The wind is in from Africa / last night I could’t sleep / oh you know it sure is hard to leave / oh Carey but it’s really not my home / my fingernails are filthy / I’ve got beach tar on my feet / and I miss my clean white linnen / and my fancy french Cologne … Come on down to the Mermaid-Cafe / And I will buy you a bottle of Wine / And we’ll laugh and toast to nothing / and smash our empty glasses down (Joni Mitchell, „Carey“)
Wir wissen nicht, ob Joni Mitchell je in Cadaques gewesen ist und ob zu der Zeit, als sie diesen Song schrieb, noch andere Plätze Europas mit afrikanischen Witterungseinflüssen in dieser Weise die Bedürfnisse amerikanischer Edelhippies zu befriedigen vermochten. Fest steht, daß man im Frühjahr 1980 in Spanien, Portugal (also dort, wo der afrikanische Wind am schärfsten weht), und auf den diesen Ländern zugehörigen Inseln heute nur noch drei, vier Orte findet, denen die Atmosphäre dieses Songs entspricht: Ein paar unzugängliche Dörfer in Andalusien, Provinz Almeria die letzten Künstlerdörfer der Balearen, wo nämlich auch einige illustre Figuren des Rock wie Kevin Ayers oder die Sex Beatles (die Band mit dem Preis für den besten Namen seit den Dead Kennedys) leben, und schließlich gibt es Cadaques, die vielfältigste und beständigste Idylle.
Cadaques liegt an der gebirgigen Küste Nordkataloniens, der eigentlichen „Costa Brava“. Autobahn, Landstraße erster Ordnung und Eisenbahn berühren nur das ca. 5O Kilometer entfernte Figueras, von dort aus verkehrt lediglich ein Bus über eine schmale, serpentinenreiche Gebirgsstraße. Strategisch liegt es äußerst günstig.
Wegen seiner Unzugänglichkeit ist es leicht zu verteidigen, während des Bürgerkrieges hielten sich die Anarchisten hier ziemlich lange, sowohl gegen Kommunisten, wie gegen Faschisten. Und nach Francos Sieg war Cadaques bevorzugtes Asyl für Emigranten aus Nazi-Deutschland und dem Frankreich des Marechal Petain. Polizei und staatliche Überwachungsorgane hatten es von jeher schwer in Cadaques. Auch dem Tourismus hielt Cadaques stand, im Gegensatz etwa zu dem benachbart gelegenen Rosas.
Cadaques hat alles: Eine Demi-Monde-Kunsthändler-Schickeria, die mit ihren Parties auf vorgelagerten, geschmackvollen Villen und dem Finanzieren der zahllosen Scheintätigkeiten (Balettstudios, Tanzgruppen, Theater, Blues, Free Jazz, Galerien, Lesungen etc.) die ökonomische Basis abgibt. Es gibt eine einheimische Bevölkerung aus Fischern, Ex-Anarchisten, Nationalisten (katalonischen) und anderen Emigranten, die sich der Gastronomie widmen oder sich finanzieren lassen. Neo-Surrealisten mit kleinen Breton-Ausgaben (je nach Nationalität: Gallimard, Bantam oder Insel/Suhrkamp), die sich tagsüber nicht am Strand aufhalten, sondern in leeren Cafes und abends in die Nähe von Dalis Wohnung pilgern, die ein paar Buchten weiter nördlich zu finden ist. Ungefähr die Hälfte schafft es im Schnitt, ihn tatsächlich kennenzulernen. Und das geht so: In Cadaques laufen einige nichtsnutzige, hübsche Menschen durch die Gegend, die nichts anderes zu tun haben, als nach Attraktionen (menschlichen und anderen) Ausschau zu halten, die Salvador Dali Zerstreuung bieten könnten. Bei manchen hat sich das so verselbständigt, daß sie umgekehrt sich selbst jemanden für die Nacht aussuchen, dem sie statt der Briefmarkensammlung den senilen Maler und seine Frau mit Haaren auf den Zähnen, der Oberlippe und sonstwo zeigen, um sich interessant zu machen. Doch meistens sind die Aufenthalte bei den blöden Greisen, die Wagner aus schnarrenden Lautsprechern hören, Erdbeersekt kredenzen und sich selbst beweihräuchern so abtörnend, daß die Mitgeschleppten auch den Schlepper nicht mehr mögen.
Absinth
Aber die Surrealisten sind eh nur eine kleine anachronistische Minderheit, selbst im Kunstbetrieb. Und in Cadaques interessiert sich niemand mehr für Dali, seit er sich schwor, nicht mehr in den Ort zu kommen, weil ein junger Maler eine Dali-Vignette in einem Lokal übermalt hatte.
Was heute an Performance-, Konzept- und sonstwie -Avantgardisten Sinne und Geist attackiert, hat mit den beschaulichen Trivial-Psychologismen eines Dali nichts mehr zu tun. Aber auch diese Leute und ihr novitätengeiles Publikum kommen nur am Wochenende und während der Hochsaison. Unter der Woche kommen die Hippies aus den Höhlen im Hinterland an, die sich vor den Kunstmenschen ekeln (und umgekehrt) und ziehen singend und tanzend durch die Straßen. Die Atmosphäre ist dann viel toleranter, und italienische Revolutionäre, deutsche Stadtindianer, spanische Autonomisten und bleichgesichtige englische Punks (die nur aus ihren Zelten kommen, wenn die Sonne garantiert nicht scheint) vertragen sich ausgezeichnet. Es werden dann nachts weniger Drinks gemischt und mehr Joints gebaut.
