Das Leben, ein Paradies

Oh, die überaus eigenartige Welt des Alan Rudolphi! Was vielleicht früher seinem sogenannten Lehrer Altman ähnlich sah, hatte, wie man heute weiß, nie mit diesem zu tun: was bei Altman poetisch um des Poetischen willen aussah (und so nichts sagte), ist bei ihm notwendig poetisch (weil bestimmte Wahrheiten, so extrem formuliert, daß sie unanpinkelbar bleiben, notwendig poetische Gestalt annehmen). Was bei Altman kritisch-aufklärend um des Zeitgeschmacks willen war, um einer gewissen, politisch-moralischen Aufgescheuchtheit der besseren Kreise unter US-amerikanischen Kinogängern zu schmeicheln – wie sie in den frühen 70ern virulent war –, wird bei Rudolph kritisch-aufklärend, weil sein komischer fassbinderesker Blick eben genau solche Erkenntnisse aus der Welt herausbaggert.

Nun habe ich es ja gesagt: fassbinderesk, obwohl ich von dem Film Trouble In Mind rede, seit ein paar Wochen in den Kinos, und mit Keith Carradine, Kris Kristofferson und Divine besetzt, natürlich auch, wie alle Rudolph-Filme mit Geneviève Bujold, hier als eine Art Marthe Schwerdtlein, wenn es stimmt, was sich mir aufdrängt, daß der Film eine Faust-Verfilmung ist, mit Kris Kristofferson als Goethe, Divine als Mephisto und Carradine als Faust. Die blonde Lori Singer wäre Gretchen, aber Schluß jetzt. Jedenfalls ist dies Thema nur frei, wenn auch nicht zügellos bearbeitet worden.

Am Anfang sagt Keith Carradine zu seiner unschuldig-verliebten, aber nörgelnden blonden Frau Lori, die in die Stadt will, weil es im Umfeld des Wohnwagen-Camps, wo sie hausen, keine Arbeit gibt, die Stadt (DIE STADT) sei Scheiße, nur Schwierigkeiten. Dann gehen sie in die Stadt, Carradine rasiert sich zack und zong und völlig unmotiviert den Bart ab, schließt sich mit einem intellektuellen Schwarzen (Sartre-Zitate, Nickelbrille, Typ: Junior) zu einer Gangsterbande zusammen und läßt sich zu Aladdin Sane umstylen (um, wie der Zuschauer ganz zurecht denkt, seine anfängliche Einlassung über die Stadt ruhig etwas zu drastisch zu untermauern). Die Stadt heißt übrigens „Rain City“ wird von ominösen Hafenanlagen, ominösen Demonstranten (ganz Fassbinder in Lola) und ominösen grauen post-industriell-verwitterten, sogenannten menschenfeindlichen, aber natürlich romantischen Mauern geprägt. Kris Kristofferson, ein ungerechtfertigterweise ehemals langjährig einsitzender Ex-Bulle, baut in seinem Zimmer die Stadt als Modellstadt nach, was wie eine dumme symbolisch-psychologische Idee von Wenders klingt, hier aber nicht von Wenders, sondern von Rudolph ist und somit wieder so eine drastisch untermauernde Idee ist (und darum gut). Mafioso Divine (ohne Fummel) sammelt Kunst, wie schon immer in allen Rudolph-Filmen bilden bunteste Sammelsuria schlechtester Kunstwerke, sozusagen Kunst-Parodien, den Hintergrund der Sinnstifterwohnungen (Mafiosi eben, Radio-Moderatoren, Radio-Stationen).

Aber auch die als real behauptete Welt seiner Studio-Städte ist ja eine Welt-Parodie von bittersüßer Brisanz, lädt zu vielschichtigen Interpretationen und Gefühlen ein, und meint, auf drastische Art, immer nur das Einfachste bzw. das Naheliegendste.

Sicher ist an diesem Film alles auf das Fieseste OVER THE TOP und auf das Fiestes HILARIOUS. Jedenfalls fast. Wer im Kino immer noch die Lakonie sucht, die das große alte amerikanische Kino ausmachte, wird kreischen (weil ihm diese Filme Hämorrhoiden machen werden), aber wer will sich die rekonstruierte Post-Lakonie der Wenderse noch bieten lassen. Walter Hill ist gut, und die sympathischen Lakoniker überleben zwar in seinen Filmen, gehen aber regelmäßig vor die Hunde. Alan Rudolph ist gut, weil bei ihm die Lakoniker als einzige nicht erschossen werden, beim überdrehten Massengeschieße in der Divine-Wohnung. Carradine schlendert stoisch zwischen den pfeifenden Kugeln. Denn die Lakoniker leisten sich den Trotz, nicht an die Realität der Studio-Sozialkitsch-Rain-City-Welt zu glauben, was sie wiederum überleben läßt, aber verlieren, untergehen.

Dieser Stilstil als Mittel, ausgerechnet, für Thesenfilme, scheint mir, mein voller Ernst, die einzige vernünftige Perspektive des US-Films (siehe auch Die Zeit nach Mitternacht und die Tatsache, daß die alten Männer alle schon gestorben sind, außer Clint Eastwood). Das Tolle ist nämlich, was die wenigsten wissen: Theater und Kulissen sind wieder erlaubt im Kino, ja geradezu gefordert (gegen den Terror der schönen Bilder und der ausgezeichnet-epigonalen Kameraleute) und außerdem ist dieser Film Calderón de la Barcas Antwort auf Lubitschs Superfilm (Trouble In Paradise), der keinen echten Trouble, aber dafür echtes Paradies zeigt. Dies ist echter Trouble, aber nicht im Geist, sondern im Traum, halluziniert: Der Trouble ein Traum (ein Plädoyer für die Realität des klaren Gedankens).