Dennis Hopper ist nicht nur seit Jahrzehnten der Meister des Soundtrack, was hier durch luxuriös-harte Hip-Hop-Beats dokumentiert ist, die durch die Dolby-Speaker mit den Uzis um die Wette rattern, er hat auch den einzig akzeptablen Film über Gangs, Crack und L.A. gemacht, der heute denkbar ist; daß der nicht bruchlos gelingen kann und auf den Ruinen eines bürgerlichen Drehbuchs mit Bullen-Augen errichtet werden mußte, ergibt sich daraus.
Zum einen ist es natürlich herrlich, wie Dennis Hopper die wohl ursprünglich geplante Männerfreundschaftsbullentränendrüse vertrasht und sich in Andeutungen und ein paar Altbulle-und-Jungbulle-gehen-ficken-Witze verlieren läßt (mit dem üblichen staatstragenden Familienvateropfer, das zum aufopfernde-Bullen-tun-ihre-Pflicht-Programm gehört wie das Blau in die Augen von Paul Newman), um sich stattdessen hemmungslos seiner Freude an neuen Jugendkulturen hinzugeben. Trends kommen und gehen, aber Dennis Hopper ist immer zur Stelle, wenn einer von ihnen etwas dauerhafter zu werden verspricht und dreht den definitiven Film zum Trend/Jugendbewegung (so wie Al Oerter alle 4 Jahre aus der Versenkung erschien und die olympische Goldmedaille im Diskuswerfen gewann, auch wenn er sonst nichts gewann und nie einen Rekord aufstellte), irgend jemand hat ihn vor Jahren, als er noch selber die Rock’n’Roll-Delinquenten spielte, dazu programmiert: Wir haben ja Easy Rider neulich wieder gesehen, in der Sommertheater-jeden-Tag-ein-anderer-Klassiker-der-Filmkunst-Reihe, und das ist ja ein wirklich großer Film, der für die ausgehenden 60er jugendkulturtechnisch genau das leistete, was der Wirklichkeit damals nicht gelungen ist; die Versöhnung von Hippie-Gefasel, Hippie-Sex und Hippie-Drogen mit dem wehrhaften, echten Leben der Biker, alles unter der Sonne der Einsicht, daß wir alle echte Armleuchter sind: für Hopper ist jede Jugendkultur zunächst eine Delinquentenkultur, seine unausgesprochene Theorie der Subkultur: nicht die vermeintlichen Ideen, Ziele, Behauptungen einer Subkultur sind von Bedeutung, sondern die Bedingungen, unter denen die – die jeweiligen Anstöße für eine neue Bewegung gebenden – Gangster kriminell geworden sind. Auch Hip-Hop hat für ihn nichts zu tun mit einer neuen schwarzen ästhetischen Praxis, die an soziale Mobilitätsversprechen – entweder politische in allen Varianten oder unpolitisch amerikanische – gebunden ist, sondern ist Gangster-Kultur, was vorher für ihn auch Punk (Out Of The Blue), Hippies (Easy Rider), Rock’n’Roll (verschiedene Filme, darunter der Colors-verwandte, neulich im TV genossene Key Witness, mit Hopper als Schauspieler und Mitglied des 50er Juvenile-Delinquent-Brat-Pack Sal Mineo, Natalie Wood, James Dean – „sie sind alle tot“, weiß der Pressetext traurig) waren. Jugendkultur ist eine tragische Auflehnungsveranstaltung für Hopper, ihre Helden sind eher Artaud und Mesrine als Guevarra und Lenin, das Soziale und Politische ist eine im Prinzip nur untergeordnete Unterabteilung des Lebens als Scheiße, das Erwachsene und andere Trottel führen: Solange Du aber jung bist, spürst Du noch die eigentliche, uncodierte Energie des Lebens in Dir, und dieses Leben befiehlt Dir den Tod, bevor Du Dich auf denen ihr Spiel einläßt. Diese fast artistische, dandyistische Lesart, seine eigene Geschichte in Wahrheit, legt Hopper über noch jede Jugendkulturparabel, aber eben vor allem über jedes Drehbuch, auch wenn es noch so sozialdemokratisch oder einfach ideologisch-amerikanisch gedacht und geschrieben ist, folgerichtig ruft der Hardliner unter den Neighbourhood- (bzw. Barrio-) Verteidigern, der größte Gang-Romantiker, der als einziger auch Argumente gegen die von der Polizei und Verwaltung gestellten Gangsozialarbeiter zu bieten hat, im Moment der Überwältigung durch eine Bullenübermacht: „Es gibt keine Zukunft“, und feuert auf den älteren, versöhnlerisch-humanistischen der beiden Bullen, so den eigenen Tod provozierend. Dies tut, folgt man den Vorstellungen unserer soziologieverseuchten Hirne, kein Gang-B-Boy, die Typen wollen doch wohl eher Goldketten und Ganovenautos und nicht in die Werke Ernst Jüngers oder Yukio Mishimas eingehen, denken wir, aber nicht Hopper, und das ist natürlich groß von ihm, so falsch er auch liegen mag: in einem Stück Kultur (wie in einem Film) muß eine Figur aus kulturkompatiblen Motiven handeln, hier Uzi-hoch-und-es-lebe-der-Tod, um als Mensch mit Leben und Geschichte wahrgenommen und gewürdigt zu werden, insofern lügt Hopper nicht einmal: der heroische, weltfremde Schmus ist nichts als eine Übersetzung auf den Code des Spielfilms und seinen bürgerlichen Biographismen und heroischen Gesten, und sogar die richtige: denn der sein Barrio verteidigende kleine Hip-Hop-Dealer zeichnet sich eindeutig durch die Todesverachtung aus, die ihm Guerra-Civil-mäßig in den Mund gelegt wird, auch wenn er sie in der Wirklichkeit nicht zu inszenieren braucht, weil sie zu seinem Alltag gehört.
