Die Taxifahrerin

Vor einiger Zeit warf man dem deutschen Film vor, sich keine Themen mehr einfallen zu lassen, und, statt etwas zu riskieren, sich in der Eingefahrenheit von Literaturverfilmungen zu akkomodieren. Dem sogenannten neuen französischen Film kann man mit Fug und Recht einen ähnlichen Vorwurf machen.

Kein Film, der etwas anderes im Sinn hätte, als das gute alte Mann-Frau- oder Mann-Mann-Frau- oder Frau-Frau-Mann-Ding, ohne einen Bezug zu einer als solcher erkennbaren Realität, zu behandeln. Aber schlimmer als das Was ist meistens das Wie.

Eine Taxifahrerin kurvt durch Paris und lebt davon, ihre reichen Kunden nach der Bezahlung mit ein paar gezielten Tritten umzulegen und anschließend auszurauben. Zwei alte Freunde aus – natürlich Mai-68er-Barrikaden-Tagen – lernen dieses Mädchen kennen. Den einen verführt sie im Taxi, den anderen in dessen Wohnung, nachdem sie ihm vorher gewalttätig klar gemacht hatte, sie bestimme „wann sie mit wem bumse“.

Was die Darstellung dieser Beziehung so ärgerlich macht, sind ein paar vorzugsweise in französischen Filmen anzutreffene Klischees über DIE FRAU und DIE LIEBE, die so falsch wie dumm sind. DIE FRAU ist ein Mysterium, ihre Handlungen sind irrational und widersprüchlich. Man scheint in Frankreich nicht akzeptieren zu wollen, daß eine Frau ein Mensch wie Du und ich ist (eher wie Du); eine Haltung, die man durchaus sexistisch nennen muß. SIE IST EINE WILDE KATZE, sie sagt: „Ich liebe dich“ und schlägt zu und umgekehrt. „Sie ist eine Frau, du mußt mit ihr in die Berge gehen“, raunte mir mal ein französischer Freund zu, als er in meiner Nähe lange schwarze Haare sah. In diesem Fall sind es nicht die Berge, sondern Afrika, aber sie geht alleine hin und läßt die beiden Freunde in ihrer sprachlosen, muffligen, soziologisch nur durch Schreibmaschine, Saxophon, Jazz-Kneipe und 68er Vergangenheit vage umrissenen Tristesse zurück.

Ein weiteres Stilmittel, das mir auf den Wecker geht: Es wird unter Liebenden nicht gesprochen. Man glotzt sich in die Augen und sagt Sätze wie: „Du hast schöne Zähne. Schmatz.“ oder „Es ist mir egal.“ – „Was ist dir egal?“ – „Ich weiß nicht. Alles!“ Das Unsagbare, Unaussprechliche soll eingeführt werden, dabei haben sich Verliebte, wie jeder weiß, eine Menge zu erzählen. Gemeinsam wollen sie die Welt und sich neu entwerfen. In Euphorien reden sie Nächte durch. Nicht so in Frankreich: „Was hast du vor drei Jahren gemacht?“ ist eine der substanzvollsten Fragen, die der eine der beiden verliebten Feunde der WILDEN KATZE von Taxifahrerin stellt. „Ich weiß es nicht“, ist die unglaublich ernüchternde Antwort.

Entweder will sie nicht darüber sprechen, was traurig wäre, oder sie weiß es wirklich nicht, was erschütternd wäre. Dabei wüßte man es gerne, denn sie ist wirklich toll. Eine kraftvolle Schauspielerin, mit einer beeindruckenden Mimik, guten präzisen Gesten und einem Gesicht das auf vieles neugierig macht. Deswegen folgt man dem Film, der durchweg schön fotografiert und mit einer klugen, zuweilen an das männliche Pendant aus Amerika erinnernden, Musik unterlegt ist und auch bei Karnera- und Schnittechnik nicht mit Überraschungen geizt, durchweg mit großer Spannung. Stil und Stimmung, die hier verarbeitet werden, erinnern an große Vorbilder aus der Nouvelle Vague (Paris aus der Autoperspektive, vergl. „Außer Atem“) und New Hollywood (die Neonreklame als Orientierungszeichen in der Großstadt). „Die Taxifahrerin“ hätte ein sehr guter Film werden können, wenn nicht das Drehbuch, bzw. die ihm zugrunde liegende Geisteshaltung, zu bescheuert wären.