Copyright

Diedrich Diederichsen über das Recycling von Tönen und die Eigentumsfrage in der Popmusik

In den 40er Jahren drehte der große Howard Hawks den Film The Outlaw. Da ihm sein Produzent, der bekannte Milliardär Howard Hughes, die Arbeit durch Querulantentum zur Hölle machte, schmiß Hawks den Film und Hughes mußte ihn allein zu Ende drehen. Kurz darauf machte Hawks den Klassiker Red River. Darin fielen einige total banale, lakonische Sätze, die Hughes als sein geistiges Eigentum reklamierte. Der bekannte Regisseur Frank Capra schaltete daraufhin eine Anzeige in den Hollywood-Business-Magazinen, in der er aus Solidarität mit Hawks sämtliche Rechte an dem Satz „They went thataway“ für sich beanspruchte.

In der jüngsten Copyright-Auseinandersetzung der Hip-Hop-Szene geht es um noch Einfacheres. Jimmy Castor verklagte die Beastie Boys auf Unterlassung des Rufes „Hey, Leroy“, den man irgendwo, von den meisten Menschen unbemerkt, auf ihrer LP Licensed To Ill hören kann. Die Zahl der von James Brown, oft wegen kurzer Schreie mit Klagen überzogenen Rapper kann man kaum noch zählen. Und das englische Erfolgsproduzenten-Trio Stock/Aitken/Waterman und der nicht minder erfolgreiche Avantgarde-Tanzmusik-Zusammenschluß M/A/R/R/S haben sich gegenseitig bei nahezu gleichzeitig erschienenen Platten des geistigen Diebstahls beschuldigt. Ganz zu schweigen von dem, was die Justified Ancients Of Mumu alles zu erdulden hatten.

Irgendwann hat einmal der Rapper Eric B. auf einer eigenen Platte mit tiefer Stimme „Pump Up The Volume“ gefordert. Seitdem konnte er seine Worte nicht nur auf einem LP-Track von Age Of Chance wiederfinden, sie wurden zum Markenzeichen des gleichnamigen und wochenlang überall in Europa auf Nummer Eins stehenden Hits der erwähnten M/A/R/R/S. Natürlich geht es bei diesen Streits, anders als damals in Hollywood, nicht um das geistige Eigentum von naheliegenden Sätzen, sondern um die Verwendung identisch kopierter Teile, oft nur in Zehntelsekundenlänge, von bereits veröffentlichten Platten: die sogenannte Sampling-Technology ermöglicht Speicherung und Abrufung kleinster musikalischer Einheiten und ist maßgeblich verantwortlich für die Entwicklung vor allem schwarzer Tanzmusik-Innovationen der letzten fünf Jahre.

Auf der anderen Seite ist Sampling auch im normalen Musikgeschäft gang und gäbe. Warum den talentlosen Schlagzeuger einer Hamburger Jung-Soul-Band auch noch damit quälen, einen vernünftigen Drum-Sound hinzukriegen, wo er doch nicht einmal den Takt halten kann? Der Produzent ist ein konventionelles Arschgesicht, aber er kennt die Stellen auf den alten Led-Zeppelin-Platten, wo John Bonham besonders vollmundige Breaks geschlagen hat. Ohne Problem läßt sich der Bonham-Sound samplen und in der richtigen Geschwindigkeit, sowie mit einigen verschleppten Tambourin-Schlägen von guten, alten Motown-Platten auf die Percussion-Spur des nachempfundenen Soul-Songs legen. Auf diese Weise werden mehr und mehr Platten gemacht. Als man denkt, vor allem. 

Vereinfachend läßt sich feststellen, daß es zwei Möglichkeiten gibt, diese Technologie zu nutzen; einerseits diejenige, die bekannte, gesicherte und gewonnene Soundvorstellungen festschreibt, indem sie vermeintlich klassische Sounds immer wieder und schwer feststellbar recyclet, gerade gegenüber jungen, von der Plattenindustrie-Orthodoxie als dilettantisch empfundenen, neuen Spielweisen den Vorzug gibt und damit nicht nur zu musikalischem Stillstand führt, sondern auch nach und nach diesen klassischen Sounds ihren Reiz nimmt, den sie noch hatten, wenn man sie offensiv zitierte oder sich, wie im Falle Motown, analoge Einschränkungen ihrer Erkenntnisse über musikalische Ökonomie bediente; und andererseits diejenige, die wie im Hip-Hop durch erkennbare Übernahmen bestimmter Phrasen (sprachlicher wie musikalischer), charakteristischer und bekannter Sounds, die Kunst der Collage in der Musik auf eine neue Ebene gehoben hat (hierzu ist anzumerken, daß die Rechtslage in der Bildenden Kunst im Falle der Collage auch alles andere als geklärt ist und nicht nur Andy Warhol regelmäßig mit Prozessen überzogen worden ist, wenn er bestimmte Bildvorlagen bearbeitete).