Denn es bleibt trotz allem noch eine Menge von dem Zoobesucher-Blick übrig, den das Auge der Bullen (Wärter) den Zuschauer einlädt zu werfen. Im Gegensatz zu allen vorangegangenen, von Hopper bearbeiteten Jugendkulturen hat die L.A.-Hip-Hop-Gangsterszene nur noch die archaischsten Motive (Überleben, die Gegend beschützen, von der Gang respektiert werden, sich Zuknallen), nichts, was sich gut in einem bürgerlichen Jugendhirn anfühlt: wenn Linda Manz ihren widerwärtigen, versoffenen Daddy, nachdem er sie zu vergewaltigen Anstalten macht, in die Luft pustet, ist das zwar auch eine Outlaw-Kinderstory, wie sie Programmkino-Kids nie erlebt haben, aber bürgerliche Kinder können ihren aus nichtigeren und allgemein-pubertären Gründen gehaßten Daddy mit dem Vergewaltiger identifizieren, dieses Leben läßt sich nicht überschreiben auf normale Erste-Welt-Verhältnisse, aber auch nicht distanziert anschauen wie Warriors, als theoretischer Unterhaltungsfilm, der sich die Gang-Situation zunutze macht wie ein Western, gerade die Direktheit der Bandenszenen im Vergleich zu dem betulichen Trash der Penn/Duvall-Beziehung fordert eine Stellungnahme, und es ist klar, daß sich diesen Film auch Leute ansehen können werden, die sich einfach daran freuen, wie sich dieses Pack gegenseitig umbringt und in die Luft jagt. Dem Kid, das heute so alt ist wie ich als es Easy Rider gab, helfen nicht mal unsere romantischen Lügen: dies ist nicht von unserer Welt und wer im Safe European Home an diesem Soundtrack seine Freude hat, kann, im Gegensatz zu den Black-Flag- oder Neil-Young-Fans, die am Soundtrack von Out Of The Blue ihre Freude hatten, sich beim besten Willen weder mit den Gangstern noch mit den Bullen identifizieren.
Das ist ja auch eine generelle Problematik: starke Bewegungen und ästhetische Erschütterungen kommen aus den Dritte-Welt-gewordenen oder -werdenden Peripherien der Ersten Welt, besonders in den USA, diese Peripherien haben sich aber immer mehr vom bürgerlichen Mittelpunkt entfernt, die Ähnlichkeiten zwischen den als Jugendliche/Studenten/Intellektuelle marginalisierten oder als Arbeiterklasse unterdrückten und nicht ganz integrierten Teilen der Ersten Welt und den vorbildgebenden Subkulturen an ihren Rändern nimmt ständig ab und beschränkt sich mittlerweile nur noch auf die Musik, die die Mittelpunktbewohner sich von den Rändern holen, um ihre physisch ungefährlich gewordenen, komplizierteren und inneren Konflikte mit massiven Rhythmen und Zeichen aufzuladen, ohne sich, wie noch vor zehn Jahren, erst recht aber vor zwanzig, mit den Inhalten auch nur annähernd auseinanderzusetzen, was in der politischen Wirklichkeit seinen Niederschlag darin findet, daß Linke, die nicht für sich selbst mehr kämpfen, sondern für die Opfer unserer Wirtschaft an den Rändern der Ersten und in der Dritten Welt, immer weniger wissen, wie sich die Interessenslage des DGB-Kumpels und der Bewohner etwa der Ghettos von Los Angeles oder irgendeiner asiatischen Großstadt noch vermitteln lassen, ohne irgendwelche Aktionen. Hopper arbeitet dem entgegen, indem er den Gang-Jungs eine bürgerliche Heldenwürde gibt, ziemlich verzweifelt, denn da ist wirklich nichts bewundernswert an den Charakteren, die hier aus Nichtigkeiten morden und brandschatzen, blutige Amateurmafia spielen, um die kläglichsten Brosamenprofite aus dem Drogenhandel streiten und Slumzeilen zu militärischen Territorien erklären. Außer, daß sie sich ihr Los nicht ausgesucht haben und ihre Sache sowieso so gut machen wie möglich, weil es schließlich um ihr Leben geht.
