Constantin Costa-Gavras: Vermißt

„Ein linker Film für Axel Springer“, schrieb die „Filmkritik“ seinerzeit über den von der bürgerlichen Presse hochgelobten Costa-Gavras-Film „Z“ und traf damit recht genau die dubiose Vorstellung von „kritisch“ und „politisch“, die unausrottbar in Feuilleton, Proseminar und Oberschule nistet. Auch „Vermißt“, der neue Costa-Gavras, einen Skandal aus dem Zusammenhang der CIA-Verwicklung in den Pinochet-Putsch in Chile aufgreifend, ist ein linker Film für Axel Springer. Wo das Grauenvolle, das den Gesetzmäßigkeiten des Imperialismus gehorcht, zerlegt wird in individuelle Fälle, Skandale. Wo das „Politische“ von jeder Reflektion entleert, herabgewürdigt wird zu einer Reihe spektakulärer Bilder. Brian de Palma macht gewiß „politischere“ Filme.

Jack Lemmon spielt einen konservativen Amerikaner, der im Gestrüpp von Junta-Mördern und korrupten US-Diplomaten nach seinem verschollenen linksliberalen, Märchen-verfassenden naiv-schöngeistigen Sohn sucht (sein Lieblingsbuch ist „Der kleine Prinz“ von Saint-Exupery, wie seine Frau seinem Vater mit leuchtenden Augen erklärt) und herausfindet, daß dieser mit Billigung, wenn nicht sogar auf Anordnung der Amerikaner von der Junta exekutiert wurde, vermutlich, weil er zuviel über die amerikanische Verwicklung in die blutigen Ereignisse wußte.

Assistiert wird er von seiner Schwiegertochter. Sissy Spacek stellt die Ehefrau des Vermißten dar und vermittelt dem konservativen Lemmon nach und nach, daß es keine Paranoia ist, wenn man den Herrschenden dieser Erde alles zutraut.

„Vermißt“ unterläuft dabei eine Fülle von blöde-überzeichnetem Zaunpfahl-Pathos, hat jedoch den Vorzug, durch seine beiden Hauptdarsteller das dürftige Konzept des Politreißers weit hinter sich zu lassen. Sissy Spaceks Präsenz, die immer reales, über die inszenierten Greueltaten hinausweisendes Bedrohtsein verkörpert und sich dabei dennoch völlig normal und folgerichtig verhält, und Jack Lemmons zusehends bitterer und trauriger werdendes, vertrautes Komikergesicht verwandeln schließlich auch die schwächsten Regieeinfälle in intensive Grenzsituationen, die, alles in allem, mit der professionellen Zielsicherheit der Story andere Unbeteiligter-in-Krise-Filme wie Schlöndorffs „Fälschung“ an Intensität weit übertreffen.

Ein Lehrstück über Imperialismus oder amerikanische Politik ist „Vermißt“ jedoch keineswegs (die Vorstellung von einem derartigen Lehrstück wäre auch blöd, aber Costa-Gavras beabsichtigt sowas), die Amerikaner werden wie schon zu Watergate-Zeiten einzelne Regierungsvertreter „Verbrecher“ nennen, sich aber wohl kaum grundsätzlichere Fragen stellen. Die hervorragende US-TV-Serie „Washinton hinter verschlossenen Türen“ leistet ungleich mehr an Irritation und Erschütterung landläufiger Politik-Vorstellungen. „Vermißt“ ist eher ein Film über die Tragik Einzelner, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, ein Film über den Verlust von Sicherheiten.