Ein altmodischer Weltenretter

Ist der neue James Bond-Film „Octopussy“ wirklich nur ein Märchen von Kalten Kriegern für den heißen Herbst?

Ein Brite in den besten Jahren, eingezwängt in die Enge eines Cockpits, flieht. Gelangweilt bis milde amüsiert dreht er seinen Roger-Moore-Kopf und registriert mit der Miene eines Aristokraten, der sich beim leider nicht vermeidbaren Stadtaufenthalt gerade eines lästigen Bettlers entledigt hat und nun schon wieder angehauen wird, ein raketenartiges Geschoß, das das nichtswürdige Militär einer ebenso nichtswürdigen Bananenrepublik auf ihn abgefeuert hat. Er weiß, daß er nicht ausweichen kann, das fiese Flugobjekt würde jeden Kurswechsel mitmachen. Doch 007 besiegt moderne Waffentechnik mit klassischen Listen. Da unten ist diese Flugzeughalle, in der sich das bananenrepublikanische Kroppzeug zusammenrottet, plötzlich zum Himmel starrt, auseinandersprengt … doch zu spät.

Die meisten Leser müßten wissen, was jetzt passiert. Keinem Kinogänger konnte diese Szene in den letzten Monaten entgehen. Sie ist gleichzeitig Trailer (Werbespot) und Prä-Vorspann-Eröffnungssequenz des neuen Bond-Abenteuers. 007 jagt seinen Mini-Jet durch die sperrangelweit aufgerissenen Flügeltüren der Halle, die Rakete hinterher. Selbige explodiert dort und vernichtet mehrere Juntas, während Bond auf einer Landstraße landet, die Tragflächen einklappt und mit seinem nunmehr zum Kfz umfunktionierten Düsenjäger vor einer einsamen Tankstelle ausrollt: „Volltanken“.

Da quietscht das Kino-Publikum vor Vergnügen, und tatsächlich ist der Superheld als liebgewonnene Figur der Pop-Kultur nur zu halten, wenn man so eine exotische und clever zurechtgezimmerte Figur wählt wie den unverwüstlichen 007. James Bond benutzt zwar die amerikanische Erfindung der Omnipotenz, aber er füllt sie mit europäischen, speziell britischen Ideen und Traditionen aus, in ihm vermischt sich europäische Resignation mit einem Nachklang versunkener britischer Weltherrschaftsansprüche zu einer seltsamen Superhelden-Identität, die die Grundvoraussetzung aller Spionage-Plots ignoriert: daß auf der einen Seite die good guys, auf der anderen die bad guys stehen.

Bei Bond wird den Amis zwar ihr Imperium zähneknirschend als Realität, an der man nicht vorbeikommt, zugestanden, die Russen sind eh meist arme Säue, die den Leuten aus den eigenen Reihen Streiche spielen und die anders als die Amis und im Gegensatz zu weitverbreiteten Auffassungen nicht einmal wie Imperialisten aussehen: grundsätzlich gilt jedoch, daß beide Supermächte nicht in der Lage sind, die Weltherrschaft angemessen zu verwalten. Blöde und vertrottelt sind sie der Eigendynamik ihrer Militärmaschinerie ausgeliefert. Wäre da nicht der überlegen agierende britische Geheimdienst, schon oft hätten sie sich gegenseitig in die Luft gejagt, in Kriege verwickeln lassen oder sich von Ernst Stavro Blofeld oder anderen Finstermännern mit Welteroberungsphantasien in die Luft jagen lassen.

Dabei ist die 007-Welt nichts anderes als eine Welt, in der das britische Kolonialreich und die dazugehörige Kultur noch völlig intakt sind, nur verrutscht aus der Welt der offiziellen und offensichtlichen Politik ins Unbewußte der Politik, in ein Schattenreich, wo geheime Türen, unterirdische Gänge, verbotene Inseln, Colts und Frauen von Rasse und Klasse das Leben regeln. Alles, was im Bondland geschieht, könnte auch im vorigen oder vorvorigen Jahrhundert geschehen sein: Frauen werden erobert, mit Smartness und Verführungskunst, so wie man das damals machte, die Welt wird bewohnt von entweder devoten Hilfsvölkern, die der britischen Krone bereitwillig Sklaven zur Verfügung stellen (und für ihre Dienste für 007 in der Regel ihr ohnehin wenig ersprießliches 3.-Welt-Leben opfern müssen) oder von feigen, säbelschwingenden oder sonstwie mediäval bewaffneten Banditen und Barbaren, die sich genauso bereitwillig den Bösen zur Verfügung stellen. Und selbst wenn Bond in Gefangenschaft gerät, wird er behandelt wie ein feindlicher Offizier zu Zeiten behandelt wurde, als das Kriegshandwerk noch ein Handwerk war: man lädt ihn erstmal zum Dinner ein (danach wird er dann meistens mit den Details seiner bevorstehenden Exekution vertraut gemacht).

