Band Of Holy Joy – Der Geist wird nicht ohne Spirituosen herabsteigen

Ein internationales Ensemble aus hochgradig seltsamen Chaoten, aus den verschiedensten Gründen angewidert von der Welt und wie sie klingt, zusammengerauft zu einer Anti-Band mit k.u.k.-Sensibilitäten: das ist die Band Of Holy Joy, der Schrecken aus Londons Süden. Diedrich Diederichsen holte sie aus dem Bett.

Eigentlich wollte John die ganze siebenköpfige Band Of Holy Joy mitbringen, aber es ist zehn Uhr morgens und die meisten hatten zu viele Drinks letzte Nacht, wieder andere sind telefonisch nicht erreichbar und reagieren auch nicht aufs Klingeln an der Tür, weil man ja nie weiß … noch ein anderer hat gestern wegen Trunkenheit am Steuer den Führerschein verloren, was eine Tragödie ersten Ranges darstellt, und überhaupt, es sei sehr schwierig, die Band Of Holy Joy überhaupt zusammenzubekommen. „Das Blöde ist, ich hatte gestern auch zuviel getrunken, aber ich bin eben zuverlässig und komme immer zu Interviews, dabei habe ich wahrscheinlich am wenigsten zu sagen, ich bin nur immer noch der Bestorganisierte von allen.“

Die Band Of Holy Joy ist so was wie eine Notgemeinschaft gegen den Verfall des Aufregenden in der Musik und überhaupt, eine Ansammlung von hitzigen Einzelgängern, musikalischen Seeleuten, dreimal um die Welt getrieben auf der Suche nach Whiskey und Wahrheit und Welt. Sie hören’s zwar nicht gerne, aber darin durchaus vergleichbar mit solch großartigen philosophischen Trinkervereinigungen wie den Pogues oder den Mekons, mit denen sie auch neuerdings musikalisch recht häufig verglichen werden, was aber wirklich eine Ungenauig-, ja Ungerechtigkeit ist.

John z. B. ist ein alter Punk-Rocker aus Neuseeland und weiß noch viel zu berichten von extrem blutig-lustigen Auftritten der frühen Tall Dwarfs. Als er nach England kam, war es nicht zuletzt wegen der Clash, ein anderer Neuseeländer ist auch schließlich bei dieser Band gelandet, ebenso eine Deutsche, ein Ire und wasweißichalles. Einer war früher bei SPK und will davon nichts mehr wissen, aber John sagt es trotzdem. Er selber landete irgendwann bei einem Test-Department-artigen Brachial-Synthi-Propaganda-Ensemble, wo er nur rumbrüllte und auf schwere Gegenstände einschlug. Die Keimzelle der Band Of Holy Joy.

„Doch dann langweilten uns die Synthis …“ Der Kehrreim aller seiner Werdegangsgeschichten … Alle Holy-Joy-Mitglieder langweilen sich offensichtlich in allerkürzester Zeit und machen was Neues (siehe auch Punk Rock). Er gibt mir die erste noch zu dritt aufgenommene Maxi „Disgust“: „Selbstverständlich stehen wir nicht mehr dazu, wir spielen dieses Zeug auch nicht mehr …“ Tatsächlich vermischen sich auf den drei Tracks die Industrial-Reste früherer Formationen mit der Vorliebe für Drei-Viertel-Takte und Polka und Wasweißich-Rhythmen Ostpolens auf den diversen späteren Holy-Joy-Songs.

„Wir waren so genervt von allem, daß uns nur noch einfiel, akustische Instrumente zu benutzen, das dumme war nur, daß wir sie nicht spielen konnten, aber vielleicht war das auch gerade gut. Ich spiele heute jedenfalls Banjo“, sagt John und wackelt mit seinen rührenden abstehenden Ohren.