„Die Entwicklung des Reggae wie wir ihn kennen, wäre unter den Bestimmungen amerikanischer Copyright-Gesetze nie möglich gewesen“, bemerkte Glenn O’Brien anfangs der 80er. In Jamaika gibt es seit den frühen 70ern eine Kultur des sogenannten Toastens, die sich im Laufe der Zeit aus der DJ-Tätigkeit entwickelte und fortgesetzt Copyright-Verletzungen beging. DJs, die sich profilieren wollten, nahmen Tageshits, ließen bis auf den Kehrreim und einige bezeichnende Stellen, den Gesangsteil rausmischen, oft in Zusammenarbeit mit den Studios, in denen die jeweiligen Hits entstanden waren, und rappten (in Jamaika: toasteten) ihre weitschweifigen Gedanken zu Tagespolitik, Jahs Geboten und Verboten, Spaß mit Ganja und Ärger mit der Polizei. Nach und nach wurde Toasten zur eigenständigen Gattung, Leute wie Big Youth, U-Roy und I-Roy waren in Jamaika zeitweilig, vor allem im Ghetto, wichtiger und größer als die international gefeierten Reggae-Sänger Marley und Tosh (Friede ihrer Asche!) und sie hatten erst, als auch sie dann zaghaft den internationalen Markt erreichten, eigene Backings. Die daraus vor allem unter britischen Jamaikanern entstandene sogenannte Dub-Poetry (Linton Kwesi Johnson, Michael Smith, Benjamin Zephaniah) verdankte ihrerseits vieles singenden oder sprechsingenden Dichtern des schwarzen Amerika wie den Last Poets oder Gil Scott-Heron, womit eine von vielen Verbindungen vom Toasten zu Vorformen des heutigen Rap hergestellt wäre.

Daß die schwarze Popkultur der Gegenwart, deren Vorfahren ihre Ideen stets für wenig Geld einer weißen Industrie überlassen mußten, die damit viel Geld zu machen wußte, heute eine Kultur des geistigen Diebstahls geworden ist, hat künstlerische wie ethnologische Gründe: die Idee, daß Gesang immer von Liebe spricht oder lügt (was dasselbe ist), harte Fakten aber nach gesprochener Sprache verlangen; daß der Groove ein allgemeines Eigentum ist, der keinem Autor gehört und erst recht nicht denjenigen, die die Produktionsmittel haben, um den Groove geil klingen zu lassen, sind einige davon. Vor allem aber, daß die Grundhaltung weißer Rockmusik, derzufolge im Laufe eines Songs ein Individuum in kontinuierlicher, kontrollierter Ausdruckskunst sein Inneres nach außen kehre, nicht nur ein bürgerlicher Unsinn ist (das auffallendste Merkmal des Hip-Hop ist seine Diskontinuität), sondern eben nicht mehr dem Stand der Produktivkräfte entspricht. Der vermeintlich unverwechselbare Ausdruck hat eine neue Stufe der Reproduzierbarkeit erreicht. Nicht reproduzierbar sind nur die Ergebnisse der Collage vor dem Hintergrund des Kollektivbesitzes Groove. 

Auf der anderen Seite sind die durch das Copyright erst zu solchen gewordenen Waren (die ja in ihrer Funktion das Allgemeingut Volkslied abgelöst haben) heute mehr denn je zum Spekulationsobjekt geworden. Mit ihnen lassen sich genauso gut Geschäfte machen wie mit Schweinebäuchen oder tiefgefrorenem Orangensaft. Die Versteigerung der Rechte an allen Beatles-Kompositionen, bei der Michael Jackson den bislang reichsten Musiker aller Zeiten, nämlich Paul McCartney selbst, überbot, nahm man noch mit einem Achselzucken hin. Schließlich ist Paul selber reich genug (Yoko auch) und außerdem ist man es aus der Geschichte gewohnt, daß in der Popmusik, wenn irgendwo mal Geld verteilt wird, stets eher die Phil Collins und Stings dieser Welt abkassieren als einer, der etwas geleistet hat: diese Leistungen waren eh eher synthetische Leistungen, deren Verwässerungen erst, bei den erwähnten Collins und Stings z. B., geben sich als authentisch und original aus.