Kein Wunder, daß die Feuilletons „Octopussy“, dem neuesten, wieder sehr spritzig von John Glen in Szene gesetzten Bond-Film, eine „hergesuchte“ Story und „Unwahrscheinlichkeit“ vorwerfen. Naiv wie sie sind, ahnen sie halt nicht, daß nicht Ron im Oval Office per Knopfdruck und Telefon über Wohl, Wehe und Fortbestand dieser Welt befindet, sondern 007, irgendwo da draußen in Indien oder Ostberlin auf der Flucht vor indischen Elefanten oder teuflischen Messerwerfern.

James Bond ist eine Figur der 50er Jahre. Daß er weder an Aktualität, noch an Attraktivität eingebüßt hat, wird wohl daran liegen, daß sich an der weltpolitischen Lage und den damit verbundenen Ängsten von uns Europäern nichts Wesentliches geändert hat. Holocaust, one way or the other, bleibt Thema Nr. eins. Die andere unverzichtbare Bedrohung, die aus der frischen Erinnerung an den deutschen Faschismus in den 50ern Eingang in die Bond-Mythologie fand, hat man modifiziert: Der leicht teutonisch wirkende, meist wuschelige, weiße Katzen streichelnde Großbösewicht, der aus lauter Irrationalismus die Unhöflichkeit besitzt, die Welt unterwerfen zu wollen, koste es was es wolle, ist durch zeitgemäßere Monstren ersetzt worden.

Voraussetzung bleibt das mulmige Gefühl, das die Europäer, namentlich die Briten, wohl weniger die Deutschen, beschleicht, wenn sie sich vergegenwärtigen, daß die Geschicke dieser Welt in den Händen quadratschädeliger Yankees oder unterzivilisierter Iwans liegen. Ein Gefühl, in dem sich Nostalgien reaktionärer Art und „progressive“ Neo-Nationalismen treffen, aber das von Bonds charmanter Ironie auch nicht verschont bleibt und hin und wieder der gebotenen Lächerlichkeit ausgesetzt wird.

Bond bezieht seine Aktualität auch nicht aus den derzeit so beliebten Spekulationen über Computer und technische Revolutionen aller Art. Die als technische Neuerungen ausgegebenen kleinen Waffenspielzeuge vom Schlage Giftkugelschreiber oder Abhördigitaluhr, die Waffenexperten des Secret Service Bond immer wieder andrehen, sind genau die Sorte Erfindungen, die man aus einer Zeit kennt, als man noch Elektronengehirn zum Computer sagte und Lügendetektoren das neueste Ding waren. Alles Moderne an Bond wirkt so unmodern wie Taucherkugel, Draisine und Heißluftballon, Bond widerstrebt der Moderne erfolgreich auch noch im All und angesichts der H-Bombe.

Nein, das Aktuelle kommt immer aus der diplomatischen Absurdität, die den Filmen im einzelnen zugrunde liegt, diesmal ist es eine ganz besonders schrille Stammtisch-Polit-Theorie. Analog zu Kubricks Dr. Strangelove („Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“), wo der ausgeflippte General James D. Ripper gegen den Willen seines von einem besorgten Peter Sellers verkörperten Präsidenten einen Holocaust vom Zaun bricht, ist es hier ein spinnerter General Orlov, der es wieder gegen den Willen seines überaus friedfertigen, milden Generalsekretärs nicht länger mitansehen will, wie die UdSSR ihren Vorteil an konventionellen Waffen leichtfertig bei Abrüstungsverhandlungen an die NATO verdaddelt. Womit Orlov wohl nicht ganz unrecht hat. Doch sein Plan ist teuflisch, phantasievoll und originell: Wenn eine amerikanische Atombombe auf einem US-Stützpunkt in der BRD hochginge, müßte doch eine dermaßen machtvolle Abrüstungsbewegung losbrechen, daß der NATO nichts anderes übrig bliebe, als atomar abzurüsten und den Weg für einen konventionellen Siegeszug der Roten Armee freizumachen. So der Plan Orlovs, der haargenau der westlichen Propaganda über die Notwendigkeit der Nachrüstung aufgesessen und offensichtlich zu naiv ist, Propaganda als solche zu erkennen, ja tatsächlich glaubt, Kriegsvorbereitung ließe sich von Friedensbewegungen stören. Aber wir können wohl davon ausgehen, daß im Falle einer wirklichen Katastrophe auf der US-Basis Feldstadt, Western Germany, genau die Überlegungen aus dem kranken Hirn eines Orlov als Erklärung für den Vorfall in den hiesigen Medien präsentiert würden. Bond bringt die westliche Paranoia-Propaganda darüber hinaus auf den Punkt, indem er das, was als Regelfall russischer Mentalität hierzulande verbreitet wird, als Ausnahme darstellt. Während der väterliche Generalsekretär und der russische Botschafter in London, der nachher die anglorussischen Beziehungen wieder einrenkt, als ausgesprochen sympathische alte Herren erscheinen, der Generalsekretär gar mit Original-Breschnew-Brauen.

