Deutschland, deine Trainer

Warum Jupp Derwall nicht zurücktreten darf

Das Volk stand auf, der Sturm brach los. Nach zwei kläglichen Spielen gegen Nordirland und Albanien war der Ruf nach der Ablösung des Bundestrainers nicht mehr zu überhören. Und wer Fußball kennt, weiß, daß die Trainer normalerweise schon fliegen, wenn nur leises Gesäusel durchs Gezweig wispert. Nur den Deutschen Fußball Bund kann nicht einmal dieser Sturm bewegen, seine Handlungsweise zu überdenken.

Zunächst kann sich kein fühlender und denkender Mensch dieser Volkesmeinung widersetzen. Dieser „Jupp“ Derwall aus dem Saarländischen, aus Dudweiler, um genau zu sein, beleidigt nun nachgerade alle Werte, die uns verblieben sind, und hat nichts gemein mit den großen Coaches des Weltfußballs. Mickrig und ausweichend, ängstlich und auch stur oder bockig, weigert er sich, sich zur Disposition zu stellen, mit einem letzten Rest von Würde zu gehen, was so viele größere Kollegen bei weit geringeren Anlässen freiwillig täten.

Aber wir begehen einen Fehler, wenn wir Derwall nur an genialen Zeitgenossen wie Happel ,und Zebec, dem verstorbenen Weisweiler oder dem quicklebendigen Otto Rehagel messen. Wir müssen zunächst seiner Vorgänger gedenken, wenn wir ein gerechtes Bild von ihm zeichnen wollen.

Nehmen wir die beiden ersten Nationaltrainer aus diesem Vergleich heraus. Von Dr. Otto Nerz, der 1934 in Italien einen dritten WM-Platz erreichte, wissen wir zu wenig, und das knorrige Original Sepp Herberger ist von Mythen und Legenden zugewachsen. Sein den „Zusammenbruch“ überdauerndes Engagement mag lediglich ein weiterer Beleg für die These sein, daß die Atmosphäre des Dritten Reichs sich erst in den sechziger Jahren verzogen hat. Denken wir lieber an Helmut Schön und seine Nullsätze, hat dieser Mann je gezeigt, daß er Niveau hat? Hat er je etwas Treffendes, Spitzes, auch nur Humoriges von sich gegeben? Hat er je so ausgesehen wie die glanzvollen Spiele der Mannschaft von 72, so wie Ernst Happel heute so aussieht wie die Spiele des HSV? So wie Hennes Weisweiler den Geist vom Bökelberg verströmte?

Nein, hat er nicht, und es ist auch klar, warum. Die deutsche Nationalmannschaft hatte nie wirklich etwas zu tun mit den Trainern, die sie trainierten, im günstigsten Fall waren die Trainer, wie Schön, gut im Schlichten von Streit, im Glätten von Neurosen, die angeblich immer dann aufkommen, wenn einfache Menschen mehr Geld verdienen, als ihre Herkunft ihnen zugedacht hatte. Die Trainer der DFB-Mannschaften müssen profillose Puffer sein, Schwämme von hoher Saugfähigkeit, sie sind keine Gestalter und Künstler wie die erfolgreichen Vereinstrainer, die einen Stil und eine Handschrift zeigen.

Wenn der HSV einen von Happel geprägten Fußball spielt, dann ist das wie beim Autorenkino: Nicht die Darsteller, sondern der Regisseur prägt den Film. Bei der Nationalmannschaft sind, wie beim klassischen Studiosystem, die spezifische bürokratische Atmosphäre der jeweiligen Produktionsgesellschaft, des DFB also, und die Darsteller maßgebend. Die innere Führung hat der Mannschaftskapitän, haben die Breitner, Beckenbauer und Fritz Walter, im Moment der charakterlich ungeeignete Karl-Heinz Rummenigge, ein Jungbankier, eine ewig junge spießige JU-Type, ein ewiger Wissmann, ein ewiger Rühe.

Beweisen kann man die Bedeutungslosigkeit des Trainers auch damit, daß die deutsche Nationalmannschaft nicht einmal in ihren allerbesten Tagen beherrschte, was jeder Amateurliga-Trainer seinen Schützlingen als erstes beibringt: Ecken, Freistöße, Abseitsfalle, Umgehen der gegnerischen Abseitsfalle. Die Nationalmannschaft ist total untrainiert und profitierte lediglich vom Gesamtniveau des deutschen Fußballs.

Trotzdem braucht es diesen Pro-Forma-Trainer, und er braucht ganz besondere Eigenschaften, die im Klima des DFB bestens zu gedeihen scheinen. Darum werden auch alle Ländermannschaften von Leuten aus den eigenen Reihen „trainiert“.

Übernimmt einmal einer dieser DFB-Zöglinge wie seinerzeit der unglückliche Fußballprofessor Heddergott eine Bundesliga-Mannschaft, hat er die Gelegenheit, sich unsterblich zu blamieren. Der 1. FC Köln jagte Heddergott schneller davon als irgendeinen seiner Vorgänger.

Doch beim DFB gedeihen sie weiter, und Helmut Schön selber war es, der die zwei klassischen Exemplare Derwall und Berti Vogts heranzüchtete, zwei zähe Nichtse, die hart im Nehmen sind und gut darin, einen Konkurrenten auszusitzen. Wie Helmut Kohl. Und klingt nicht Dudweiler wie Oggersheim?

Derwalls Ablösung brächte also keine Linderung, und es gibt einen anderen Grund, warum er bleiben muß. Solange er die Verantwortung für die deutschen Elendsspiele trägt, haben die Menschen wieder etwas, woran sie glauben können, ein psychisches Ventil, einen whipping boy.

Nach dem Nordirlandspiel lagen sich wildfremde Menschen glückstrunken in den Armen und sangen Chorwerke, Gospels und Spirituals zu den Zeilen „Derwall raus“ und „Nieder mit Derwall, Oi! Oi! Oi!“ Bald werden diese Menschen Krise und schlechte Stimmung im Lande an Derwall festmachen. Sie werden nach einem Wechsel jiepern und alles für eine Veränderung tun.

Und sie wissen instinktiv, daß politisch-wirtschaftlicher Aufschwung mit fußballerischem Aufschwung Hand in Hand geht (siehe 54: Wirtschaftswunder, siehe 72/74: Hochzeit der Sozialdemokratie).

Nur solange der DFB an Derwall festhält, brauchen sie eine Ersatzveränderung. Im benachbarten Gebiet der Politik.

Ein Bundeskanzler kann abgewählt werden, ein Trainer nicht. Und das ist die einzige Chance, 1987 die Wiederwahl Helmut Kohls zu verhindern.