Barthes u.a.: Für 1985

Ich behaupte nicht hier etwas Neues zu sagen, ich fasse lediglich zusammen, was so nicht mehr weiter geht, was aufhören muß, bevor diese Generation endgültig auf den Misthaufen der Geschichte wandert wie so viele vor ihr.

Ich habe diesen Anfall bekommen, weil ich mal wieder in einem Buchgeschäft stand. Und ich habe diesen Anfall bekommen, weil Adventszeit ist und das ist traditionell die Zeit des Grübelns.

In diesem Buchladen lag ein Roland Barthes-Bändchen über den Maler Cy Twombly. Cy Twombly, abgesehen von dem wunderbaren Namen, eine irgendwie bemerkenswerte Ehrfurcht einflößende Type macht so große leere Bilder, auf der irgend ein bedeutungsschweres Wort mit verhuschter Kalligraphie versteckt ist. Roland Barthes war unser unumstrittener Hero, so zwischen 77 und sagen wir 81.

Dennoch hat sich nie einer von ihm distanziert. Wozu auch? Artikulierte er nicht all das, was einem ästhetelnden Linken immer gefehlt hatte in den rigiden, frühen 70ern? Ich glaube nicht, daß es am FAZ-Magazin und dem dort abgedruckten Tagebuch liegt, wenn sich Roland Barthes für mich heute nur noch lesen läßt wie Johannes Groß. Es ist in der Tat, jenseits aller wissenschaftlicher Verdienste, in erster Linie die Bitte einer unwichtig gewordenen Geistigkeit um letzte Ölung, die ich da raushöre um Erlösung in Zen-artigem Verschwinden und Wegreduzieren. Wie Johannes Groß nur noch Miniaturen von Esprit-Parodien zusammenmeißelt, so finden sich Barthes, Twombly und Brian Eno, aber auch Laurie Anderson, Robert Wilson, die ganze verfickte New Yorker Kunst, sie alle finden sich in diesem Dom der Untertreibung, des die Klappehalten, des Raunen, ja und sie treffen dort Wim Wenders und einen Haufen Sufis, die nämlich in Wahrheit die ganze verfickte New Yorker Kunst beherrschen und religiös absichern. (Zusammen mit dem unsterblichen Zen-Element in jeder, aber auch jeder Avantgarde.) Sie treffen dort die halbe „Filmkritik“, den modernen Feminismus, wie er aus Frankreich kommt und sie alle, und noch viele mehr, bauen sich aus ihrem Verzicht, ihrem Zurückhalten und nicht Stellung beziehen wollen, mittels Intelligenz oder Frechheit oder einfach Verblasenheit eine Kirche, eine Kathedrale, einen Tempel, uneinnehmbar heilig, aus purer Autorität, auf den Trümmern der häufigen Wiederholung ihrer Namen aufgeschichtet und dazu angetan euch allen immernoch Respekt einzuflößen. Schließlich ist das die moderne Kunst. Auch David Byrne ist nicht unschuldig. Geht doch nach Hause.

Barthes sagt wie Buddha, Twombly hänge nicht an seinen Bildern und gerade deshalb werden sie bleiben. Also ist es doch wichtig, wenn etwas bleibt? Warum nimmt Twombly so immens viel Geld, wenn er nicht daran hängt, für seine Bilder? Er ist der Teuersten Einer so weit ich weiß. Und ich weiß es.

Aber ihnen gegenüber steht ihr mindestens ebenso grausiges Spiegelbild: Die juvenilen Schreier auf dem Ich-Stuhl. Die, die meinen, es sei immernoch aus taktischen Gründen gerechtfertigt zu sagen: HIER KOMMT DIE WAHRHEIT und POP und POP und POP und, auf dem Kölner Kunstmarkt sehe ich die Koje einer renommierten Kölner Galerie und da finde ich die bislang grausigste Ausformung dieser Jugendlichkeit: die Gruppe Endart, ein Kreuzberger Kollektiv aus Vornamen mit kritischen Absätzen und Spätnewyorker Comic-Kunst, in zwei und drei Dimensionen. Diese Leute reden als wäre nichts, aber auch gar nichts geschehen von allen bürgerlichen Allgemeinplätzen des Unbürgerlichen und treffen sich, allerdings als Bodensatz in einem großen Dom, einer Kirche, einer Kathedrale, einem Tempel mit allen Sprayern, jugendlich sich gerierenden 35jährigen Schreiern, Graffiti-Künstlern, Post-Graffiti-Künstlern. Lauter gedankenlose oder auch gedankenverlorene oder auch sogar vergrübelte Typen, die aus ihrem wie auch immer gearteten Dilemma fliehen, in irgendeinen Schrei, irgendein großspuriges Verdammen, Verlieben, alle manisch auf der Suche, gegen Wände anrennnend, nicht aus noch ein wissend, in einer Zeit, wo ich fordere, endlich Mut zum Drögen, endlich einmal Normalität, vollkommene Freiheit von Attitüden.

Nicht für immer, nur kurz, nur jetzt. Damit das ganze Gedenke und Gewichse, das ja vorwiegend solche betreiben, die sich nicht sicher sind, nicht zur völligen Auflösung einer ganzen Generation führt, ein Zweifler- und Schreier-Haufen, der in dieser Dialektik aus Zweifeln und Schreien zur notorisch lächerlichen Bergmanntype wird, zum Steppenwolf, zum Franzosen, zum Italiener oder was auch immer.

Sowohl das permanente Gehirnschwitzen, wie sein sophisticated-pfiffiges Gegenteil befinden sich in einem Stadium, wo sie alle ins Religiöse lappen. Im Grunde stellen sie alle nur noch letzte Fragen, wollen alle mit ihrem Gespraye, Gesprühe und Geschimpfe alles sagen, alles fragen. Wo es doch nur um das Klären der Tatsache 1 geht. Danach um Tatsache 2. Wie verhält sich diese zu jener?

Deswegen sind auch Manifeste wie dieses abzulehnen und ich sage auch, daß es das letzte dieser Art aus meiner Feder sein müßte, auch wenn manch ein Rückfall in der Geschichte seine Berechtigung hatte.

Ich sage auch, daß ich nicht die Musiker meine, wenn ich dies sage, denn die können nichts dafür, sie denken nicht. Wir aber, die wir das tun. Wir müssen endlich alles killen, an das vielleicht wir, vor allem aber die anderen Nicht-Doofen, die Fast-Fremden geglaubt haben. Das, was davon gut war, werden wir ohnehin behalten, ohne es zu wissen oder viel darüber nachzudenken. Aber all die Dinge, die zur Zeit immernoch widerspruchslos durchgehen, Wim Wenders oder der scheußliche Existenzialismus eines Jim Jarmush, all diese Phänomene wie Sloterdijk, den zu mögen oder zu kritisieren im gleichen Maße lächerlich ist, all das muß verbrannt und weggeätzt werden, damit man spätestens in zwei Jahren wieder was Sinnvolles tun kann.