Doch auch diese Russen sind nichts anderes als Darsteller ihres eigenen Klischees, grelle Comic-Figuren, aber solche, die es gerne sind, denen es gefällt, einen Platz zugewiesen zu bekommen in dieser unübersichtlichen Welt der Geheimdiplomatie mit ihren rasant und willkürlich wechselnden Schauplätzen, Akteuren, Spielregeln, wo nur die wirklich gut abgehangenen, klassischen Stereotypen von Bestand zu sein scheinen, bis auch sie gnadenlos aufgelöst werden und nur noch eins zählt: Colt und Frauenkörper, wie sie in dem zeitlos-psychedelischen „Octopussy“-Vorspann schwerelos durcheinanderwirbeln. Drumherum diese Welt aus Witzfiguren, wie jene Deutschen, die den trampenden Bond zur US-Basis in Feldstadt mitnehmen und dabei unausgesetzt Bier und Würste verschlingen, wie diese Inder, die ewig Schlangen beschwören müssen, auf lästigen, spitzen Nägeln herumliegen, Schwerter verschlingen und diese Tätigkeiten erst aufgeben, wenn ein Agent namens Double-O-Seven großzügig Rupien in die Menge wirft, um sinistre Verfolger abzuschütteln. So halten Stammtischideen eine Welt in Atem, die sich willig in die Arme der sie zum Narren haltenden, verführerischen Klischees wirft.

Von Bestand sind nur die Männerphantasien an den Swimming Pools dieser Welt, die Scherzchen mit Miß Moneypenny, die Bond seit zwanzig Jahren und dreizehn Filmen anhimmelnde Sekretärin seines Chefs M, und die immer gleichen Schlußsequenzen, die Bond in irgendeinem Boot auf irgendeinem Gewässer mit irgendeinem Bond-Girl zeigen (auch für zünftige Trivialsymbole ist Bond immer zu haben), diesmal mit „Octopussy“, der Anführerin eines Amazonen-Schmuggler-Ringes, die Bond beim Weltretten zur Seite steht und dafür mit Sex und einer 1a-Lebensrettung großzügig honoriert wird.

Nicht das spießige „Politik-ist-ein-schmutziges-Geschäft“ ist Bonds Maxime, Politik, d.h. Weltretten, ist schon spaßig, aber aus Bonds Lächeln spricht der Skeptizismus einer alten Welt, die alles schon hinter sich hat und nun nur noch darauf achten kann, daß die neuen Welten nicht zu viel Scheiß machen.

Die englische Zeitschrift „Marxism Today“ würdigte unlängst den Nationalhelden Bond und unterschied dabei zwischen dem progressiven Bond der frühen Jahre und einem konservativen Bond der Siebziger, ersterer wäre demnach Sean Connery, der bestenfalls ein guter Schauspieler genannt werden kann, der Bond angemessen verkörpert. Unter dem Druck des angekündigten Sean-Connery-Comeback als James Bond, noch in diesem Herbst, ist mit „Octopussy“ ein Film entstanden, der die Qualitäten des frühen Bond mit denen der beiden schrillen, die Welt politischer Übereinkünfte restlos zersetzenden Hitchcock-Spionage-Werke „Topaz“ und „Torn Curtain“ verbindet.

Wahrscheinlich leistet sich Bond nie mehr Marxismus, als seine Produzenten Saltzmann und Broccoli oder seine Sponsoren von Seiko bis zum indischen Fremdenverkehrsamt gestatten, aber mir gefällt dieser Gedanke nicht. Bond steht unter keinem Einfluß. Richtiger scheint mir die Annahme, Bond selber entscheidet über Bond, und Bond ist nun einmal ein kultivierter, lebenslustiger Brite in den besten Jahren, der den Colt und die Octopussys dieser Welt jeder Theorie vorzieht, auch der weniger grauen.