Sie nennen sich „Solidarität“. Sie sind verboten. Sie haben einen robusten, aufrechten Anführer, einen Arbeiterführer. Er trägt einen dichten, buschigen Schnauzbart. Willy Bredel und Ernst Thälmann hätten ihn sich am Telefon ausgedacht haben können. Sie hätten aus den Casting-Listen der DEFA entsprungen sein können, diese polnischen Gewerkschaften Und dennoch sind sie die wirksamsten, populärsten Kronzeugen des Antikommunismus, die es zur Zeit auf dem Markt zu haben gibt. Diese letzten, aufrechten Arbeiter aus Polen.
So wechselte die liebenswerte Figur des Arbeiters, des Gewerkschafters, die nicht minder geliebte Methode des Streiks, das wunderbare Milieu des Untergrunds und dergl. mehr Essentials der alten linken Mythologie lautlos in das Lager des Antikommunismus.
Das war vor Jahren und ist dennoch kaum zur Kenntnis genommen worden. Das, was heute im Westen als „links“ firmiert, ist eben an der alten linken Mythologie eh kaum noch interessiert. Wohl aber an der neuen.
In Nicaragua gibt es einen proamerikanischen Konterrevolutionär namens Eden Pastora. Er dürfte zur Zeit der wichtigste Verbündete des CIA im Kampf gegen die sandinistische Regierung sein. Seine Freunde nennen ihn Comandante Cero, und er sieht aus wie ein Guerrillero. Als hätten ihn sich Wolf Biermann und Regis Debray am Telefon ausgedacht. Doch aus irgendeinem Grunde hat die Rechte bislang noch nicht die verführerische Gelegenheit wahrgenommen, das Konterfei dieses Comandante massenhaft zu verbreiten und so die Umbesetzung einer weiteren linken Rolle durch einen rechten Darsteller durchzusetzen.
Doch das ist jetzt in einem Fall geschehen. Die „Bunte“, die seit 1982 vom „Stern“ die Rolle übernommen hat, dem regierungsnahen Durchschnittsmenschen seine Emotionen zu bebildern, entdeckte im angolanischen Busch einen gewissen Jonas Savimbi, Führer der Unità, einer seinerzeit im angolanischen Bürgerkrieg vernichtend geschlagenen pro-westlichen Befreiungsbewegung, die laut „Bunte“ inzwischen kurz davor steht, in Luanda die Macht zu übernehmen.
Als Aufmacher der Rubrik, die in der „Bunten“ „diese woche“ im „Stern“ entspricht, thront ein Neger im Kampfanzug und läßt sich von der imperialistischen Presse als „Held der westlichen Welt“ feiern.
Was verdammt clever von der westlichen Welt ist: Ihre Jugend, die sich ja nur zu gerne moralische Skrupel leistet, rennt schließlich zur Zeit in den Film „Under Fire“. In diesem Film kann man auch sehen, wie die brutalen Verbündeten des CIA in Nicaragua aussehen: kahlgeschoren, Tropfenbrille, kantig, böse. Wie Söldner eben. Nicht jovial, mutig, eingeboren, freundlich und heldenhaft wie der Mann aus Angola.
Bei Jonas Savimbi steht eben nicht drauf, was drin ist, bzw. umgekehrt: es steht links drauf und rechts ist drin. Ein solcher Feldzug kann kaum den traditionellen „Bunte“-Leser ansprechen wollen, für den ein Guerillero eine ziemlich eklige Angelegenheit ist. Es geht um den Nachwachsenden, den Wende-Jugendlichen, der in extrem ausgedünnter Form, so oft nur noch als schemenhaftes Bild oder Signet vorhanden, letzte Tropfen einer linken Moral mitbekommen hat, der ganz tief drinnen noch ein Che-Guevarra-Poster als Erinnerung an irgendetwas Nettes aufbewahrt. Ja, der vielleicht den berühmten psychoanalytischen Moment wenn der Junge zum ersten Mai festgestellt hat, daß seine Mutter keinen Penis hat und der erste Gegenstand, den er nach dieser Wahrnehmung erblickt zum Gegenstand seines Fetischismus wird, so erlebt: Mutter, in WG, streift den Slip ab und legt sich unter einem Che-Guevara-Poster zu Bett.
Politisches Bewußtsein ist bei diesem Jugendlichen natürlich nicht mehr vorhanden, nur das ganz rudimentäre Feeling, das sich eher zu einem Guerrillero hingezogen fühlt als zu einem Söldner.
Etwas Ähnliches geschah bei der Kießling-Affäre. Als ich in KONKRET las, Kießling habe als NATO-General genug Schuld auf sich geladen, mußte ich schlucken. Schuld? Dieser Mann. Dieser rührende, belesene Großvater, der sich bei den ihm wohlgesonnenen Journalisten persönlich bedankt, dieser milde Vater einer Großfamilie oder meinetwegen auch von Nazis verfolgte, alte, schwule Theaterregisseur soll Schuld auf sich geladen haben? Daß Kießling ein NATO-General sein soll, nahm man ja noch zur Kenntnis. Aber das ließ doch zunächst mal nur einen Schluß zu. Wenn die NATO von solchen lieben alten Männern geführt wird, wenn solche weichen und dennoch grundanständigen Leute auf der NATO-Karriere-Leiter so hoch klettern können, dann kann an diesem Bündnis nichts Böses sein.
Überhaupt scheint ja alles, was sich General nennt heutzutage, schlapp, weich und menschlich bis in die Knochen, ja durchdrungen von Gewissen und Anstand zu sein. Auch dieser Bastian. In welcher Armee ist der zum General geworden? Jedenfalls nicht in der, die freitags ihre Hunnenhorden auf die Intercitys losläßt. Die hätten vor Kießling und Bastian nie eine Sekunde stillgestanden. Auch wo Bundeswehr draufsteht, ist nicht mehr Bundeswehr drin.
Und wo wir gerade bei Intercitys sind. Nicht einmal mehr, wo herrschende Klasse draufsteht, ist herrschende Klasse drin. Die Herren, die aus dem 1. Klasse-Teil des Zuges in den Speisewagen schleichen, sind so schüchtern, so bescheiden. Wenn sie sich kleine Genüsse gönnen, wie einen Apfelstrudel mit Sahne und dazu einen Capuccino, beugen sie sich linkisch vor, recken das Hälschen, haben Angst, von der souveränen jugoslawischen Kellnerin ob ihres Schleckermauls gerügt zu werden, während die Prolls, die aus Richtung zweiter Klasse kommen, die lautstarke Herrschaft übernehmen. Die herrschende Klasse präsentiert sich mit eingezogenem Schwanz.
Herrisches Gebaren, Befehlstonfall, klare Hierarchien – wo gibt’s das noch? Richtig, nur noch bei Jugendbanden. Und ein Mann wie Manfred Wörner sagt so unmögliche Sätze wie „die Niederlage formt den Mann“.
Nicht die richtige Einstellung für einen Verteidigungsminister. Finde ich.
