„The winner is Jane Fonda“, ruft die verzückte Stimme. Jane Fonda trabt zur Bühne. Nach Art von Doris Day preßt sie die Lippen zusammen und verkündet: „I am so proud!“ Die Brust wogt, das Haar wallt, und mit den Armen fuchtelt sie wild in der Luft. Was ist nur mit ihr los? Bevor es einer errät, erklärt sie der staunenden Menge, was es ist: Taubstummensprache. Sie will auf das Problem einer Minderheit hinweisen. Das ist ihr Markenzeichen, sie muß. So wie John Wayne sich als militanter Rechter zu gebärden hat, ist Jane Fonda ihrer Rolle als Musterliberale verpflichtet. Ein in den Zeiten der Politisierung entstandenes Engagement, das sich längst verselbstständigt hat, kommerziell nutzbar gemacht wurde und nun als Erkennungszeichen auf Hollywoodgalas, bei Wohltätigkeitstombolas und im Damenclub getragen wird.
Eigentlich ist es müßig, sich über die Oscarverleihung aufzuregen. Jahr für Jahr kassieren mittelmäßige Filme und Schauspieler den Preis, von dem die wirklich Großen immer gesagt haben, er bedeute nichts. Doch die Publicity ist brauchbar, und damit das öffentliche Interesse an dieser Großpromotion nicht nachläßt, wurde die Vergabe der Academy-Awards dieses Jahr zur nationalen Frage hochstilisiert. Die Entscheidung sollte nicht zwischen zwei Filmen allein fallen, sondern zwischen den wichtigsten politischen Kräften der USA: Rednecks (in Hollywood durch John Wayne verkörpert) und Liberale (Jane Fonda). Schnell wurden die beiden Filme, die favorisiert waren, mit dem entsprechenden Etikett versehen. „The Deer Hunter“ von Michael Cimino mit Robert DeNiro mußte reaktionär sein, schließlich wurde „God Bless America“ gesungen und noch dazu in der Schlußszene, der andere Vietnamfilm, der nominiert war, „Coming Home“ von Hal Ashby hatte als fortschrittlich zu gelten, nicht zuletzt weil Jane Fonda darin mitspielte.
Diese Zuordnungen wurden vielleicht zwei, dreimal in der amerikanischen Presse getroffen – schon gingen sie um die Welt, und jeder glaubte es. Die Rechten, die sich an der Debatte gar nicht beteiligt hatten, waren recht froh über diese Zuweisung, schließlich hatten sie den besseren Film erwischt und dazu mit Robert DeNiro eine Identifikationsfigur, mit der sie bisher nicht hatten rechnen können: der galt ja immer als links. Es ging soweit, daß der rechtsradikale Journalist Taki Theodoracopulos („Democracy is a biological contradiction“) sagen durfte: „I associate myself with what Robert DeNiro portrayed in ‚The Deer Hunter‘“. Sogar die Delegation der Sowjetunion auf der Berlinale fiel darauf herein: Sie verließen das Festival („Verunglimpfung… heroisches Volk…“) weil die Nordvietnamesen als grüne Teufel dargestellt seien.
In Wahrheit sind sie nicht die einzigen, die als blutrünstig dastehen, auch Amerikaner, Franzosen, Südvietnamesen, Chinesen wetten um Menschenleben. Der Krieg, der nur ein Drittel des Films einnimmt, ist brutal – dabei ist oft gar nicht zu erkennen, von welcher Seite die Brutalitäten ausgehen – und ihm stehen nicht wie sonst verwegene Soldaten gegenüber, sondern Vertreter einer amerikanischen Arbeiterklasse, die dem Fronterlebnis keinen Sinn mehr abgewinnen können. Ihre Verunsicherung ist die Perspektive des Films, der darum auch Vietnam nicht bewältigt, sondern nur die Erschütterung festhält, die dieser Krieg im amerikanischen Selbstbewußtsein ausgelöst hat. Es gibt in diesem Film keinen Feind, gegen den zu kämpfen sich lohnt, der Feind ist der Krieg selbst, dessen Schrecken nur zu einem Teil von gegnerischen Truppen bewirkt werden. „The Deer Hunter“ ist nicht der beste Film des Jahres; der wurde gar nicht nominiert. Aber es ist ein Film, der versucht, für eine veränderte Situation eine veränderte, realistischere Ästhetik zu entwickeln. Auf der anderen Seite ist der scheinbar aufklärerische „Coming Home“ ein verklärendes, sentimentales Rührstück, völlig konventionell, zum x-ten Mal ein Schema reproduzierend, das keinerlei Spuren historischer Entwicklungen verrät. „Coming Home“ könnte statt vom Vietnamkrieg ebenso gut von allem anderen handeln, die Dramaturgie würde sich nicht ändern.
Nachdem die Academy diplomatisch die zu vergebenden Oscars auf beide Filme verteilt hatte, spielte Jane Fonda die ihr zugewiesene Rolle zu Ende: Sie nannte Cimino einen Rassisten und weigerte sich, mit ihm zu diskutieren.

