„I have a question for all you boys out there: are you girl crazy?“ – „Yeah!“ – „And I have a question for all you girls out there: are you boy crazy?“ – „Yeah!“ „Then we have some fun tonight!“ – „Yeah!“ – „Damn right!“ Errol Brown, Sänger von Hot Chocolate, beim HC-Konzert im Stadtpark am Nachmittag des 17.9.1983.
Und hatten wir ihn? Den Fun? Am Abend desselben Tages hatte die „Dirtbox“ ihre Prämiere, eine von Subito-Kreisen aufgezogene Veranstaltung, die nach dem Vorbild britischer Clubs wandern soll und von Monat zu Monat an wechselnden Orten ihre Pforten öffnen wird. Diesmal im ehemaligen St.-Pauli-Hallenbad, das auch für sich noch einiges vorhat, was eine nächtliche Nutzung betrifft. Hot Chocolate waren als „special guests“ geladen, entschieden aber nach kurzer Inspektion der Räumlichkeiten durch die Managerin, daß es doch zu voll für eine Welcome Party wäre, zu gefährlich für die supercharmanten Stars, die am Nachmittag mit ihren Greatest Hits trotz widrigster Bedingungen ein Durchschnittsmenschen-Publikum zum glücklichen Funk-Swing trieb.
Aber der Fun? Erstmals mußten Türsteher dafür sorgen, daß das erweiterte, ja bereits großzügig erweiterte In-Hamburg unter sich blieb. Es war trotzdem eine Massenveranstaltung, die vielleicht an Kleinigkeiten wie schlechter Beleuchtung krankte, aber sub specie aeternitatis ganz großartig und historisch ohne Vorgänger war. Nicht das umfangreiche Video- und Kleinkunstangebot, nicht die herrlichen Räume der alten Badeanstalt waren dafür ausschlaggebend, sondern die Souveränität, mit der hier das neue Hamburg sich zeigte, das in den letzten drei Jahren entstanden ist und nichts mehr zu tun hat mit dem, was früher das Gesicht solcher Massenveranstaltungen prägte: Desinteresse an allen Riten des Gesellschaftlichen, Ununterscheidbarkeit der Teilnehmer, Unfähigkeit zu genießen. Die Dirtbox zeigte, über ein Jahr nachdem die Arbeit von „Alles Wird Gut“ begonnen hatte, der Hamburger Dröggastronomie die Nachtkultur aus den Händen zu nehmen, was man erreicht hatte.
Dennoch trinkt man auf derlei Megaparties einfach zuviel, verliert sich an zu viele Menschen. Ihre Funktion ist eher die einer Messe, sie ist nicht das eigentliche Amüsement.
„Bild“ meint: Der neue Rausch der jungen Hamburger sei Rap und Scratch. Die „taz“ befindet dasselbe für Berlin. Die segensreiche Fernsehsendung „Formel eins“, die der NDR, der schlechteste Sender der Welt, nicht mehr ausstrahlt, hat nicht nur die deutsche Hitparade vorteilhaft beeinflußt, sie wirkt bis in die verstaubtesten Winkel des Tanzparketts. Deutsche Tanzschulen bieten „Electric Boogie“-Kurse. Nur von Rausch kann natürlich keine Rede sein. Als Run DMC in der Markthalle auftraten, war es erstaunlich voll, mit Vertretern aller bekannten Jugendstämme. Der DJ begann und scratchte und scratchte und keiner tanzte. Stattdessen benahm man sich wie bei einer Eislaufkür. Besonders lange Scratcher wurden mit „Ahs“ und „Ohs“ bedacht wie ein gestandener Dreifacher Rittberger. Als dann die beiden MCs auf die Bühne traten, begannen ein paar Veteranen des alten Rap-Kults (den es hier ja schon ein paar Jahre gibt) mit geübten Imitationen des real thing, aber das wirkte viel peinlicher als die naive Freude im Sitzen, ganz ohne Rausch, über die gelungenen Kunststücke von den Turntables. Ein paar Tage später, bei Newtrament im Kir waren gleich fünf Könnertänzer mitgekommen, und die Discocrowd bildete einen Kreis und sah bewundernd zu wie Schüler auf dem Schulhof einer Schlägerei.
Was sind dagegen die Routine-Veranstaltungen mit Gang Of Four und Killing Joke? Nett vielleicht, noch mal die Hits der Gang zu hören, nett, eine echte Punk-Menge endlich einmal wiederzusehen, bei Killing Joke, nett zu sehen, wie SPK auf Neubauten-Metall genau das zusammenklopfte, sonst auf Disco-Maxis hört. Nette Effekte, nette Abende, aber nichts gegen den tief empfundenen, todtraurigen Regensonntag nach einem Wochenende mit Partyparty.
Man konnte das Gefühl der nächsten Monate bereits vorkosten, als an diesem letzten letalen Sonntag schwere, schwere Regentropfen in fallsüchtiger Todesverachtung düster, fatal an den Windschutzscheiben der die langen, finsteren Straßen entlangrollenden PKWs herabglitten, der Asphalt eine mattglitzernde Endzeitkulisse. Um Jahre gealtert, nahm man Abschied von der unbeschwerten Jugend, ja die Jugend selbst redet plötzlich wieder über dröge-ewige, ewige Fragen.
