Ed Ruscha. Fernet Branca auf Leinwand

Ein heißer August-Nachmittag in Nevada. Auf dem Interstate-Highway 15 bewegt sich mit 144 km/h ein 63er Buick Le
Sabre in Richtung Süd-Südwest. Insassen: Ed Ruscha, Fahrer; Mason Williams, Werfer, und Patrick Blackwell, Fotograf. Exakt um 17 Uhr 07, Ortszeit, wirft Werfer Williams eine Schreibmaschine (Modell „Royal X“) aus dem Wagenfenster.

Der Buick drosselt seine Geschwindigkeit, hält an. Die drei ernsten Männer steigen aus und untersuchen, ballistisch, geometrisch und astronomisch, den Grad der Zerstörung wie die Streuung der Maschinenbestandteile. Wortlos macht Blackwell seine kriminologischen Aufnahmen von der Unglücksstelle.

Das war vor neunzehn Jahren. Die drei Männer, die die Zerstörung einer Schreibmaschine (als Buch: The Royal Road Test) untersuchen und dokumentieren wie den Absturz einer Verkehrsmaschine, sind seit dem getrennte Wege gegangen. Von Williams, der in den 60ern viel mit Ruscha gearbeitet hat und zu den interessantesten, ganz frühen, literarischen Singer/Songwritern gehört, und dem nicht zuletzt Lou Reed eine Menge verdankt (er harrt noch der Wiederentdeckung durch Eva, Lolita oder Line), hat man seit gut einem Jahrzehnt nichts mehr gehört. Ed Ruscha dagegen hat erst vor ein paar Monaten einen neuen persönlichen Verkaufspreisrekord aufgestellt. Als bildender Künstler. Irgendeine sechsstellige Summe in einer New Yorker Galerie.

Anfang September kommt er nach Deutschland, zur Eröffnung seiner Ausstellung bei Tanja Grunert in Köln.

In den 60er Jahren war Ed Ruscha in seinen 20ern. Er machte Pop-Art, arbeitete bei Spike Jones, an dem ihm gefiel, daß er seine Musiker mit Eiern bewarf. In einem Documenta-Katalog findet man den bizarren Satz: „Ich nahm auch die Kunst des Films zur Kenntnis.“ Er ist also ins Kino gegangen.

Vor allem machte er kleine Bücher, die regelmäßig mit einem Haufen leerer Seiten endeten. Various Small Fires enthält alles von der Zigarette bis zum Würstchengrill, Colored People sind Fotografien von eher weniger anthropomorphen Kakteen, Records zeigt seine Plattensammlung (linke Seite: Cover, rechte Seite: Platte, Höhepunkt ist neben Standards von Velvet Underground, Screamin’ Jay Hawkins und Steppenwolf das Album der 17-jährigen Lesley Gore I’ll Cry If I Want To, Songtitel: „Cry Me A River“, „No More Tears Left To Cry“, „Judy’s Turn To Cry“, „Cry & You Cry Alone“, „Just Let Me Cry“, „Cry“ u. v. m. Natürlich hat Ed auch Soul von Wilson Pickett und ein paar Country-Platten). Seine Beschäftigung mit Schallplatten gipfelt später in seinem Gemälde „Unidentified Hit Record“ von 1977.

Andere Bücher wie der launige Fotoroman Crackers, die Fotosammlungen von Parkplätzen, Tankstellen und zum Verkauf stehenden Immobilien in L.A. und die erwähnte Schreibmaschinenzerstörung in der sonnigen Wüste von Nevada, zu einer Zeit, als die Augen der Kunstwelt auf die Zerstörung von Tierinnereien und deren Vermanschung mit menschlichen Exkrementen in Wien gerichtet waren, machen aber nur die Hälfte von Ruschas Arbeit in den 60ern aus. Daneben machte er Pop-Art: Tankstellen, Gebäude, Spielchen mit Perspektiven und Schriften, vor allem Schriften.

Schriften machten ihn in den 70ern endgültig berühmt. Pedantisch-exakte Gemälde mit Sätzen wie „Will 100 Artists Please Draw A 1950 Ford From Memory?“, „I Live Over In Valley View“ oder einfach „The Catholic Church“ (auf schwarzem Hintergrund) lösten die kleinen Dinge (Pillen, Schachteln, Ameisen u. ä., klein und verloren auf riesigen Farbflächen) ab, die ihn noch Anfang der 70er beschäftigten und auch den Stoff für sein Plakat der 72er Documenta abgaben. Die verschieden farbigen, oft monochromen Hintergründe für seine Sätze malte Ruscha aus den abenteuerlichsten Materialien: Spinat, Yoghurt, Ketchup, Eiweiß und Fernet Branca, verriebene Salatblätter und Shellack auf Moiré.

