Die Aufgabe des Reaktionärs ist es, reaktionäre Politik zu machen. Fragwürdiger dagegen ist die Art und Weise, wie die Betroffenen, die Filmemacher und das liberale Feuilleton, auf Zimmermanns Rundschlag reagieren
Harsch ausgesprochene, apodiktische Sätze dienen meistens dazu, überflüssige Diskussionen zu beenden. ich sage zum Beispiel gerne: „Ich habe immer recht“, um mir überflüssige Debatten darüber zu ersparen, wer 1971 deutscher Fußballmeister wurde. Ludwig XIV. pflegte zu behaupten, der Staat sei er selber, womit er sich auch das eine oder andere Gedibber vom Hals geschafft haben mag. Als aber Wim Wenders im Namen der westdeutschen Filmemacher verkündete, mit Achternbusch seien sie alle gemeint, wurde nichts beendet, sondern das Geseire ging erst richtig los.
Altfeind Zimmermann hatte mit seiner derb-katholischen Kunstsinnigkeit den Achternbusch-Film „Das Gespenst“ ganz richtig als gotteslästerlich erkannt und dem Regisseur die vierte Rate einer Prämie von dreihunderttausend Mark gestrichen. Dem ganzen Filmemacher-Deutschland und dem drumrum sumpfenden Kulturbetrieb wurde also plötzlich wieder eines dieser schönen warmen „Wir“-Gefühle zuteil. Und wenn der Klerikalkonservatismus in Form von Minister Zimmermann sein häßliches Haupt erhebt, brodeln in ihnen alte Revoluzzer-, Bohemia- und Solidarrnosch-Gefühle, auf daß sie sich auf einmal alle selber vorkommen wie anarchische, aggressive Bayern, wo sie doch in der Mehrheit friedlichste, ältlichste Kunstfilmer darstellen, die einen Zimmermann nie zu erschrecken vermocht hätten. Ja, sogar ehemals regierende Sozialdemokraten und liberale Amtsvorgänger sind zur Stelle, nicht, um zu verkünden, mit Zimmermann seien sie alle gemeint, wie es die Logik der sich mit Achternbusch identifizierenden Filmemacher verlangt hätte, natürlich nicht, nein auch diese Leute verbünden sich mit den vermeintlich Betroffenen unter dem schwafeligen Banner „Freiheit der Kunst“ in Blasphemie und Anarchismus, wohl im Geiste mordend und brandschatzend, und erschleichen sich auf billigste Weise den Märtyrerstatus des Ausgestoßenen, um sich selbst als Oppositionelle zu profilieren.
Die „breiten Bevölkerungskreise“, die Zimmermann vor Achternbusch schützen wollte, stehen plötzlich auf der anderen Seite; breite Filmemacher- und Kulturbetriebsnudelkreise nämlich, vom frisch erworbenen Kulturkampfglorienschein geschmückt, protestieren und unterschreiben, was der Kuli hergibt, und siehe, es sind keine anderen als die Machthaber vom letzten Jahr, die sich nun rückblickend damit brüsten, nicht in die Freiheit der Kunst eingegriffen zu haben.
Und da haben sie zweifelsohne recht. In die Freiheit der nebligen, schwammigen Kulturscheiße, hierhin und dorthin zu stinken, haben sie wirklich nicht eingegriffen. Frei ging es zu und geht es weiter zu. Frei darf die Floskelindustrie in Funk, Fernsehen und Presse den deutschen Kunstfilm preisen, frei durfte sich ein Establishment von verklüngelten Literatur-, Problem- und Zweierkistenverfilmern die ausgeschüttete Pfründe gegenseitig zuschanzen. So frei, daß ein Horizont, eine Grenze ihrer großzügig ausgestatteten Dauerproduktion von gepflegter Langeweile nicht abzusehen war. Es wurde ihnen direkt selber mulmig. Wozu waren sie eigentlich noch da? Manche wurden wunderlich und reflektierten in langen Selbstzweifelstreifen den jeweiligen Stand der jeweiligen Dinge, was dann hieß: wo bleibt das Geld, wo Preis und Förderung? Aber nie mußten sie allzu lange warten. Und wo das Geld so schön floß und keine Widerstände mehr zu entdecken waren, an denen sich das Künstlerherz hätte brechen und scheuern können, manövrierten sich manche absichtlich, zusehends atemlos geworden auf der Suche nach Legitimation, in Situationen, wo es noch Probleme gab, ihre Phantasien schlugen so bizarre Blasen, wie die, man müsse einen Dampfer über einen Berg in Südamerika ziehen, um dem deutschen Film die so sehnlich erstrebte Weltgeltung zu verschaffen.
