Diederichsens kommentierte Playlist

Ja, ja, ja, die Playlist, hier bin ich Exhibitionist, hier darf ich’s sein. Seit Generationen lassen Rockkritiker ihre untersten Hosen und Höschen unter diesem Rubrum ’runter und profilieren sich durch exotischen Geschmack. Ich empfehle Ungarns Underground-Band A.E. Bizottsag. Aber auch gegenteiliges Vorgehen, etwa die „lch-hör-nur-noch-Fairport-Convention“-Masche oder die von mir hier weitgehend eingehaltene „Ich-hör-ganz-einfach-die-Hitparade-rauf-und-runter“-Methode können nicht als der letzte Schluß der Originalität gelten. Immerhin erfreut sich dieses Genre „Playlist“ einer gewissen Beliebtheit, weil der Leser glaubt, eine Playlist lüge nicht, hier werde objektiv das Innere des Kritikers, objektiv gemessen an Auflegeeinheiten, auf den Tisch geknallt. Und das ist ja auch so.

1. CURTIS MAYFIELD: „MOVE ON UP“ (von dem WEA-Doppelalbum „TWO ORIGINALS OF CURTIS MAYFIELD“).

Und zwar von dem Original „Curtis“, eine der zehn besten Soulplatten überhaupt, geziert von grandiosen Überschriften wie „We The People Who Are Darker Than Blue“ oder „Miss Black America“. Der swingendste und tiefgründigste Black Power-Soul. Die Hymne dieser LP wurde unlängst von den Jam gecovert und ein ansonsten geschätzter Kollege schrieb oder sagte mir persönlich, diese Version sei besser als das Original. Nur um diese mir dubios erscheinende Behauptung zu überprüfen (die sich dann tatsächlich als oberfalsch herausstellte. Wie kann die plumpe polternde Sozipunkband so etwas Majestätisches wie die Erhebung der schwarzen Rasse überhaupt berühren?) griff ich zu diesem Doppelalbum (das in einem dieser definitiv den Tiefpunkt des Abendlands markierenden Patrick-von-Spreckelsen-WEA-Deutschland-Hüllen steckt) und damit zu einer meiner Lieblingsplatten in einer Zeit, wo man (und ich) sonst Scheiße wie Traffic hörte, und legte sie nicht wieder weg.

2. MADONNA „HOLIDAY“ (von der WEA/Sire-LP „MADONNA“).

Madonna ist ein sehr angesagtes, gleichwohl weitgehend durchschnittliches, niedliches, weißes Mädchen aus New York, die ihre Songs, die klingen wie schwarze Durchschnittsdisco, selber schreibt und ganz anhörbar singt. Ein Lied, „Holiday“ (nicht von ihr), ist dagegen SPITZE. Die verführerische Ausstrahlung kleiner weißer Mädchen, die sich zu viel zutrauen. Und Madonna legt in diesen einen Ferientag, den sie mit mir verbringen will, alles, was sie aufbringen kann: „Just one day out of life, it would be, it would be so nice.“ Die süßeste Versuchung seit Lizzy Mercier sang „Oh, I think I’m getting a tumor.“ Ein interessanter Track der Madonna-LP in soziologischer Hinsicht ist „Physical Attraction“, wo behauptet wird (und gefeiert), daß alles egal sei bei der Liebe, jeder Satz, jede Idee, jede Behauptung, alles Geseire, denn es sei nur eine physische Attraktion, eine chemische Reaktion und daher ganz unausweichlich. In dem Fünfziger Jahre Musical „Silk Stockings“, der Musical-Version von „Ninotchka“ ist dies genau der Part der Russin; zu behaupten: „When the electromagnetic of the Hemale meets the electromagnetic of the female / … / it’s a chemical reaction, that’s all“, während der Amerikaner natürlich Scheiße säuselt.

3. ALTERED IMAGES: DON’T TALK TO ME ABOUT LOVE“ (von der CBS-LP „BITE“)

Nichts ist unaktueller als dieser Hit von gestern, der nicht einmal ein richtiger Hit war und von einer Gruppe stammt, die ich eigentlich nicht leiden kann und deren Sängerin sich als Stilvorbild eine Schauspielerin gewählt hat, die ich noch weniger leiden kann (Leslie Caron, die immer irgendwelche Gigis und andere französelnde Charaktere spielt), aber dennoch so eine tiefe, aufwühlende, ja nachgerade lebensweise, zeitweilig auch auf charmante Art naseweise Ausstrahlung auf mich hat (für die Freunde der Grammatik: Subjekt ist der Hit, nicht die Sängerin, noch die Schauspielerin): „Erzähl mir bloß nichts von Liebe.“ Das könnte man so auch auf Deutsch singen. Vielleicht ein Lied für Nena.

