Duran Duran – Wie konnte es dazu kommen?

Wenn New Wave – und seien wir uns doch nicht zu fein, die Musik weißer, insbesondere britischer Jugendlicher, trotz aller Verfeinerungen und Subströmungen, zwischen 1977 und 1984 so zu nennen – sub specie aeterna mehr sein soll, oder einfach nur etwas anderes als eine Reihe von Subströmungen, Einzelerscheinungen, Hipstersensationen und This month’s models, wenn es New Wave als Stil geben soll, der sich definieren läßt, der mit bestimmten ästhetischen Mitteln arbeitet, die sich von anderen unterscheiden, und das ist nachweislich feststellbar in allen Bereichen (Musik, Video, Image-Engineering), dann, dann besteht kein Zweifel, die paradigmatische, die New Wave-Band ist Duran Duran.

Und zwar die New-Wave-Band so wie Chic die Disco-Band, die Rolling Stones die Rock-Band, die Beatles die Beat-Band, Roy Black der Schlagersänger, Maria Callas die Opernsängerin und Uwe Seeler der Fußballspieler ist.

Wie konnte es dazu kommen?

Wir alle kennen Hipness. Die wenigsten wissen genaueres darüber, aber nach den großen, prallen Hip-Jahren 81/82 hat sich ein vermeintlich sechster Sinn für Hipness bei den meisten Durchschnittsjugendlichen bis hinein in ländlichere Regionen verbreitet. Während all der Jahre in denen Hipness etwas galt, war die Bemühung hip zu sein, stets mindestens ein Ziel einer jeglichen neuen Band, einen jeglichen neuen Individuums, aber auch eines jeglichen Schreibers, Moderdesigners et al.

Hipness bedeutet ja zunächst die Einführung der lebensspendenden Kraft der Geschichte in die Pop-Kultur (natürlich handelt es sich hierbei um eine Wiedereinführung oder wie wir in der Werbung immer sagen: ein Relaunch). Hipness ist das Spiel mit Aktualität, vorweggenommener, behaupteter Aktualität und demonstrativ gewesener Aktualität (Zitat). Dies war von uns allen als eine begrüßenswerte Entwicklung angesehen worden, da ja eine bewußte Einbeziehung jeder wie auch immer gearteten Aktualität nicht nur die Fähigkeiten der Pop-Musik als tendenziell schnellst reagierendste Kunstform bestmöglich nutzte, sondern ein Wissen von und um Aktualität immer einen höheren Bewußtseinsstand bei Produzenten wie Rezipienten bedeutete als das Bemühen um zeitlose Kunst, das in den 70er Jahren so vorherrschend gewesen ist.

Nur: viele Aktualitäten ergeben ein Parlament, eine Diskussion, einen Kampf, alles was am Denken Spaß macht – nur keinen Stil, wobei ich dahin gestellt lassen will, ob Stil heute noch oder wieder etwas Wünschenswertes ist. Der New Wave-Stil setzte eine Band voraus, die antrat unter der Voraussetzung, dem Bekenntnis, dem Entschluß unhip sein zu wollen, ob aus Unvermögen (wahrscheinlich) oder Cleverness (kaum vorstellbar) will ich ebenfalls dahingestellt lassen. Duran Duran war diese Band.

Von Anfang an waren sie historisch im Kleinen, nichts anzufangen war mit ihnen in den kleinen, damals so wichtigen Auseinandersetzungen über Modeentscheidungen und das Labour-Parteibuch, sprachlos stumpf standen sie auf ihrer Scholle, ihrer Musik. Die verständlicherweise niemandem auffiel, war sie doch zusammengesetzt aus einer Fülle von weniger originellen AllerweltsNewWavegerätindieFunkPhaseStilmitteln plus den neuesten Errungenschaften der Drumsoundmischtechnologie. Dazu sang ein Simon LeBon mit einer Singstimme, die alle Merkmale Spandauschen Pathos, Visagescher Prätention, angeheaven 17ten erhobenen Hauptes und Marc Almondscher schwüler Tragik, zu einem soßigen Pandämonium aller juvenilen Verirrungen der Epoche zusammenschweißte.

