Kommunismus als Mode. Ist das böse? Schadet das dem Kommunismus? Schadet das der Mode? Ist eines von beiden am Ende wünschenswert?
Meine Antwort muß unerwartet differenziert ausfallen, ich sehe keine andere Möglichkeit. Sicher, wenn die gesamte Tempo-Redaktion nach Moskau reist und nach ihrer Rückkehr als die Freiheit, die sie meint und der Sowjetunion wünscht, diejenige nennt, daß Tempo-Redakteure in Moskau frei und unbehelligt mit sowjetischen Jugendlichen über die neue Prince-LP diskutieren können, so haben sowohl Prince wie die sowjetischen Jugendverbände als auch ganz besonders der sowjetische Jugendliche, der das Recht hat, über Prince mehr zu erfahren, als ihm ein Tempo-Redakteur sagen kann, allen Grund zur Klage über eine gewisse Spielart von Mode-Bolschewismus. Demgegenüber stehen aber andere Spielarten, die weder der Mode noch dem Kommunismus schaden.
Bolshevique Chic ist nichts Neues und hat zunächst mal nichts mit Gorbatschow- und Glasnost-Begeisterung zu tun. Im Gegenteil, seine Logik folgte in seinen Anfangstagen eher der, nach der irgendwelche Kids/Rocker/Punks Hakenkreuze und SS-Runen verwenden, also ein möglichst deutliches Zeichen für etwas möglichst deutlich Verbotenes. Die mir bekannte erste Aufführung von Bolshevique Chic finden wir in Stanley Kubricks Film Clockwork Orange, der zur Zeit gerade wiederaufgeführt wird. Malcolm McDowell und seine „Droogies“ flechten in ihren Gang-Code jede Menge russische Worte ein, gerne auch wenn sie gerade wieder töten und vergewaltigen, ihr bevorzugtes Stammlokal heißt „Moloko Plus“. Der deutsche Verleih hat das allerdings nie begriffen und die russischen Vokabeln wie genuscheltes Englisch behandelt. So wird aus „goroscho“ („gut“ oder „zufrieden“) in der deutschen Version „Horrorshow“ usf. Clockwork Orange veranschaulicht präzise, wozu Bolshevique Chic dient. Da das pluralistisch-verfaßte System eines ist, das durch Kritik in seinen Regeln nicht erschüttert, sondern nur stabilisiert wird, sucht der Jugendliche, der in der Regel keine Faschismus-Theorien gelesen hat, nach Zeichen, die ihn außerhalb des Systems stellen, die für das stehen, was in der pluralistischen Rhetorik „totalitär“ heißt. Und dazu dienen ihm Gewalttaten ebenso wie Hakenkreuze und Hammer und Sichel. Der Jugendliche ist in der Regel ziemlich bescheuert und bedarf der Verbesserung. Der Jugendliche ist andererseits auf einer vitalen Ebene immer im Recht und bedarf nicht der Verteufelung, sondern einer Solidarität, die seine Kreationen nicht relativiert oder soziologisiert, sondern erweitert, die von ihm lernt.
Noch aus der Punk-Zeit kennt man die Geschichten von Kindern, die sich des Verständnis-Terrors sozialdemokratischer Lehrer nur durch Hakenkreuze erwehren konnten. Kurz danach kam diese Taktik aber aus der Mode, weil schließlich – wir werden das noch sehen – Zeichen ihre eigenen Gesetze haben und sich unter den von sozialdemokratischen Lehrern geplagten Schülern herumgesprochen hat, daß auch Hakenkreuze nicht für etwas stehen, was sie erstrebenswert finden könnten.
Um 1980 verbreitete sich die Mode, sozialistische Orden und Ehrenzeichen an der Kleidung zu tragen. Rote Sterne an Baseball-Kappen kamen hinzu, Bettwäsche in Rot mit aufgenähtem Hammer und Sichel waren möglich, sowjetische Eishockey-Trikots waren sowieso schon länger weit verbreitet, El Lissitzky wurde Vorbild für Stadtzeitschriften-Layouter und das englische Modeblatt The Face brachte gerade im vergangenen Monat das zweite große Gorbatschow-Poster. In Köln gibt es eine Yuppie-Boutique, die als Signet Sektglas und Sichel im Fenster hat. Besser könnte man nicht auf den Punkt bringen, was diejenigen, die ein tieferes Verhältnis zu diesen Zeichen haben, „bedenklich“ finden.
Aber falsch (Oh, ich widerspreche nicht aus Prinzip): Was sich auf der unreflektierten, aber oft nur auf viel direktere Weise Wahrheiten aufspürenden Ebene der Pop-Mode durchgesetzt hat, die Einsicht, daß man mit einem Hakenkreuz (und anderen Hells-Angels-Accessoires) nie etwas anderes sagen (und folglich auch leben kann) als den stumpfen Reiz der Provokation. Hammer und Sichel dagegen gewähren weit mehr Vorteile: man stellt sich nicht nur außerhalb des Wegrelativierbaren und Wegsoziologisierbaren, denn kein Lehrer kann bestreiten, daß es im Gegensatz zum Hakenkreuz zu Hammer und Sichel auch ein Signifikat, real existierend, auf der Welt gibt. Und man unterstützt mit der Kraft von Pop und Mode das, was als Erscheinungsweise akademischer Betätigung von unserer Kultur erfolgreich vernichtet worden ist: Sozialismus. Ein anderer erstaunlicher Zug läßt sich an dieser Mode feststellen, der dem Prinzip anderer Szene-Moden widerspricht: Sie ist langlebig, sie nutzt sich nicht ab, und sie verliert nicht dadurch, daß sie Mainstream-Kreise erobert.