In einer solchen Situation war nichts schöner als das Erscheinen eines aggressiven Deppen, eines polternden, ungeschlachten, als Feindbild von einem bekannten Tischler zurechtgeschnitzten CSU-Ministers, der in jenes alte, rostige argumentative Messer der Liberalen lief, das da heißt „Freiheit der Kunst“. Der wenig pfiffige Zimmermann konnte natürlich nicht ahnen, was da auf ihn zukommen würde, aber er handelte zumindest instinktiv nicht ganz unsinnig. Er griff sich einen, der ihn wirklich beleidigte und somit auch das einzige tat, was man mit einem wie Zimmermann tun muß. Er griff sich seinen natürlichen Feind und handelte wie Mächtige handeln, irgendwo in seinem Dickschädel ahnend, daß die Schlöndorffs dieser Welt irgendwo irgendwie auch seine Verbündeten sein könnten. Mit ihnen muß er sich nur darum streiten, wo die Freiheit der Kunst beginnt und wo sie endet. So what? Das kennt der. Das gab’s schon bei anderen Gelegenheiten , das stellt auch für weniger helle Politik-Profis keine Schwierigkeit dar. Einer, der ihn richtig beschimpft, ist ihm da schon ein größeres Problem.
Doch auch dieses wird dem Zimmermann schon von seinen sozialliberalen Politikerkollegen abgenommen. Die eröffnen die Diskussion, indem sie (fragwürdige Ehre) Achternbusch erst einmal flugs zu einem der ihren ernennen, um dann die wohlbekannte Zensur – Fluch-oder-Segen?-Debatte zu singen. Die Liberalen sagen: alles. Die Rechten sagen: fast alles. Und beide kriegen sie Kunst oder Kino und alles andere schon auf ihre Art kaputt. Die Frage „Pasolini Kunst oder Pornographie?“ soll nur davon ablenken, daß überall sonst gesagt wird, die Kunst ist die Kunst ist die Kunst ist sensibel, Phantasie und Wirklichkeit, ernst ist das Leben, schöne Bilder, „ein poetischer Thesenfilm über Geist und Materie, Tag und Nacht, Mann und Frau“ (das habe ich mit eigenen Ohren im TV gehört), Probleme von Minderheiten, einfühlsam, Thomas-Mann-Verfilmung, bestechende Bilder, oscarverdächtig, humtata.
In ihrer Protesterklärung sagen die Filmemacher: „Politische Bewertung von Kunst und Tradition in unserem Land, sie berührt die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.“ Hat sie das? Tut sie das? Ist es nicht viel mehr so: Politische Bewertung von Kunst hat keine Tradition in unserem Lande, von ein bißchen heruntergewirtschafteter, ästhetisch ahnungsloser Ideologiekritik-Konfektion einmal abgesehen. Nichtpolitische Bewertung von Kunst hat dagegen eine große Tradition in unserem Land und berührt die im allgemeinen durchweg dunklen Kapitel unserer Geschichte.
Weiter: „Man täuscht sich allerdings, wenn man glaubt, uns auseinanderdividieren zu können, wir haben ein gemeinsames Selbstbewußtsein, 20 Jahre neuer deutscher Film.“ Und ich dividiere euch dennoch auseinander. (Wie dividiert man eigentlich auseinander? Wie dividiert man zusammen? Wie schreibt man Drehbücher? Deutsch?): Nur weil ihr alle gleich alt und gleich deutsch seid, seid ihr nicht gleich gut oder gleich doof, und eure Filme stehen auf verschiedenen Seiten.