Duran Duran war – wir alle wissen das – unsere allerliebste Scheißband.

Doch dann vergingen ein paar Jahre und ich fand mich in einer Wave-Pizzeria wieder. Diese Pizzerien schießen überall in der BRD aus dem Boden. Sie vereinen die Basis-Elemente von fünf Jahre New-Wave-Neon-Nachtcafe-Styling mit dem Angebot, daß es etwas zu essen gibt. Genau wie Duran Duran: alle New Wave-Trivialitäten der letzten fünf Jahre plus 1000 Kcal Nährwert (wer hat schon mal auf diese ungesunden mit Benzoesäure und Ascorbinsäure angereicherte Sättigungsgrade in Duran Duran-Arrangements geachtet?) In dieser New Wave-Pizza lief eine Musik, die wir beim gelegentlichen Hinhören als die identifizieren konnten, was wir, unter mittlerweile gelinde pejorativen Vorzeichen, unter New Wave verstehen. Einige Titel wie „Is There Something I Should Know“, „Hungry Like A Wolf“ oder „The Reflex“ stammten einwandfrei von Duran Duran. Der Rest hätte irgendwas zwischen Simple Minds, Eurythmics, einem Absprengsel versprengter Ex-Mitglieder von Gang Of Four, Heaven 17, The Higsons und XTC sein können. Es war alles Duran Duran.

Die Band hatte über Jahre das Kunststück vollbracht mittels Festhaltens an den B-Versionen der 81/82 während der Hochzeit von Wave entwickelten Stilmittel, sie zu verdichten, auszufeilen, anzureichern, immer mehr zu sättigen bis sie plötzlich vor lauter angehäufter Quantität eine neue Qualität erreicht hatten, die Qualität des Klassischen. Plötzlich hatte das uralte Spiel wieder funktioniert. Man melke einen Zeitgeist, der selbst nicht genau weiß wo er hinwill so stur und unbeirrt, häufe seine Bestandteile so maßlos unoriginell und unverschämt an, bis ein Stil entsteht, der über dieses fragile Netz aus sensiblen Zeitbezügen hinausweist und stumpf und monolithisch bereits zu Lebzeiten „Hallo!“ zur Nachwelt sagt. „Hallo 2007! Ich war New Wave!“ Etwa die Rolle, die in der französischen Kino-Nouvelle-Vague Louis Malle spielte.

Während in der Weihnachtsausgabe des intellektuellen NME zwischen Insiderscherzen der 58sten Generation, dem 301sten – und trotzdem wieder zum Schmunzeln – Lowry-Witz über beschriftete T-Shirts („It’s rather cold all of a sudden. Isn’t it?“) im Editorial mal wieder auf den angeblich so elendig verrotteten Zustand von POP geschimpft wird und dabei Duran und die Durannies wieder mal für alles herhalten müssen, wählt die Leserschaft von Smash Hits die nach einer Figur aus „Barbarella“ benannte (erster und letzter Versuch der Gruppe hip und witzig zu sein) Band zum dritten Mal in Folge in allen nur erdenklichen Rubriken auf Platz eins. Dabei sind Duran Duran, und das ist Voraussetzung für das Erreichen so einer wässerigen Klassik, keine reine Teenie-Band. Die Durannies, die sich jede Woche in einen anderen der drei Taylors, den einen LeBon oder den Rhodes verlieben, sind gar nicht die zentrale Klientel der Gruppe, was man leicht beweisen kann, wenn man die Wege, die Duran Duran Platten durch die Charts nehmen, genauer betrachtet.