4. CULTURE CLUB: „KARMA CHAMELEON“ (Virgin-Single)

Objektiv die beste Platte des Monats. Ach! Seit Längerem! Brillante Melodie, brillantes Arrangement, brillant bescheuerter Text!

5. HEAVEN 17: „CRUSHED BY THE WHEELS OF INDUSTRY“, PART I & II (UNINTERRUPTED SINGLE VERSION), „CRUSHED BY THE WHEELS OF INDUSTRY“ (ALBUM VERSION), „CRUSHED BY THE WHEELS OF INDUSTRY“ (EXTENDED DANCE VERSION) (Virgin-Maxi)

Die neue Heaven 17-Maxi ist immer ein Gewinn, für jeden Haushalt.

6. MARC AND THE MAMBAS: Diverses (von der Doppel-LP „TORMENTS AND TORREROS“, Some Bizarre-Import)

Marc Almond, der unlängst das Ende seiner musikalischen Karriere verkünden wollte, aber irgendwie sich selbst nicht glauben konnte, entdeckt Andalusien, das Land wo es das Pathos im Dutzend billiger gibt. So eine schleimige, kleine, pathetische Genialität wie sie sich großartig auf dieser Platte auslebt, so losgelassen großartig und schwülstigschwülstig, kann nur das Vorbild selber kommentieren. Federico Garcia Lorca: „Mit einem Löffel schlug er der Affen Arsch. Mit einem Löffel.“

7. NEW EDITION: „IS THIS THE END“ / „GIMME YOUR LOVE“ / „CANDY GIRL“ (von der Metronome-LP „Candy Girl“)

Natürlich ist das Schrott, aber guter Schrott. Billig-Rap, Billig-Schnulz-Soul und vor allem Billig-Jackson-Five-Rip-Off, von den Fürsten der aktuellen Funk/Rap/Undsoweiter-Bewegung initiert, verantwortet, abgemischt und dergleichen, ja auch komponiert und arrangiert: Arthur Baker, Michael Jonzun und Maurice Starr – die unangefochtenen Dukes of New York. „Gimme Your Love“ ist der kleine flitzige Billig-Rap für den kleinen schwarzen Mann im Ohr, „Is This The End?“, die kleine rührende Candy-Schnulze und „Candy Girl“ ist das „ABC“ der Jackson Five für Arme und Nachgeborene. Ich höre diese Platte verdammt gerne.

8. NEW ORDER: „CONFUSION“ in vier Versionen (von der Factory-Maxi gleichen Titels, Rough Trade Deutschland) Dies ist die Platte, nach der man sagen möchte: „Nu is’ gut!“ Sie klingt nach einer Kreuzung aus „Shoot Your Shot“ von Divine und „Looking For The Perfect Beat“ von Afrika Bambaataa And The Soul Sonic Force, aber natürlich europäisch weichspült und pubertär gebläht, trotz Arthur Baker-Produktion. Ich höre auch diese Platte gerne, weil ich weiß, daß sie das Ende der Elektro-Disco-Epoche markiert. Nicht, daß ich mich über dieses Ende freue (oder ärgere). Es ist einfach schön, Einschnitte zu spüren.

9. HERBIE HANCOCK: Alle Tracks (von der CBS-LP „FUTURE SHOCK“)

Und dann kommt diese Platte und ein Haufen (eigentlich unsympathischer) Jazzrocker wie Herbie Hancock, die Band Material und der „Roxy“-DJ Grandmixer DST, der dort inzwischen von Afrika Islam, Son Of Bambaataa, abgelöst wurde, machen einem klar, daß es noch lange nicht vorbei ist, im Gegenteil gerade erst anfängt. Die beste Instrumenalmusik seit Ewigkeiten oder der B-Seite von „Looking For The Perfect Beat“.

10. SPANDAU BALLET: „GOLD“ (Ariola-Maxi)

Der beste Song der letzten Spandau-LP im Barry-Ryan-Große-Oper-mit-Ouvertüre-Remix! Objektiv, nach Culture Club, Herbie Hancock und Heaven 17 die viertbeste Schallplattenveröffentlichung in den Monaten August/September 1983. Platz 5, in dieser Liste aber „Bubbling Under“, wäre der monotone Poprocker „This Is Not A Love Song“ von Public Image. „Gold“ aber ist ein Love-Song und was für ein peinlich guter!