Der beste Wim Wenders-Film ist für mich immer noch der uralte „Summer In The City“, in dem Hanns Zischler, damals noch ohne die maskuline Penetranz, die sein Spiel in „Im Laufe der Zeit“ manchmal ungenießbar machte, zwei Stunden durch schwarz/weiße BRD-Architektur irrte und seine einzige Orientierung in der Rock-Musik fand: den Platten, die er bei einer flüchtig besuchten Freundin auflegt, Musikboxen in Billard-Kneipen, ein Fernseher in einem Schaufenster, der den „Beat Club“ mit den Kinks ausstrahlt.
Ungefähr zehn Jahre später macht Christopher Petit einen (übrigens von Wenders koproduzierten) Debüt-Film über die zerfledderte, zerrissene Industrielandschaft Großbritanniens. Wieder sucht ein einsamer Mann Spuren und Zeichen einer Vergangenheit (Ursachen und Zusammenhänge um den Tod seines Bruders), und wieder werden auf dieser Fahrt von London nach Bristol die einzigen Wegweiser und Sinnstiftungen die leicht veralteten Musikstücke (der Abstand von Erscheinungsdatum der Musik und dem Drehjahr des Films schwankt wie bei „Summer In The City“ zwischen zwei und fünf Jahren): Während die Kamera die Wohnung des toten Bruders absucht, läuft im Radio Bowies „Heroes“. Sein letztes Lebenszeichen waren drei Kraftwerk-Cassetten, die er seinem Bruder zum Geburtstag geschenkt hatte. Der Held verläßt London, fährt an einem „Free Astrid Proll“-Graffiti vorbei und hört „Always Crashing In The Same Car“.
„Radio On“ ist auch ein Film über Architektur. „Wir sind die Kinder von Fritz Lang und Wernher von Braun“, heißt es auf einem Papier in der Wohnung des toten Bruders. Wie bei Lang wird die Umgebung nicht zur Kulisse reduziert, sondern Landschaftsreste und -perversionen, Straßen, Baggerlöcher und Großstadtschluchten treten als Handlungs- und Bedeutungsträger auf. Die Menschen treten aus einem geschichtslosen Nichts, einem soziologischen Vakuum in eine Welt, die so aussieht, als hätten die Häuser und Autos die Geschichte gemacht und erlitten. Und über allem babbeln die unwirklichen englischen Nachrichten, zischt die Unterhaltungselektronik, und nur einen Song bekommt man bis zu seinem Ende zu hören: „Heroes“. Und das klingt in diesem Film pessimistischer als „No Future“.
Mir ist nicht bekannt, ob der Film in der BRD synchronisiert gezeigt werden soll. Das wäre in jedem Fall eine Katastrophe. Vor allem wegen des faszinierend/peinlichen, peinlich/faszinierenden Auftritts zweier bayerischer Mädchen in der Nacht in Bristol (die eine ist Lisa Kreuzer), der das Anliegen des Films, seinen Blick auf Menschen fast schon selbst parodiert: Wie im stillen, menschenleeren und menschenfeindlichen dumpfen Nichts plötzlich Bayrisch zu hören ist. Und wie sich dann das Englisch des Helden anhört.