Daß die weiße Mittelklasse-Geschichte, die Sean Penn und Robert Duvall als Alt- und Jungbulle weise und milde gegen stürmische Verbrechensbekämpfer („Du bist auch nur ein Gangster“), Menschenfreund und Menschenfeind auszufechten haben, nicht vollends ins Lächerliche abdriftet, hat sie der von Hopper noch weniger beachteten Nebengeschichte, der grenzübergreifenden Liebesgeschichte zu verdanken, die Sean Penn als der mißlungene Macho, der ständig scheiternde Method-Actor, bewundernswert durchsteht, keine Frage, daß uns dieser Typ mit den millionenfach gesehenen und immer um entscheidende Millimeter verrutschten Standard-Grimassen zwischen Rourke und De Niro als Monument mißglückter und damit zeitgemäßer und vor allem neben Madonna sehr passend angesiedelter Männlichkeit sympathisch ist, wie er hier die gesamte Fahndung der Gang-Sondereinheit durch Übereifer versaubeutelt, und eine von Hopper nur noch lustlos angedeutete Liebesgeschichte dazu gibt diesem Bullen-Generationskonflikt eine zusätzlich lustige, zitathaft-echomäßig vielen berühmten Fernsehserien nachdämmernde Dimension.
Penn wiederum wird zum Denkmal der Unmöglichkeit des Mannes im ausgehenden 20ten Jahrhundert. Ob er nun Farben trägt oder ficken will. Es geht um die Seite, auf der man steht, mal wieder, und die meisten Frontlinien, die hier Welt teilen und zu Territorien erklären, sind natürlich die von außen, vom System durch funktionierende Communities gehauene. Teilen und herrschen hat in Amerika wg. allgemeiner Buntscheckigkeit der Bevölkerung sowieso Tradition bzw. ergab sich von selber, und bleibt als leichtes Mittel, wenn irgendwo was nicht beherrschbar ist, was als abstrakter, politischer Vorgang in einem Film natürlich nicht darstellbar ist, gelingt Hopper aber wieder übersetzt, indem er Übereifer und Libido eines Jungbullen einen schon schlimmen Status Quo verschlimmern läßt. Das Tragen (Bekennen) von Farben, um das es in diesem Film geht, macht ebenfalls die Verzweiflung deutlich, in der sich Linke befinden, deren zutreffende Einschätzung von Ungerechtigkeiten immer weniger vermittelbar wird: früher konnten solche Hopper-Schilderungen von politisch relevanten Tatbeständen zum Jugendkultur-Exposure immer einen Solidarisierungserfolg mit Bewußtseinsschub verbuchen. Dieses Fahnen- und Farbentragen ist aber natürlich nur eine Farce. Wie aber soll man sich mit einem Uzi-Träger solidarisieren? Man tut es aber trotzdem, eher motorisch. Wenn man das Kino verläßt, fehlt einem was in der Hand: es ist die Waffe. Wie soll man jetzt nach Hause kommen? Ach, es ist ja nur Köln. Glück gehabt. Der Gefahr, daß die naturgemäß reichlich vielen Toten hier im Maschinenpistolengewitter unbetrauert vergessen werden und so wirklich eine rechtskräftige Gewaltverherrlichung herauszuinterpretieren gewesen wäre, tritt Hopper entgegen, indem er vom ersten Moment an jedes Opfer ausführlich und expressiv beweint werden läßt und ein anständiges Begräbnis bereitet (wo dann wie in Nordirland die nächste Schießerei losgeht). Das Leben mag aus Hip-Hop bestehen, gestorben wird mit Gospel, auch hier ist Hopper, und das ist eine typische Independent-Leistung in Hollywood, fair vorgegangen.

