Bad Brains – Der große Abend in München (Ist am Ende des Westens der Osten?)

Jah, Speedmetal, Biermetal, Jutta Ditfurth, Volkszählung, Speedzählung, Volksmetal, schiberale Leißer, die häßliche Bourgeoisie und die archaisch vor der roten Sonne der Revolution flatternden Dreadlocks der Thrash-Rastas aus Washington DC. An diesem Abend kam mal wieder alles zusammen: schwere politische Halluzinationen gewinnen niederschmetternde Klarheit (nebst ein paar letzten Worten an U2-Fans und ähnliche).

Bad means bekanntlich good „in my language“ (G. Jones), wenn es nicht gerade Big Audio Dynamite heißt. Hier aber geht es um gute Gehirne. Obwohl schon mindestens seit 1980 around, bringt man noch heute Leute zum Lachen, wenn man von diesen riesigen Rastas erzählt, die Speedmetal spielen.

Seit eine ROIR-Cassette um 1981 das Gerücht erhärtete, es gäbe in Washington DC eine Hardcore-Band aus Rastas, die nur gelegentlich einen besinnlichen Reggae einstreue und sich großer Beliebtheit bei diesem reizenden New Yorker Punk-Publikum erfreue (die einzige Bevölkerungsgruppe in New York, die garantiert nicht gewalttätig ist: Punk-Rocker), begegnete man ihrem Namen, ihren Bildern, ihren Platten zwar immer mal wieder alle zwei Jahre, aber der Eindruck, daß es sich um ein ephemeres Phänomen handele, um eine Freak Show, eine Laune der Geschichte, war schwer aus der Welt zu schaffen. Als ich zum Beispiel vor hundert Jahren mit Keller in einem Keller in New York ein Bad-Brains-Konzert besuchen wollte, standen wir am angekündigten Abend vor dem angekündigten Club vor verschlossenen Türen. Die Bad Brains hatten ein so junges Publikum, daß sie schon nachmittags gespielt hatten.

Jetzt war es München. Aber nicht wie ihr denkt. Es war ein München wie Belgien, wo die Menschen und die Fabriken sterben und es nichts gibt auf der Welt außer riesigen bizarren Schrottplätzen und kleinen bizarren Friedhöfen für die kleinen Menschen. Das lag daran, daß es ein abgelegener Ort war in München, wo die Bad Brains spielten. Und am Rand der Städte ist überall im Westen Belgien.

Die letzte LP der Bad Brains, I Against I, war wieder näher an mein Ohr herangekrochen, aber noch nicht nahe genug. Ron St. Germain hat sie produziert, ein Mainstream-Prominenten-Producer. Die Freude über diese Platte ist oft eher die Freude über ein Lebenszeichen. Zwischen 1983 und 1985 hat es die Bad Brains nicht gegeben. Sänger H.R. machte mehr oder weniger Roots Reggae mit der Gruppe Zion Train, Bassist Darryl Jenifer und Gitarrist Dr. Know, denen die Härte und die Geschwindigkeit dieser Gruppe zu verdanken sind, versuchten Diverses.

I Against I hätte durchaus ahnen lassen können, daß es ein Abend entschiedener Musik werden würde, aber nicht das … Das Konzert war so gut, daß ich nicht anders konnte, als mich vor lauter Glück mit dem gefährlichen Münchner Bier zu betrinken. Ja, es war Speedmetal, die schnellste menschenmögliche Musik. Aber der Drummer kam deutlich hörbar vom Jazzrock, und zwar nicht Billy Cobham, der sowieso morgen bei allen Speed-Metal-Hell-Bands vorspielen kann, sondern Tony Williams. Sein Bruder, Sänger H.R., schrie und röchelte, aber bitte mit einer Lovers-Rock-Stimme! Und circa alle sechs Nummern gab es ein Roots-Stück und Belehrungen über äthiopische Stämme und die Anrufung Jahs.

