Das unheilige Faible für Fallen

Der Minigolf-Zyklus Büttners stammt aus einer Phase des Übergangs: Wenn ich ein gerechter Abbildner der zeitgenössischen Wirklichkeit meiner spätkapitalistischen Umwelt sein will, genügt es nicht, mich darauf zu beschränken, ihr Äußeres als schreckliche Wahrheit zu zeigen (Büttner: Schrecken der Demokratie), ich muß weitergehen und sagen, wie es dazu kommt. Ich muß den abstrakten Tatbestand der Entfremdung beim sinnlichen Schopfe packen und ihn aus dem Gefängnis des Demagogischen, Deklamatorischen und Dämonischen auslösen. Dem Original-Katalog der Minigolf-Serie fügte Büttner eine Rezension des „Guinness-Buchs der Rekorde“ bei. Dies muß ihm die Erkenntnis vermittelt haben, daß das Wesen der Entfremdung da in eine greifbare, mithin malbare Qualität umschlägt, wo eines ihrer Elemente im Falle des „Guinness-Buchs“ die Leistung in die von der Produktion abgekoppelte, der Reproduktion zugedachte Sphäre der Freizeitgestaltung hineinragt, wie ein Eiszapfen in ein Wüstengebiet.

Wenn mich eines an Büttner schon frühzeitig gefesselt hat, so war es seine Bereitschaft, der unausgesprochenen Forderung, die strukturelle Dummheit des Symbolischen offensiv für unsere Zwecke zu nutzen, als einer der ersten nachzukommen. Ja erst nach dem Studium seiner Bilder ließ sich diese Forderung erheben, die die Bilder eigentlich erst möglich gemacht hatte. Ihrer Entstehung vorausgegangen sind Büttners Liebe zum Sprachlichen und sein offensives Ignorieren der Defizite des Sprachlichen, der Unzulänglichkeit aller Übersetzungsvorgänge, der Dilemmata aller binomischen Sprachmodelle. Eine Liebe (und Liebe ist immer offensive Ignoranz; denn offensiv ignorant muß sein, wer glaubt, nicht um Verzeihung bitten zu müssen), die nur entwickeln kann, wer mit dem Vorsatz antritt, wenn schon nicht Schriftgelehrter (im biblischen Sinne), dann doch wenigstens sozialistischer Realist werden zu wollen. Einer der sich von klein auf damit herumgeschlagen hat, daß die Welt nicht lassen kann von Form und Inhalt, Signifikat und Signifikant, Symbol und Wofür zu sprechen.

Es soll also keiner glauben, er komme davon, mit einer Interpretation, einer pfiffigen, wie: Sieh, Mensch, den Exzeß der Sinnlosigkeiten deiner Verhältnisse in seiner geschwungenen, bizarr gebildeten minigolfbahngewordenen Form!, sieh die malbar gewordenen Folgen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen! Das wäre nur ein von der bewußt eingesetzten strukturellen Dummheit des Symbols mitgelieferter schöner Nebeneffekt, der – im Schatten einer anderen Idee allenfalls – einen angemessenen Platz finden könnte.

Im „Guinness-Buch der Rekorde“ wird die vom Produktionsprozeß abgelöste Arbeitsleistung nicht nur verzeichnet, sondern gemessen, quantifiziert. Im Minigolf wird der degenerierte Trieb, überwundene Hindernisse und Fallen aus der Geschichte der Menschheit aufs Neue zu errichten und sie rituell ewig und immer wieder aufs Neue überwinden zu wollen, malbar. Gleichwohl ist der Rekord nicht die quantifizierte Sinnlosigkeit; denn die besteht ja nicht in der Distanz für das am weitesten geworfene und nicht zerbrochene rohe Ei. Sie besteht in der Tatsache des Wurfes. Der Wurf aber wiederum findet nur statt, weil er mit der Aussicht auf das Gemessenwerden verbunden ist. Mithin lockt die Messung den Wurf (i.e. sichtbare Entfremdungserscheinung), weil sie dieser entfremdeten Tätigkeit Objektivierung verspricht; Objektivität aber ist Erlösung. Die Malbarkeit der Minigolfanlagen ist also nichts anderes als ein Trick, der Degeniertheit auf die Sprünge zu helfen. In der Wirklichkeit, nicht im Bild. Ein Trick, auf den Büttner nicht hereinfällt, denn er dreht den Spieß um. Da, wo die Minigolfbahn sich eines Tricks (gewisse Formen, Ästhetizismen) bedienen will, um die europäische Malerei einzuspannen, geht er so vor, daß er ein Problem der europäischen Malerei auf die Minigolfanlage projiziert, das Problem der Abstraktion.

Das große Golfspiel im Freien, in England und anderswo, gehört zu einer Welt mit einem verbindlichen Weltbild für alle, einem verbindlichen Horizont für alle. Doch nicht alle hatten zu dieser Welt Zugang. Eine Zeit, in der auch für die Kunst allgemeinverbindliche Standards galten, als es eine große reale Welt gab, mit deren Interpretation und Abbildung sich das künstlerische Geschick des begabten Einzelnen herumzuschlagen hatte. Eine große teure Anlage, auf der nur die verdammt Guten und die verdammt Reichen die Löcher fanden. Der im Minigolf unternommene Versuch der Demokratisierung von Golf entspricht der mit der Abstraktion vorgenommenen Zersplitterung der Kunst in einen Wettbewerb individualistischer Weltdöntjes. Was also Büttner tut, wenn er, der gegenständlich-realistische Sozialstaatportraitist, die Probleme des Minigolfs in der europäischen Malerei darstellt, ist das Ausnutzen des strukturell-dummen Symbols, das Interpreten und andere durchaus entschlüsseln sollen und bedenken dürfen. Darüber hinaus – und das ist das Eigentliche – ruft er der abstrakten europäischen Malerei zu, daß sie nichts anderes tut, als in ihren ganzen zersplitterten Personalmythologien Minigolfbahnen hervorzubringen. Daß – von oben besehen – ihre Werke sich unterscheiden wie die verschiedenen Fallen und Hindernisse dieser Subsportart. Die, nebenbei, wirklich aussehen, wie abstrakte Kunst.