Clash! Hamburg brennt nicht, aber es ruft

„Bei schlechtem Wetter findet der Aufstand im Studio statt“, schrieb Tony Parsons in SOUNDS 3+4/79. Als die Clash nach Hamburg kamen schien die Sonne, und Aufstände (oder wie „Bild“ es nennt: „Krawalle“) gab es schon seit Wochen. Die Punks und andere unzufriedene Jugendliche waren seit Anfang Mai fast täglich mit einer oft rigoros und skrupellos operierenden Polizei aneinandergeraten. Mitte Mai gaben dann die Helden und Anführer des „White Riot“ von vor drei Jahren ein Konzert.

Begonnen hatte alles, als die Polizei an einem Freitag Anfang Mai in ein Punk/Subkultur-Lokal eindrang, um einen angeblichen Dieb festzunehmen:

Als sich dann jemand nach dem Grund der Festnahme zu erkundigen wagte, gingen gleich zwei Roboter auf ihn los. Einem anderen Uniformierten flog von irgendwoher eine Flasche an die Birne, einigen Leuten wurde chemische Keule direkt in die Augen gesprüht. (…) Man sah deutlich, daß die Roboter Angst hatten: jedesmal, wenn sie jemanden anfaßten, waren sie sofort von einer Horde wütender Leute umringt, von denen sie schließlich bis zur Glashüttenstraße getrieben wurden. (…) Gegen 3:45 begann der Vergeltungsschlag. Ungefähr doppelt so viele Roboter wie Gäste, diesmal auch noch mit Helmen, stürmten ins Lokal. (…) Leute ohne Ausweis oder Minderjährige wurden ziemlich brutal abgeführt, einer, der schon am Boden lag, wurde zusammengetreten.

Soweit ein anonymes Flugblatt. „Bild“ erklärte dann in der Montags-Ausgabe Polizei und Bevölkerung, was sie erlebt hatten, nachdem am Samstag einige Leute im Reichenviertel Pöseldorf Unruhe stifteten und auch hie und da Sachen beschädigten. Es waren übrigens keineswegs nur Punks, aber „Bild“ weiß, was zu tun ist, wenn es gilt, dem Kleinfaschisten von nebenan ein klares Feindbild zu präsentieren: „Die große Schlacht der Punker“ lautete die Schlagzeile, darunter: „Polizisten verletzt, Autos umgeworfen, Scheiben zertrümmert“, und: „200 wilde Punk-Rocker haben deshalb am Wochenende Krawall gemacht“, und weshalb? „Dumpfen Haß auf Alles“

Dazu die Aussage einer Schülerin, die völlig unbeteiligt bei den Pöseldorf-Kämpfen festgenommen wurde, zitiert nach einem Flugblatt von „Schüler gegen Rechts“

Da nahm mich der Bulle und schlug mit seinem Knüppel auf mich ein. Er zog mich am Halstuch, so daß ich Angst bekam, er wolle mich erwürgen. Er legte mir Handschellen an und brachte mich ins Auto. (…) In der Wache zog er mich an den Haaren in die Zelle, wo er mich fragte, ob ich schon einmal Handschellen in der Fresse gehabt hätte.

Danach verschärfte sich die Situation fast täglich: In der Innenstadt, wo Punks, Teds, Freaks (mittlerweile nicht mehr verfeindet) die ersten schönen Tage des Hamburger Frühlings in der Sonne verbrachten, gab es fast täglich neue Festnahmen, oft unter fadenscheinigen Vorwänden. Auch Hamburgs Subkultur-Region, das Karolinenviertel, blieb von Schikanen nicht verschont, so daß das vorhin zitierte anonyme Flugblatt mit der Forderung schloß: „Sofortiger Abzug der Besatzungstruppen aus dem Freistaat Karolinenviertel!“

Aber auch „Bild“ blieb am Ball. Ein gewisser Thomas Wieczorek hatte vor Ort „recherchiert“. Er war in einem Punk-Lokal: „Da lümmeln sie (…) Sie prusten sich gegenseitig mit Bier an, ein Mädchen in Leder tritt auf einem Betrunkenen herum.“ Bei „Bild“ ist die Phantasie an der Macht. Fünf Tage später war das Clash-Konzert.

Für viele der Punks, die sich als Anarchisten verstehen, gelten die Clash als Verräter, seit sie bei CBS unterschrieben haben und ihr politisches Engagement posenhaft zu werden begann. Für andere, unpolitische Punks gelten die Clash als Verräter an der harten Musik. Die zweite und die dritte Platte seien zu weich und zu langsam. Viele mögen die Clash noch immer, weil sie halt eine gute Band seien, genauso wie 68er Linke die Stones immer noch mögen, obwohl der „Street Fighting Man“-Anspruch nie eingelöst wurde. Ich halte die Clash für eine der besten politischen Bands, aber mit dem Verfall ihrer Glaubwürdigkeit als Politicos glitten auch Text und Musik ins Phrasenhafte ab. „London Calling“ ist ein tolles Stück, aber „Spanish Bombs“ ist eine der ekelhaftesten Anhäufungen angelesener Revoluzzer-Sprüche, die ich kenne.

Im Polizeipräsidium schien man aber „White Riot“ immer noch ernst zu nehmen. Mehrere Mannschaftswagen waren bereitgestellt. Die demonstrative Anwesenheit der Bewaffneten heizte die Atmosphäre noch mehr auf. Die Luft der vollen „Markthalle“ war stickig und dick.