Im Laufe der Zeit wurden die Schriften kleiner und die Hintergründe zu zurückgenommen-zarten, aber dramatischen Landschaften, vorzugsweise Abendhimmel (wenn man die attraktiven Schlieren mal interpretieren will), in denen die kleinen Sätze wie Figuren zu verschwinden drohten. Oh Theorie der Repräsentation! Was Ruscha 77 noch flächendeckend auf einen mehrfarbigen Hintergrund geschrieben hatte, kann heute als Motto mancher seiner Bilder, wie „Kay-Eye-Double-S“ (diese Buchstaben vor sehr langen, sehr vielen Horizontalen) oder „Just An Average Guy“ (kleiner Bleistiftmann vor dem gleichen Hintergrund) gelten: „Psychedelic Indian Guru New Mexico Fadeout Photo Realism“.

So weit in groben Zügen das Werk Ruschas, dessen Bilder-Sätze in letzter Zeit auch noch des öfteren zu stottern anfingen: „You P-P-Polyester People“. Dieser Mann ist eines der letzten ungelüfteten Geheimnisse der zeitgenössischen Kunst. Nicht daß er zu den abseitigen, zu entdeckenden Geheimtips gehörte, seit mehr als einem Jahrzehnt ist er eigentlich überall dabei, wo sich die Stars treffen. Aber er hat es verstanden als sehr moderner, zugänglicher neo-dadaistischer Eigenbrötler nicht mit einer Generation und einer Attitüde auszubrennen. Das, was einen Sommer lang Laurie Anderson, zeitweise Andy Warhol, aber eben auch der nicht minder von Spike Jones beeinflußte frühe Zappa der LP Lumpy Gravy zu sagen hatten – amüsierte Phänomenologien der USA, aus dem Flugzeug gesehen, ohne den kritischen Gehalt der Observation jedem Agenten der Gegenseite auf das Butterbrot zu schmieren, Sinn für abstrus-schönen Humor und dezent-auftretenden Schweinereien (z. B. einen Schokoladen-Raum bei der Venedig-Biennale 1970, der später unbeabsichtigt von Ruschas Lieblingstieren, Ameisen, gefressen wurde), die sich nicht den beliebten Regeln der Provokation fügen –, vertritt Ruscha seit fast drei Dekaden.

Das Gratislob, das das Feuilleton jedem schenkt, der schon lange dabei ist, und das dem Gemeinplatz „Er steht über den Trends“ folgt, ist nicht das, was ich Ruscha anbieten will. Das Schöne an ihm ist: seine Sachen sehen eigentlich trendy aus und er hat sich auch nicht gescheut, Medien zu wechseln wie Hemden (um dann im obskursten Moment zehn Jahre oder so danach, irgendein altes Projekt weiterzuverfolgen). Er ist eher einer wie Polke oder Kim Fowley, einer der nicht nur das Richtige schon lange zu sagen hat, nicht nur strategisches Bewußtsein kultiviert (also ein Gespür dafür, wann man wo Aussagen richtig plazieren muß und daß es ohne Aussagen keine Kunst gibt), nicht nur im richtigen Moment kleine Verzweiflungen und im falschen hippiehafte Freundlichkeiten zum Verkauf anbietet, sondern auch sein strategisches Bewußtsein nicht stolz wie ein Gockel zu einem Teil seines Produktes erhebt und damit natürlich mit verscheuert und der Gegenseite zur Verfügung stellt, wie das Gros der Künstler unserer Generation.

Von den intelligenten 60er-Jahre-Künstlern der USA hat er als Einziger an der West Coast überlebt und sein Humor steht der Country-Musik, dem distanziert freundlichen, aber nicht minder bösem Songwritertum eines Loudon Wainwright III näher als den urbanen Intellektualismen New Yorks. Wie Polke steht er für das Bessere im geistig-kulturellen Erbe der Hippies. Kim Fowleys gestottertes „Invasion Of The Polaroid People“ dürfte direkt von Ruscha inspiriert sein.