Das erste sexy Knuddeltier?

Diedrich Diederichsen über das Fünfziger-Jahre-Idol James Dean

Die Leute sagen, Eskapismus ist, wenn man die Menschen in irreale Traumwelten entführt, wie nach Oz oder in den Weltraum, was sie von ihren Problemen nur ablenke, statt ihnen bei deren Lösung zu helfen.

Eine viel schlimmere Spielart von Eskapismus scheint mir zu sein, den Leuten etwas als real, problematisch, konfliktbeladen, bedeutsam und am Ende sogar tragisch zu verkaufen, das in Wirklichkeit nur aus zeitlosen Banalitäten besteht.

So waren die 50er Jahre: Ihre Filme, Dramen, ihre grimassierenden Schauspieler aus der Method-Actors-Schule, ihre Katzen auf heißen Blechdächern, ihre toten Handlungsreisenden, ihre ewig gleichen, verpfuschten bürgerlichen Leben, ja sogar ihre Komödien kreisten immer nur um ein kleines, schmerzhaft winziges Mißverständnis, das Doris Day und Rock Hudson nicht vom Tisch schafften. All diese Problemchen, immer wieder mit dem gleichen heiligen Ernst serviert von den bei Lee Strasberg ausgebildeten Mimen mit all ihrem Rotz und Schweiß und ihren Schreiereien.

Das Gute an den 50er Jahren: Fast alle besseren älteren Regisseure standen mit einer beklommenen Fremdheit vor den heißen Blechdächern und produzierten interessante Monstrositäten (Hawks, Ford, Sirk).

Und fast alle Protagonisten paßten nicht ganz in die Zeit: In ihren Gesichtern zeichneten sich entweder schon Mobilität, Geschwindigkeit und Revolte der 60er ab, oder ihre Züge waren noch geprägt von den verzweifelten, zynischen und von morbider Realität vollgesogenen Filmen der 40er.

Nur ein Star der 50er existierte ausschließlich wegen und während der 50er und für die 50er Jahre: James Dean.

Elvis Presleys Erotik war so hemmungslos und hemmungslos bescheuert wie das nächste Jahrzehnt (Dean dagegen stellt ein Monument von Verklemmungen und Verdrängungen dar); Robert Mitchum, Alan Ladd und Humphrey Bogart legten sich als Schatten schwarzer Zeiten und Serien über die kleinkarierten Familienparadiese; Gary Cooper, Cary Grant, James Stewart, Henry Fonda und John Wayne waren Zeugen noch vergangenerer Vergangenheiten, in ihre Züge waren New Deal, Früchte des Zorns und Capra-Roosevelt-Optimismus eingraviert; der Zweite Weltkrieg, der McCarthyismus und die große Restauration schufen schließlich die Voraussetzungen für eine Type wie James Dean.

Wissen Sie, wie von Haus aus dumme Menschen aussehen, die auf einer Beerdigung, auf einer wichtigen Konferenz oder anläßlich einer weltpolitischen Tragödie sich gezwungen sehen, ihre nichtssagenden Gesichter in erschütterte, nachdenkliche Trümmerfelder zu verwandeln? Ist nicht James Dean ein Typ, der mit seinem Gesicht immer hinter dem Ernst einer Lage herhechelt, die er offensichtlich gar nicht versteht?

Wie er sich durch „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ schleicht, zäh und irgendwie angeschossen, und versucht, einem Teenie-Drama Größe beizubringen, ist ein Monument des Zähen, Verklemmten, Dumpfen. Immer glaubt man bei James Dean, daß gleich seine Stirnadern hervortreten und platzen. Ein überforderter Mensch.

„Jenseits von Eden“, die Geburtsstunde des Stars, ist ein Klassiker dieser Epoche, in der die Amerikaner, verkennend, daß ihre großen Western längst die Funktion von Aischylos übernommen hatten, tragisch sein wollten wie die griechischsten Griechen, und gleichzeitig der Film, der am deutlichsten zeigt, daß der emotionale Kern aller amerikanischen

Vater-Sohn-Dramen eben doch nur die Frage ist, ob der Alte am Wochenende das Auto rausrückt. Und das sagte ungleich charmanter Eddie Cochrans „Summertime Blues“, der es in ein paar Rock ’n’ Roll-Zeilen auf die lapidare Essenz brachte: „Meine Alten haben mir gesagt: Sohn, verdien’ dir erst mal ein paar Mark, wenn du unser Auto am nächsten Sonntag haben willst.“

James Dean führte das Mißverständnis in die Kinogeschichte ein, daß sich inneres Leid auf der Leinwand am besten durch Sprachlosigkeit, gesenkten Kopf, mißtrauischen Blick und durch das Gebaren waidwunden Wilds oder eines vom Torero schon durchbohrten Stiers abbilden lasse. Er verwechselte das Schweigen des großen alten Westerners mit dem Schmollen des Jungen, dem man sein Spielzeug weggenommen hat.

James Dean tut immerzu, als verberge er etwas, als sei etwas in seinem Schweigen eingeschlossen, irgendeine große Enttäuschung, die dieses Schweigen begründe oder rechtfertige. Aber da ist nichts, nur die eine flache Dimension. Eine Marilyn Monroe, die rollen- und imagebedingt gezwungen war, ihre wache Vielschichtigkeit zu verbergen, zeigt immer auch, während sie sich bemüht, etwas zu verbergen, daß sie es verbirgt, daß sie Widersprüche auszutragen hat.

Unnötig wie die Konflikte, denen er in seinen verquälten Epen Ausdruck verlieh, war James Deans berühmter Heldentod. Unnötig und dumm. Man fährt nicht so blöd und schnell, auch dann nicht, wenn man, wie der Hollywood-Skandalchronist Kenneth Anger über Dean schrieb, früher oder später sowieso an Drogen, Alkohol und Disziplinlosigkeit zugrunde gegangen wäre.

Er lieferte damit die Ermutigung für Dutzende von Film- und Popstars (eine Berufsgruppe, die schon immer gern früh starb), die auf der Bühne oder der Leinwand verkörperte Figur des selbstzerstörerischen, tragischen Monomanen ins Privatleben fortzusetzen. Er gab der Idee, daß, wer jung sterbe, auch schön sterbe, die definitive Nachkriegsform. Er aktualisierte Achilles und Valentino, und am scheußlichsten verkörpern dieses Mißverständnis von der Einheit von Leben und Werk die verpfuschten Leben von Janis Joplin und Jim Morrison.

Kann man ihm wenigstens zugestehen, daß er das erste sexy Knuddeltier für Frauen war, das ganz Objekt war, ganz Projektionsfläche, weil seine Männlichkeit nichts mehr von Frauen forderte und eh nur gebrochen, schwul und künstlich war? Und wäre das nicht sehr modern?

Wäre es, aber es ist nicht so. In James Dean sehen wir vielmehr die erste Befriedigung der seitdem nicht mehr verstummten Teenager-Forderung an die Kulturindustrie, Pubertätsnöte doch bitte aufzublasen wie ein echtes Drama. Eine berechtigte Forderung, aber James Dean war nur ein ungeschlachter Prototyp ihrer Erfüllung.