Zunächst wurden die Clash zwar feindselig, aber ruhig begrüßt. Nach dem zweiten Song ging es los: „Safe European Home“ – ein fantastischer Song, eines der besten politischen Lieder, die ich kenne. Wie alle guten politschen Lieder ein aufwiegelndes Lied. Es zeigte Wirkung. Die Clash bekamen ihren „White Riot“. Nur daß sie unversehens auf der anderen Seite der Barrikaden gelandet waren. Kleine und große Kämpfe, Schlagabtausch, Versuche, die Bühne zu stürmen; kurze Statements und/oder Beschimpfungen, wenn kurz das Mikro erobert wurde. Versuche, zwischen Clash und Publikum zu vermitteln, zu sagen, worum es geht, gab es auch, scheiterten aber an der geladenen Stimmung. Die Clash versuchten cool zu bleiben, weiterzuspielen. Und sie spielten toll an diesem Abend. Hinten war das Publikum zeitweise begeistert, während vorne die Leute vor Wut schrien. Irgendwann verschwand Strummer mit seiner Gitarre im Publikum, und kurz darauf wurde ein Junge mit schwer blutendem Kopf auf einer Bahre weggetragen. Wenige sahen, was wirklich passiert war, und Gerüchte breiteten sich aus, der Junge sei tödlich oder lebensgefährlich von Strummer verletzt worden. (Er wurde noch am selben Abend aus dem Krankenhaus entlassen.)

Das Hin und Her zwischen Clash-Musik, die besser und härter war als je, und den kollektiven Wutentladungen derer, für die die Songs bestimmt waren, verschärfte sich: „Wenn ihr kämpfen wollt, kämpft doch mit der Polizei“, rief Strummer, was die Angesprochenen nur als üblen Zynismus verstehen konnten, nach all dem, was sich in den letzten Wochen in Hamburg ereignet hatte.

Die Paradoxie war komplett, als die Polizei Strummer nach dem Konzert wegen Körperverletzung verhaften wollte und zunächst mal für eine Blutprobe mitnahm.

Die politische Einschätzung dieser Vorgänge ist ebenso schwer wie eine politische Einschätzung von Punk überhaupt, bzw. wie überhaupt von neuen emanzipatorischen Bewegungen, die sich erst in einer Phase der Konstituierung befinden. Nicht schwer dagegen ist zu erkennen, was die täglichen Demagogien gegen die „Punk-Rocker“ zu bedeuten haben, der ständige Versuch, Rivalitäten unter Jugendlichen zu schaffen, Gruppen wegen ihres Äußeren zu isolieren: Hier soll abweichendes Verhalten kriminalisiert, jede Rebellion im Keim erstickt werden. Welche Funktion die Wortkombination „Punk-Rocker“ haben soll wissen viele noch, die die Wortschöpfung „Polit-Rocker“ und ihre Verwendungsweise als Diffamierung gegen alles, was links von Helmut Schmidt steht, kennen. 

In der Innenstadt wurde am Tag nach dem Konzert wieder ein harmloser Kinderpunk abgeführt, der auf ein Kunstwerk geklettert war, in den anliegenden Schallplattenläden rissen sich die Leute um eine japanische Pressung der ersten Clash-LP mit Bonus-Single. Am Abend veranstaltete Madness harmlose Tanzerei für alle (John Cale sagte 1975: „Rock’n’Roll ist auch nur so ein Trick, der der Regierung hilft, den Mob von der Straße zu holen“.) Im Karolinenviertel patroullierte die Polizei.

Am Tag drauf sagte Strummer zu mir am Telefon, von Oslo aus:

Die Hamburger Kids haben eine Kraft und Energie, wie niemand sonst in der Welt außer vielleicht in Glasgow und London. Sie könnten viel erreichen, wenn sie sie gegen ihre wirklichen Feinde einsetzen würden, gegen die Bullen. Wir betrachten uns nicht als Führer, wir sind nicht für sie verantwortlich, wir machen Musik. „Don’t follow leaders, just watch the parking meters“, sang Dylan schon in den Sechzigern. (…) Ich habe den Jungen nicht mit meiner Gitarre verletzt. Als ich die Bühne verließ, hatte ich sofort die Gitarre verloren.

Wie dem auch sei: Die Clash haben es mal wieder geschafft, politische Konflikte an die Oberfläche der glatten Konzert-Medien-Maschinerie zu bringen. Die Clash waren da – es hat gekracht.

In der Innenstadt beobachtet eine „Bild“-Verhetzte mit ihrer Freundin mit stumpfem, Blick ein paar Punks, sie sagt: „Einen ganz stumpfen Blick haben die.“ Am 1. Juni ruft „Bild am Sonntag“ zur Solidarität mit der Polizei gegen „Krawallmacher“ auf und zitiert dabei einen anonymen Hamburger Polizisten: „Früher hab’ ich, streng nach Vorschrift, auf die Beine gezielt, wenn ich von der Schußwaffe Gebrauch machen mußte. Heute würde ich das nicht mehr tun. Wer nach meinem Leben trachtet muß jetzt damit rechnen, daß ich höher ziele“ – Darunter ist zu lesen, daß sich der Mann mit der Waffe „gegen brutale Rocker wehren mußte“. Nach der Logik der „Bild“-Demagogie (Punk = Rocker) könnte das heißen, daß die Bevölkerung auf den ersten Punk-Toten vorbereitet werden soll – einen Tag später war Benno Ohnesorges dreizehnter Todestag.