Einige von euch machen, politisch bewertet, regelmäßig gute Filme: Kluge, Achternbusch, Schröter, Straub/Huillet, die wohl kaum unterschrieben haben dürften, und Fassbinder hätte wohl auch unterschrieben, hat aber nicht; andere haben einmal vor langer Zeit gute Filme gemacht: Wenders, Herzog, von Praunheim; der Rest ist ein Haufen Langweiler, der unentwegt dafür sorgt, daß die guten, radikalen Filme nicht gemacht werden können, weil sie mit ihrer schnarchigen Kulturkultur das ganze Geld aufbrauchen. Ein potentiell radikaler junger Filmer wie Wolfang Büld, den das liberale Feuilleton wegen seiner Brachialkomik verdächtig findet, könnte aufgrund des bloßen Unterhaltungswertes, den seine Filme auch haben, von der Politik eines Zimmermann, der mangels besserer Ideen Massenerfolg und Unterhaltungswert zur Maxime jedweder Kunst erklärt, am Ende gar profitieren.
Überhaupt: Vielleicht könnte so ein CSU-Dumpfmeister-Gremium neuartige, ideenreiche Sachen aus lauter Ahnungslosigkeit passieren lassen, die die gewieften SPD-Juroren mit vollständig verinnerlichtem „Aspekte“-Kunstcode durchfallen ließen. Denn was der neue deutsche Film seinem Wesen und seiner Funktion nach wirklich war, verrät uns einer seiner Apologeten in einem „Zeit“-Kommentar:
„Nun können ’größte Teile’ der Bevölkerung ’Das Gespenst’, von der gewiß gottloser Umtriebe unverdächtigten Jury der evangelischen Kirche als ’Film des Monats’ ausgezeichnet, überhaupt nicht sehen, weil es nur in wenigen Programmkinos läuft. Der Verdacht drängt sich auf, daß Zimmermann den Achternbusch haut, weil ihm die ganze Richtung nicht paßt. Was schert ihn der Ruhm, den Regisseure wie Fassbinder, Herzog, Wenders und Schlöndorff während der sozial-liberalen Ära für den deutschen Film und damit für das kulturelle Ansehen der Bundesrepublik errangen?“
Was fällt uns auf?
Erstens: Der Kommentator läßt sich auf den von Zimmermann erhobenen Vorwurf der Blasphemie ein und bemüht eine Jury der anderen großen Konfession, um, sozusagen via Bibelauslegungsdifferenzen, den Vorwurf des Ministers zu entkräften. Nur wenn beide Konfessionen und die mohammedanische Minderheit sich einig sind, darf man Prämiengelder streichen. Im ZDF ging einer soweit zu meinen, er müsse Achternbusch hinterrücks entschuldigen, indem er dessen Film als „tief religiös“ empfand. Der wird sich bedanken, der gute Achternbusch.
Zweitens: Der arme Achternbusch wird, weil sich dem Mann von der „Zeit“ „ein Verdacht aufdrängt“, schon wieder auf das Brutalste zusammendividiert. Zusammen mit Schlöndorff, Wenders, Herzog und Fassbinder soll er eine Richtung bilden. Welche? Na, die Richtung der gleichaltrigen Deutschen, die sich nicht auseinanderdividieren lassen und nebenher als Filmschaffende tätig sind.
Drittens und schlimmstens: Was hat diese Filmbewegung außerdem noch gemeinsam? Sie hat das kulturelle Ansehen der Bundesrepublik gehoben. Botschafter des guten Geschmacks waren sie.
Ich sitze also in einem meiner deutschen Lieblingsfilme, sagen wir „Satansbraten“ von Fassbinder, und lache und leide, daß es eine Freunde ist, und die Stühle wackeln, und dann wird dieses Erlebnis dem Herrn Minister gegenüber untertänigst mit Gründen der Staatsräson gerechtfertigt, mit Gründen der Außenpolitik gar, denen dieser eher auf das Innere spezialisierte Minister sich dann freilich wenig zugänglich zeigte.
Das Ansehen dieses blöden Staates im Ausland. Darum ist es also die ganze Zeit gegangen, und ich habe es nicht geahnt. Aber wenn das wirklich so sein sollte, und es ist zweifelsohne so, dann verstehe ich naiver Mensch endlich, warum das alles möglich war. Warum der Weltenlenker den brutalen Einfall haben konnte, Volker Schlöndorff sich berufen fühlen zu lassen, ein Stück von Prousts „Recherche“ zu verfilmen.
Doch, doch, das macht der wirklich. Der ist gerade dabei.