Mich erinnert dies an die Mao-Moden der späten 60er/frühen 70er. Über den sogenannten Mao-Look wurde damals in linken Kreisen nur gespottet. Und zwar mit so trüben Argumenten, wie dem, daß die Frauen, die sowas tragen, ja keine Ahnung hätten, von den Reden auf der Konferenz von Yü-Gung oder woher die richtigen Ideen der Menschen kommen.
Ich fand immer: den richtigen Ideen der Menschen kann man ihre Richtigkeit auch ansehen. Unlängst gab es in Köln eine Ausstellung mit dem Titel „Europa-Amerika“; sie versuchte Parallelen zwischen Entwicklungen der modernen Kunst in diesen beiden Kontinenten recht naiv durch das Gegenüberstellen formal ähnlicher Arbeiten nachzuweisen. Gleich im ersten Raum hingen sich ein Malewitsch und diverse vom Konstruktivismus beeinflußte Vertreter amerikanischer Malerei der 40er und 50er wie auch einige Emigranten aus Deutschland und noch spätere gegenüber, oder nur um eine Ecke getrennt (von Barnett Newman bis Palermo). All diesen vom Konstruktivismus beeinflußten oder einen eigenen oft metaphysischen Konstruktivismus verantwortenden Künstlern war etwas gemeinsam, das sie nicht mit Malewitsch teilten. Überall das eine oder andere Element, das sie verband, aber nicht bei Malewitsch vorkam (den ja schon die schludrige Ausführung seiner keine schludrige Ausführung duldenden Ideen adelt). Denn Malewitsch – mochte er glauben oder denken, was er wollte – war eine ästhetische Manifestation der frühen Sowjetunion (daß er schon vor der Oktoberrevolution gearbeitet hat, tut nun wirklich nichts zur Sache), dies, jenseits aller anderen Parameter, die ein Kunstwerk ausmachen können, gibt seiner Arbeit eine überprüfbare (wie diese Überprüfung geht, überlasse ich einer zu schaffenden Wissenschaft) Schönheit, die allen formalen und künstlerischen Hervorbringungen eigen ist, die sich vorgenommen haben, die Kunst Realität und Politik aushalten zu lassen, die die Kunst mit schwerster sozialer Verantwortung belasten – was das Gegenteil von faschistischer oder sogenannter kritischer Kunst ist, die beide nicht die Kunst belasten und prüfen, sondern, wo die Kunst sich bei der Politik – ob positiv oder kritisch ist da wirklich fast egal – anbiedert. Alle Formen aber, die sich mit einer Verantwortung gegenüber der Menschheit und deren vornehmsten Zielen im Alltäglichen wie im großen Ganzen aufluden (eine Verantwortung, die sie logischerweise nie ganz verkraften konnten), haben für alle Zeiten diesen Geschmack von Gültigkeit, diese Würde – das gilt für Malewitsch-Bilder wie für Hammer und Sichel.
Was für die Kunst in all ihrer Komplexität gilt, gilt auf noch wesentlich einfachere Weise für das einfache Abzeichen: handelt es von einer moralisch richtigen Angelegenheit – die längst ihre Unschuld verloren haben kann – und mußte es diese auch verantworten, so spiegelt sich das in der Form des Zeichens wider. Moral und Wahrheit haben Geschmack, richtige Ideen das richtige Layout. Hier müssen wir einmal mehr darauf hinweisen, daß sich der Bolshevique Chic nicht auf den Gorbatschowismus bezieht, sein Arsenal sind die Symbole und Abzeichen vor allem der 20er Jahre, insbesondere des russischen Konstruktivismus.
An ihnen schmeckt der ungebildete Jugendliche einen pathetisch-machtvollen Aufbruch für eine gerechte Sache, nicht so etwas erwachsen-Vernünftiges-Gereiftes wie die heutigen Bemühungen von Generalsekretär Gorbatschow. Ihre dauerhafte Kraft verdanken diese Zeichen allerdings der Tatsache, daß sie noch heute eine Referenz in der zeitgenössischen Realität haben; daß sie in der Sowjetunion nie aus dem Gebrauch verschwunden sind. In diesem Spannungsfeld entsteht ihre Kraft: Vitalität und Instinkt einer dumpf die westlichen Verhältnisse ablehnenden Jugend, moralische Integrität und Autorität der frühen Sowjetunion (die Schönheit von Formen, die nicht zweckfrei gedacht waren) und das reale Bestehen dieser Sowjetunion heute. Denn nur solche Symbole haben den Geschmack der Richtigkeit, die sich auf etwas Reales beziehen, ihre Schönheit aber den unangreifbaren Jugendstunden dieser Realität verdanken. In diesem Sinne ist das einzige, aber entscheidende, was den Gorbatschowismus mit Bolshevique Chic verbindet, daß beide, wenn auch auf die denkbar verschiedenste Weise, Fans dieser Epoche sind.
Und es gibt in gleicher Weise nichts gegen Zeitgeist-Idioten einzuwenden, die zu Gorbatschowiki konvertieren, wie gegen 16-Jährige, die mit Juri-Gagarin-Medaillen ’rumlaufen.