Erst als Michael Jackson den Beastie Boys untersagte, die alte Beatles-B-Seite “I’m Down“ zu covern, begriff man, welche Macht der kleine Außerirdische sich gesichert hatte. Mit Rechteeignern wie ihm, die nicht nur aus finanziellen Erwägungen sich Mitspracherecht bei der Verwaltung eines Erbes sichern, gerät dann eine der wichtigsten Institutionen der Popmusik überhaupt in Gefahr: die Coverversion. Stets eines der markantesten Mittel, um den Standort einer Band/Generation etc. klar zu machen, heißes, internes Mittel der Kritik und Überprüfung. (Paradoxerweise darf die 100%ige Coverversion nicht einmal ein Michael Jackson verbieten, seine Rechte setzen erst bei – allerdings nicht nur von den Beastie Boys nicht vermeidbaren – nachweisbaren Bearbeitungen ein.)

Die Lächerlichkeit der Empörung „Das ist ja geklaut“ ist uns schon in diversen Lektionen klar geworden. Daß niemals ein Autor zählt (schon gar nicht in einer Welt, wo wahrer Lohn für wahre Arbeit so selten ist wie in der Popmusik), sondern ein kleines Objekt, wie auch immer es zustande gekommen sein mag (nett und lobenswert, wer Credits gibt und deren finanzielle Konsequenzen trägt (tragen kann)). In der heutigen Situation wird geistiger Diebstahl aus mehr als einem Grunde zur lebensnotwendigen Devise der Popmusik. Zum einen, weil große reaktionäre Einzelne und Institutionen ihre Finger auf Allgemeingut gewordene (per Gewohnheitsrecht) Teile der Tradition legen (können), gerade in einer Zeit, wo die Popmusik Begriffe von sich selbst und ihrer Tradition zu erarbeiten begonnen hat. Zum anderen, weil eine von wenigen zeitgemäßen vielversprechenden Musikformen – den Arbeitsweisen der neueren Popmusik selbstverständlich – die Errungenschaften der Sampling-Technik ausnutzt und damit auch eine Ästhetik entwickelt hat, die unserem wirklichen Leben in der wirklichen Gegenwart entspricht, die Musik rund um Hip-Hop.

Wenn ein LL-Cool-J-Stück zu einem Viertel aus einem Chuck-Berry-Intro, einem Viertel aus einem Bill-Haley-Text, einem Viertel aus Isaac Hayes’ „Shaft“ und nur zu einem Viertel aus LL Cool Js Rap besteht, ist dennoch die künstlerische Leistung, wenn wir denn einen Autor in unserer Vorstellung brauchen, zu hundert Prozent seine. So verlaufen Veränderungen der Pop-Musik schon immer. Nur verlangten frühere, stilistische Entwicklungen die weiche, unmerkliche Verschmelzung. Die Diskontinuität des Hip-Hop hat aber gerade die Härte und Unverbundenheit seiner Bestandteile zum Geschmackskriterium erhoben, als Nebeneffekt entsteht dabei Wiedererkennbarkeit für die Urheber.

Männer von Welt wie der hochverschuldete Chuck Berry lassen das geschehen. Dem unterbewerteten Jimmy Castor ist es auch nachzusehen, daß er für die, in seiner Originalstimme – den immerhin weißen Beastie Boys zu einem Millionstel Erfolg verhelfenden – gesprochenen Worte „Hey Leroy“ ein paar Bucks sehen will (auch wenn gerade er jetzt den Musterprozeß über Sampling angestrengt hat, der zumindest für die Overground-Distribution von zeitgemäßem Hip-Hop das Aus bringen könnte), von James Brown sind teilweise, nur geringfügig bearbeitete, komplette Stücke übernommen worden, was diesem Godfather gewiß bei einigen seiner zahllosen Prozesse recht gibt. Gegen die anderen jedoch, an der Spitze Michael Jackson, muß man was tun (auch wenn Michaels Copyright-Verweigerung sich noch auf eine altmodische Coverversion der ihm ideologisch mißliebigen Beastie Boys bezog). Die Gruppe Culturcide hat ohne Angabe von Absender, Hersteller, Plattenfirma oder ähnlichem vor einem Jahr eine Platte veröffentlicht, wo sie zu den im Studio laufenden Platten irgendwelcher Megastars einfach mitsingen (oder mitspielen) und die Urheber kunstvoll beschimpfen. Trotz null Werbung und geheimster Geheimdistribution wurde die Platte weltweit bekannt und beachtet. Ein erster Schritt zur Enteignung der Copyright-Inhaber.