Eine hervorragende und spezifische Rolle bei den Drogen spielt aber der in Spanien immer noch legal käufliche Absinth, an dem ja bekanntlich schon viele große Männer zu Grunde gegangen sind und der am Ort reichlich genossen wird. Über seine Wirkungsweise möchte ich L. Lewin zitieren, dessen „Die betäubenden und erregenden Genußmittel“ unlängst im Volksverlag neu aufgelegt worden ist: „Dies gilt z. B. auch für das jetzt in Frankreich verbotene Getränk, das eine alkoholische Lösung des ätherischen Absynthöls darstellt, für alle jene zahlreichen Getränke, die in Likörstuben von professionellen Leuten – auch von Damen am Schenktisch, Circen, die, gleich der homerischen Circe, Menschen in Schweine verwandeln können – gemischt werden (…, daß) sie Gaumen und Gehirn in so eigenartiger und verschieden starker Weise (erregen) und meistens so viele unerfreuliche Begleitstoffe (enthalten), wie Fuselöl, Aldehyde, Furfurol usw.“
Das Bewußtsein der Menschen, die dauernd dort leben und ihre Abende in einem „Casino“ genannten Gebäude verbringen, das spanische Fernsehprogramm betrachtend, wie es spanisch synchronisierte Marx-Brothers Filme und andere Absurditäten bringt, ist stark vom Absinthgebrauch geprägt.
Toast
Wie sieht aber nun dein Aufenthalt in Cadaques aus, wenn du als Mann oder Frau ohne Eigenschaften anreist, und, sagen wir, eine bis drei Wochen am Ort verbringen willst, ohne dich weltanschaulich verunsichern zu lassen, um gebräunt und ansonsten der/die Alte wieder zurückzureisen?
Du nimmst dir ein Zimmer in einer Pension. Es ist nicht teurer als in jeden anderem spanischen Dorf, nur in der Hochsaison, also dann, wenn auch die Spanier Schulferien haben, dürfte das schwierig sein. Aber in der Zeit sollte man eh nicht nach Süden fahren. Du läßt dein Geld in den Cafes und du ißt wenig. Du bist tagsüber am Strand, jeden Tag woanders, weil du auf der Suche nach den schönen Menschen vom Vortag bist. Du versuchst, die Geheimnisse der internationalen Kunstbourgeoisie zu enträtseln, ihre mysteriösen Interaktionen. Du bist unruhig und erholst dich nicht, bis du gesellschaftlichen Kontakt hergestellt hast. Nichts ist leichter als mit spanischen Anarchisten über den Bürgerkrieg oder die Parlamentswahlen zu debattieren, sie kommen extra aus Barcelona oder Madrid, um mit Ausländern über sowas zu reden, ihre Argumente sind in mehreren Sprachen vorfabriziert. Aber, wenn du um vier in der Frühe betrunken das Lokal verläßt, bist du unbefriedigt; das war es noch nicht, das war noch nicht der Geist dieser Stadt, das war im Grunde das selbe, was sich in jeder Universitätsstadt der BRD Abend für Abend in den Studentenlokalen zuträgt.
Auch als Frau wirst du es nicht leichter haben, den entscheidenden Kontakt zu bekommen. Irgendwann klappt es dann doch. Du lernst Menschen kennen, diskret, so daß du es selbst kaum merkst, hast Sex oder findest ein anderes Mittel zur Intensivierung der Kommunikation, und langsam verwandelst du dich, ohne was zu merken. Man hat dir eine neue Lebensweise injiziert, aber du kannst den Unterschied nicht beschreiben. Du liest nicht mehr im Roman, den du mitgenommen hast. Du gehst auf Parties, nachts baden, du döst in Cafes, nicht am Strand. Du wirst zum vollkommen gesellschaftlichen Wesen. Irgendwann ist die Mutation beendet, die Body Snatchers des Partylebens haben restlos von deinem Körper Besitz ergriffen, und jetzt rückt dein Abreisetermin näher. Am Freitag soll es losgehen, am Donnerstag verschiebst du den Tag auf Montag, auch dein letzter Freund/in hat seine Abreise verschoben. Auch der Tischnachbar beim Frühstück in der Bar Maritim. Alle verschieben unausgesetzt ihre Abreisetermine. Instinktiv wissen die Party-Mutanten, daß sie in keiner anderen Welt mehr leben können. Auch die alten Anarchisten haben vor fünfundvierzig Jahren ihren Abreisetermin verschoben. Und bald hast du herausgefunden, daß eine kleine Wohnung in einem der schönen, weißen alten Häuser am Hafen viel billiger ist, als ein Zimmer in der Pension. Nun bist du verloren. Ade!
„Let’s have a toast for everybody, who keeps me in this tourist town…“