Der Gedanke, daß der verspielte Satanismus des Nachbarschafts-Metal-Fans der gleichen notwendigen Verirrungs-Struktur entspricht wie die alttestamentarischen Delirien des Reggae (die im übrigen ja vom Poetischsten sind: gibt es ein schöneres Personalpronom als „I And I“?), kam ja schon öfter vor. Aber hier konnte man noch mehr sehen: das aufs Negative Fixierte, das Lächelnd-dem-Bösen-Huldigen, das radikal Dekonstruktive des Speedmetal hat eine verzweifelte Enge zu bekämpfen (die Enge des Pubertären, des Jugendlichen, das ein Leben im Leben ist: intensiver als das ganze Leben, aber noch intensiver an seiner Sterblichkeit verzweifelnd), es kann nicht wirklich befreit schreien, es kann niemand zur Revolution führen, nur zur Provokation. Es sagt immer nur „Genieße das Kaputthauen jetzt!“, es sagt nicht wie die Bad Brains: „Genieße das Kaputthauen und das ganze Leben jetzt, aber das nächste wird noch besser.“

Utopie und Dekadenz. Das erste entwickeln immer die, denen es schlecht geht, das zweite die, denen es zu gut geht, also logischerweise die beiden wertvollsten Gesellschaftsteile. Ich ziehe keines der beiden dem anderen vor, philosophisch gesehen ist es eh dasselbe (auch wenn es logisch ist, daß einer wie ich zur Dekadenz eher neigt als zur Utopie). Aber es war so gut zu sehen, daß es das andere auch heute, jetzt gibt. Der normale Speedmetal-Fan/Musiker muß alles zusammenraufen, wovor seine Eltern, seine Klasse und natürlich auch er selbst Angst haben, der Schwarze aus Washington D.C., erst recht der Rasta, ist das, wovor die weiße Mittelklasse Angst hat. Sie brauchen nur noch den Weißen ihre besten Musiken wegzunehmen, und sie sind die Größten. Wie an diesem Abend. Noch ein Gitarrensolo von Dr. Know, noch ein Flick-Flack oder ein Salto vorwärts von H.R.

Unnötig eigentlich fast zu sagen, daß die Bad Brains nichts zu ihrer Musik oder zu ihren Ansichten sagen können, das dich interessiert. Das ist alles Jah. Oder Geschichte. Vier Schwarze, die eher intuitiv und für sich allein im Jugendalter das nachvollzogen, was der Jazzrock weltweit programmatisch oder kommerziell praktizierte. Als Kinder Led Zeppelin kennenlernen, Faszination für schwere Gitarren spüren, aber doch mit einem ganz anderen Rhythmus-Gefühl begabt sein. Led Zeppelin können alles, sind klar die besten. Aber sie swingen nicht. Die späteren Bad Brains bekamen als Jazzrockband die ersten Pistols-Singles vorgespielt und wollten Punk-Rock spielen. Sie wurden Rastafaris und wollten Reggae spielen. Das ist eine Menge Gepäck für die lange Straße (zur Freiheit, Selbstverwirklichung, Paradies etc.). Damit kommt nur klar, wer der schnellste ist. „Wenn du einen Hund immer wieder schlägst und einsperrst, wird er, wenn er endlich frei ist, auf dich losgehen und dich zerfleischen.“ Kein metaphorischer Höllenhund, versteht sich, sondern echt bissig.

Intern gibt es auch so etwas wie Fraktionskämpfe bei den Bad Brains. H.R. ist zum Beispiel als großer Verkünder der Lehre oft geneigt, nur noch Reggae spielen zu wollen, Dr. Know, treffend getaufter Gitarrist, drängt nach immer höheren Geschwindigkeiten, immer unglaublicherem Lärm. Bei seinem Spiel stimmen die Einzeltöne und der Gesamteindruck des Lärms. Gleichwertig präzis. Natürlich kann man von schöpferischer Spannung reden, aber es ist eben sowieso klar, daß ein Gitarrist ein Gitarrist sein muß und ein Sänger die Stimme des Herrn (wenn man die von H.R. hört, dann fragt man sich, was für ein beschissen süßlicher 19.-Jh.-Gott das wohl sein muß, dem Christen wie Bono Vox dienen). Jedenfalls werden weiter Änderungen der „musikalischen Richtung“ angekündigt. Die Bad Brains werden nicht mehr auf SST erscheinen, dem verdienstvollen US-Hardcore-Indie, sondern bei Island, dem traditionellen Ort des Rasta-Ausverkaufs wie auch der Reggae-Propaganda, und definitiv werden sie ihren Gruppennamen ändern. Das könnte das Ende sein.

