Berlin galt uns noch vor wenigen Monaten als das Zentrum mißverstandenen Pops und ekler Macho-Posen, die Avantgarde und die interessanten Gruppen schienen verschwunden. Dies hat sich geändert: Drei Konzerte Ende April und Anfang Mai haben unsere Meinung geändert.
Während Caruso und andere Vokalisten versunkener Zeitalter vom Band Stimmung machten und englische Touristen in der „Reichshauptstadt“ „Führers Geburtstag“ feierten, strömte durch die schmalen Eingänge des SO 36 die inzwischen bekannte Zusammensetzung des Untergrund-Inzucht-Publikums.
Die Tödliche Doris machte den Anfang. Obwohl der eher miese Sound einige ihrer kleinen Einfälle und ausgesucht skurrilen Instrumente (Xylophon, Cello, Akkordeon) behinderte, war es schon sehr eindrucksvoll anzuschauen. Ungewohnte Physognomien, interessante moderne Mutationen des Kurzhaar-Phänotyps, und immer so ein leicht resigniert, gequältes Lächeln, Spiders From Mars. Ein angenehmer Einstieg. Die Texte kann man an der vorzüglichen Platte studieren. Es folgte die Session-Formation Le Sange Froid mit Musikern der neuen Supergruppe Südpol und dem Leiter der Berliner Factory Dependence. Das war zwar nicht schön, aber es war wenigstens Kamikaze. Harter Krach mit durchlaufendem Beat und verwirrter Ausstrahlung. Dann das Debüt von Malaria. Viel deutlicher als bei dem von Ewald ein paar Absätze weiter beschriebenen Hamburg-Auftritt zeigte das neue Quintett seine Möglichkeiten, vor allem bei neuem Songmaterial, wie das zynisch-poppige „Geh Duschen“ oder „Laufen“, das live noch besser kommt als auf der 12inch. Es wäre allerding wichtig, den Set dramaturgisch geschickter aufzubauen, nicht gerade mit zwei verträumten Nummern anzufangen. Aber insgesamt war es ein toll-theatralischer Auftritt.
Schließlich die Ichs. Nochmal der Phänotyp der Epoche. Interessante Gesichter, interessante Ausstrahlung, aber etwas DAF-geschädigte und konturenarme Musik. Kenner wollen von der Gruppe allerdings schon wesentlich Besseres gehört haben und die Atmosphäre ließ ohnehin nach, da das verwöhnte und blasierte Untergrund-Publikum inzwischen die Geduld, zuzuhören verloren hatte.