Die klassischen Teenie-Band-Hits springen von Null auf Drei, dann auf eins, bleiben dort drei Wochen und stürzen dann über neun, siebzehn, dreiundzwanzig und neununddreißig ins Bodenlose. Duran Duran dagegen knüpfen an die unsagbar sanft ansteigenden Kurven Mittsiebziger Bombast-Band-Platten an und ihr Fallen erinnert an das von Nahem kaum wahrnehmbare nicht einmal mit einem Landeanflug vergleichbare Sinken eines Pink Floyd-Albums vom Schlage „Dark Side Of The Moon“. Diese Zeichen verweisen auf etwas, was es in Großbritannien normalerweise überhaupt nicht gibt, in den USA aber die größten Marktanteile hält: A.O.R., adult oriented rock. Musik für Erwachsene.

Für ihren epochalen Status brauchten Duran Duran also zwei Publikumssegmente. Kinder und Eltern. Diese Versöhnung der Generationen entsteht aus der Verbindung zweier Elemente: stumpfer Ungeschicklichkeit und der Geschmacklosigkeit (ich meine beides nicht böse, beides ist zuweilen unverzichtbar für gute POP-Musik. Dieser Artikel ist eine Apologie!). Die Ungeschicklichkeit ist unverzichtbar für Erfolg bei Teenagern, der schlechte Geschmack wird für dich unverzichtbar, wenn du im Berufsleben stehst und selber Kinder hast. Für die Ungeschicklichkeit steht das erste Cover, als sie alle noch häßlich waren, für den dann konsequent eingeschlagenen goldenen Pfad zur Geschmacklosigkeit steht das Cover von „Rio“, das eine Illustration des Grafikers Nagel ziert, dem wohl geschmacklosesten lebend herumlaufenden Zeichners, beides kulminiert dialektisch hochgeschaukelt und ekstatisch miteinander verschränkt in den späten Videos, wo sich Helmut Newton und Ken Russel gute Nacht sagen. Ich finde das großartig. Ich sehe hier Leistungen, die heutzutage keiner der ziellos umherschweifenden Pop-Rebellen überhaupt je in Erwägung ziehen würde. Ich sehe hier die unfreiwillige Intelligenz großartiger strategischer Erfolge silbrig schimmern. Ich glaube, wir alle können nur ahnen, was wir von Duran Duran halten werden, wenn wir das Jahr 2007 erleben dürfen.

Mindestens so viel wie von den Bee-Gees, die ja heute jeder Conaisseur genießerisch schlürft, ich nehme mich da nicht aus und höre „New York Mining Disaster 1941“ so circa einmal pro Woche, und die genau wie Duran Duran drei Mitglieder gleichen Namens in ihren Reihen fürchten (Allein: die drei Taylors sind anders als die drei Gibbs keine Brüder). Culture Club – hier kommt sie wieder die Analogie, die immer wieder so gerne genommen wird – mögen Intellektuelle der pfiffigen Sorte und junge Kinder (Beatles). Gute Melodien. Frankie Goes To Hollywood mögen Intellektuelle der weniger pfiffigen Sorte und ältere Kinder womöglich solche mit Sexualleben (Rolling Stones). Gute Rhythmen. Duran Duran unhippe Kinder und bieder Erwachsene wie Lady Di (BeeGees). Gute Melodien, gute Rhythmen. Und wie bei den BeeGees versuchen sich die Männer um den Namenvetter des großen französischen Massenpsychologen Gustave LeBon an Texten, die genau das richtige Maß an zeitlos-kleinbürgerlicher Bescheuertheit erreichen, das nötig ist, um eben keineswegs hip, keineswegs aufregend, clever und jung zu wirken und das zu erreichen, was das einzigartige Duran Duran Ziel ist: einer vollends diffusen, paralytischen Epoche einen träge-gültigen Stempel zu geben, über den Weg einer größtmöglichen Unbedarftheit („New Religion – a dialogue between the ego and the alter ego“).

Ja und wer kann heute noch etwas damit anfangen, jung und clever zu sein? Wer will nicht in das Paradies, das beginnt nach dreißig oder besser nach der Geburt des Erstgeborenen? Wer will nicht endlich bieder werden und dafür jede Scheiße fressen. Wir alle doch? Oder?

Nein, für richtige Erwachsene gibt es die Stranglers.