Die wirklich großen Dinge nehmen ja oft dann ein Ende, wenn ihre Leitideen sich als alltäglich benutzbare durchgesetzt haben, die säkularisierte Version einer Verbindung von Metal und schwarzer Kultur ist ja heute durchgesetzt. H.R. zu Def Jam, Run DMC: „Du kannst niemanden dafür verurteilen, daß er clever ist.“

Was ihn nicht daran hindert, Michael Jackson zu hassen, allerdings nicht Stevie Wonder: „Der hat nie versucht, seine Herkunft, Brüder und Nase loszuwerden.“

Der Abend in München, Belgien: große Freude über die Bad Brains. Archaische Erregung über die Hexenjagd der Bourgeoisie gegen den Fundi-Flügel der Grünen. Der miese Spiegel, jahrelang mit einem liberalen Lächeln das Treiben der neuen Kraft tolerierend, fest und sicher in der Gewißheit des liberalen Zynikers, daß sich in einem Parlament eh nichts ändert (was ja auch stimmt), entwickelt plötzlich bei dem kleinsten Triumph kleiner Dosen Radikalität eine Pest von Bosheit und Verschlagenheit und Hetze, im noch mieseren Stern häufen sich die Distanzierungen, jeder miese sogenannte Realo darf seinen Rotz in die dreifach beschichteten Taschentücher der bürgerlichen Presse absabbern. Drei Wochen nach diesem Abend geht das immer noch weiter. Und nichts ist so widerlich wie die Fresse eines liberalen Arschlochs, das den Schleier der ewigen Amüsiertheit, gedrängt von der rattenhaften Panik und nicht einmal angebrachten Hysterie seiner bourgeoisen Klientel, ablegen muß und seine Käuflichkeit offenbart. In solchen Momenten ist dann schwarzer Rebel-Metal mehr als nur beste Musik. Hier swingt Moral. Allgemeingültig und allgemeinverständlich.

Swingender Speedmetal. So hört sich die Wahrheit im Moment eben an, egal ob Jah oder ein anderer Glaube zu ihrer Formulierung herangezogen werden mußte. Deswegen, liebe Leser, sage ich kein Wort zur Musik von U2, weil sie sich noch greinend-untergehender, liberal-versagender anhört als die bekloppten Texte. Weil Christentum als Haltung, die sich 1:1 im Sound abbildet, abzulehnen ist, aber jeder Glaube, jeder Quatsch, der zur Formulierung von etwas viel Größerem und Nützlicherem als Religion taugt, nicht angezweifelt werden darf. (Was im übrigen eine der ältesten Hüte der Pop-Musik und eigentlich jetzt echt nicht die Diskussion, die wir uns aufzwingen lassen wollen.)

Das ist der Fall des Kreuzzuges der Bad Brains nach München, Belgien, in die Zustände des Westens als Friedhof, dessen Revisionisten und Sozialdemokraten im Bündnis mit der häßlichen Liberalität gerade mal wieder dabei sind, Anfänge gelingender Radikalität abzuwürgen. Boykottiert die Volkszählung, nicht weil ihr Angst vor Überwachung zu haben braucht, überwacht werden wir sowieso, sondern weil sie euch die Gelegenheit gibt, über diesen Westen abzustimmen! Auch wenn, wie in allen totalitären Staaten (in allen Staaten), 98 % bis 99 % dafür stimmen werden. Haltet euch Bad Brains.