Dann kam ’86 die Ten-Inch The Big Ship Sails mit rüde interpretierter Folklore aller Herren Hafenschänken, immer wieder durch irgendwelche Elektrobeats begleitet, in Akkordeon/Harmonium getränkten Notsentimentalitäten (gegen die Langeweile) schwelgend, und immer bitter, harmonisch unstabil, mixolydisch-phrygisch alternierend, bitterbitter, ihr kennt sie ja, die englischen Getränke. Alle sechs Stücke könnten eigentlich von verschiedenen noch nicht bekannten Bands stammen, spiegeln den zwischen Offenheit und Unstabilität schwankenden Zustand der Band: „Einmal hatten wir einen Song, den wir sehr, sehr mochten, aber dann fiel uns auf, daß er wie Dexys Midnight Runners klang, mein Gott war das peinlich, eine Band, die wir ja eigentlich immer noch toll finden, aber wir mußten den Song vergessen.“

Auffällig ist auch, daß keine Sekunde der Band Of Holy Joy mit irgendwelchen Reminiszenzen an Amerika verschwendet wird, so bleibt das anti-amerikanische Erbe der früheren Synthi-Experimente in der Bizarr-Folk-Musik erhalten: europäische Sauflieder für die neuen, ganz späten europäischen Zustände. Und ich weiß nicht wieso: aber sehr sehr slavisch, wenn auch so Tim-&-Struppi/Denver-Clan-slavisch, so Plastik-Ermordung-des-Erbprinzen-in-Sarajevo-mäßig: endlich wieder ein europäisches Gedächtnis.

Von Brecht/Weill, der Kritikerassoziation Nummer eins, will John nichts wissen: „Du hast wohl mit Chris Bohn geredet.“ Hab’ ich in der Tat. Er räumt aber ein, daß die anderen da irgendwas meinen und wollen könnten, wovon er nichts weiß, aber die liegen schließlich auch irgendwo in Süd-London und schlafen ihre Räusche aus. „Einstürzende Pogues“, hat jemand anderes gesagt, aber das will ich ihm zu so früher Stunde noch nicht zumuten.

Die letzte Maxi hieß „Who Snatched The Baby“ und macht das nachdurstige Durcheinander von The Big Ship Sails für einfache Gemüter verständlicher. Das nett-verwirrt lächelnde Mädchen auf dem Cover im Ballkleid und mit der dreiviertelleeren Whiskey-Flasche in der Hand ist nicht nur das deutsche Bandmitglied, sondern gibt auch die Atmosphäre dieser Musik so genau wieder, wie das ein Bild nur kann: verwirrt-selbstbewußt-frühreif-angesoffen im Ballkleid, vom Weltgeist bestellt und vom Zeitgeist nicht abgeholt, stattdessen entführt, unlängst, von Kathy Acker, der Schriftstellerin, ins Säuferparadies Graz (ich weiß, wovon ich rede, ich habe da neulich eine Ausstellung organisiert), wo sie sich mit dem unvermeidlichen Lokalmatador, dem großen Dichter und Dramatiker und Disc-Jockey (nach 4 Uhr morgens) Wolfgang Bauer verbrüderten, mit H.C. Artmann soffen und bei der Eröffnung des Steirischen Herbstes, dieses Klassikers der Avantgarde-Festivals aller Medien, den Präsident Waldheim beleidigten, alles betrunken, unter dem Einfluß der großartigen Grazer Schnäpse, versteht sich.

So beleidigte einer von ihnen beim Bankett, neben Waldheim postiert, jeden der ankommenden Bourgeois in Abendgarderobe („Ihr Kleid sitzt nicht, Madame“, „Sie stinken sauer“, „Ihr Geschmack ist, mit Verlaub, grauenhaft“ etc.), sie skandierten, daß Waldheim ein Nazi sei, und als sie erfuhren, daß das österreichische Fernsehen die von der Acker gelesenen und von der Band begleiteten Texte ebenso untertitelte wie die eingangs alleine von der Band gespielten Nummern, änderten sie alle Texte in Waldheim-Beschimpfungen.

Überhaupt: ein einziger anarchistischer Spaß (Holy Joy!), dieses Leben, wenn nicht gerade der Kater zuschlägt. Wenn sie es organisiert kriegen, wollen sie bald die erste LP herausbringen. Eine, für die es sich lohnen wird, Kühlschränke und Kulturgeschichten zu studieren bzw. zu füllen. John muß jetzt nach Hause, Kater wegschlafen.