Der geschminkte Lilica läuft von seinem Freund, der nun die Frauen entdeckt, enttäuscht weg und der kleine Pixote läßt sich von der Hure Sueli im buchstäblichen Sinne bemuttern.
Interessante Aspekte, wie gesagt, eines harten, aber sympathischen, kleinen Films.