Aber, da es um das meterhohe Ansehen dieser volkreichen Doofrepublik im Ausland geht, kann ich es verstehen, fällt es mir nachgerade wie Schuppen von den Augen. Da braucht’s halt ein, zwei, drei, viele Schlöndorffs (dieser Beirut-Film ging ja), um weltweit zu demonstrieren, wie wir Deutsche es mit unserer Prima-Filmförderung geschafft haben, noch jede großartige und gefährliche Kunst von unseren staatlich bezahlten Nivellierungsarbeitern auslöschen zu lassen, wie wir weltweit zu einer Atmosphäre von gediegen-spannungslosem Wohlbefinden beigetragen haben und weiter beitragen werden, nur notdürftig unser tiefes deutsches Wesen kaschierend.
Und wenn die CDU noch die CDU ist, wird sie haargenau den Film fördern, der aus Proust Schlöndorff macht, obwohl eben da wirklich die Freiheit der Kunst aufhört, wenn es so etwas gibt, da, wo sich einer ans Versauen macht, auch wenn er dabei nur die religiösen Gefühle einer verschwindend geringen Minderheit verletzt.
Wenn aber bereits Filmemacher-Freunde die Logik der Filmförderung so klar explizieren, dürfte es für Minister Zimmermann nicht weiter schwer sein, die für ihn ungewohnten Aufgaben der Kulturpolitik im Interesse der Seinigen zu meistern. Es gilt, daß Filme die Republik repräsentieren, und es gilt die Republik zu verändern, häßlicher zu machen. Da braucht’s halt ein paar noch häßlichere Filme, die man fördern muß, und schon wird im Ausland das Bild der Bundesrepublik den veränderten Verhältnissen im Inneren entsprechen.
Kann man denn noch häßlichere Filme machen? Keine Sorge, das geht. Da braucht gar nicht erst eine Generation von neuen rechten Filmemachern nachzuwachsen, da müssen auch keine alten Männer aus Altenheimen hervorgezerrt werden. Das läßt sich mit dem vorhandenen Material hervorragend bewerkstelligen. Zimmermann hat nämlich gar nichts gegen die. Seine Rede bei der Filmpreis-Verleihung, in der er sich gegen „intellektualisierende Spielereien, mit dem man auch der unmoralischsten Tat seine positive Wirkung bescheinigen kann“ (die Probleme mit Singular und Plural hatte Z.), verwahrte, zeigt, wovor er wirklich Angst hat: Er scheut die Intelligenz und das kluge Wort, deren bloße Existenz auf diesem Planeten eine Bedrohung für ihn und seinesgleichen darstellt. Und er ist seinen Kritikern superdankbar, wenn sie ihm den Gefallen tun, sich scharenweise auf sein Niveau herabzulassen und Fragen der Kunst zu administrativen Problemen degradieren.
Achternbusch, dem das Gerede seiner Kollegen offensichtlich peinlich ist, sagte ganz präzise, was wirklich passiert ist; das Ganze sei ein Betrug, nichts weiter als ein Betrug, und er werde vor Gericht gehen.
Genau: ein Betrug, ein Bruch von Vereinbarungen, ein Vergehen, das mit Zuchthaus nicht unter und soweiter bestraft wird. Denn so sieht es doch aus: Man macht einen Film und ist nun mal gezwungen, sich zwecks Finanzierung desselben mit irgendeinem Schweinekopf einzulassen, entweder einem privatwirtschaftlichen Schweinekopf, der Geld verdienen will. Oder mit einem staatlichen Schweinekopf, der einen Film finanziert, um seinem Staat die gewünschte Ansehenshebung im Ausland zu verschaffen, sei es einer von denen, die für Machtausübung auf die nette Tour stehen wie der liebenswerte Baum, oder einer, der für die besagte dunklen Stellen in besagter Geschichte berührende Art steht wie Zimmermann.
Wenn man sich als Filmemacher auf so einen Vertrag einläßt, muß man davon ausgehen, daß man mit DEM STAAT Verträge macht und kann keine Rücksichten nehmen auf dessen Regierungswechsel-Farcen.
Achternbusch macht es noch auf eine zweite Art richtig. Er weint keine Krokodilstränen, er beweist sein cooles Verhältnis zum Staat, indem er einfach einen neuen Film dreht: „Der Wanderkrebs“ macht seinen Kontrahenten mit dem Singular/Plural-Problem gezielt lächerlich.
Natürlich fördert Zimmermann diesen Film nicht.



