Ein Au-Pairs Interview

Spiele mit dem Geschlecht, den Geschlechtern und David Bowie.

Nachdem die Lobeshymnen gerade einen Tag verklungen waren und die „Venus Weltklang“-Heimkehrer von etwas anderem als den Au-Pairs zu reden begannen, kamen dieselben im Rahmen eines ultra-chaotisch organisierten Auftritts in Hamburgs „Rampe“.

„Auch wenn du sagst, dir und den anderen hätte es gefallen, heute war wirklich der schlechteste Auftritt unserer ganzen Tour. Warum ist dieser idiotische Veranstalter nicht einmal in der Lage, ein Equipment auf die Beine zu stellen. Er schadet doch nicht nur uns, sondern sich selbst, dem Club.“

Nacheinander zwei separate Interviews dieser mit den Geschlechtern spielenden Band, diesem gemischten Vierfach. Eins mit Mann Paul, Gitarrist, eins mit Sängerin Lesley, Textautorin, Feministin und sehr schwarze Haare, sehr dunkles Make-Up. Bassistin und Schlagzeuger sind mit Manager und tanzen zum mitgebrachten Grace Jones-Tape. Manager: „Nicht einmal Pausenmusik haben sie, sogar dafür müssen wir selber sorgen, macht aber nichts, dann können wir wenigstens Grace Jones hören.“

Nach einem kurzen Grundsatz-Gespräch mit Paul über die unterschiedlichen Strategien gegenüber einem sozial-liberalen und einem konservativen Regime (Fortsetzung des Red-Crayola-Gesprächs) beklagt dieser das klischeehafte unreflektierte Verhältnis der Engländer zur Politik, vor allem zur Politik in der Musik und lobt die Intelligenz von uns Europäern. Ich berichte von einer Diskussion, bei der ich neulich versuchte, Bowies Song „Young Americans“ als einen exemplarischen politischen Song zu verteidigen und mir ein Verständnis von politischer Musik entgegengehalten wurde, das die explizite Stellungnahme fordert. Paul: „Ja, ich würde noch weitergehen, die meisten Songs in der Hitparade sind politisch. Sheena Easton ist politisch, obwohl sie kommerziell erfolgreich ist. Das, was sie in ‚9 to 5‘ besingt sind politische Erfahrungen aus einer stereotypen Mann/Frau-Beziehung. Und ‚Young Americans‘, da hast du recht, ist ein eminent politischer Song.“ Ihr scheint Bowie zu mögen, die Cover-Version von „Repetition“, die Anspielung auf „Suffragette City“ in „Dear John“? „Naja, das letzte war wohl eher etwas unterbewußt da hineingerutscht, aber klar: Bowie ist wohl etwas, worauf sich die Au-Pairs, so unterschiedlich ihre Charaktere auch sonst sein mögen, sofort einigen können. Wir bewundern sein ganzes Werk, aber „Repitition“ war der einzige Song, den wir machen konnten.“ Er ist da erstaunlich weit weg von seinem Ego und sehr nahe an anderer Leute Probleme. „Bowie ist ein exzellenter Songautor (…), sieh mal, mich interessiert so ein breites Spektrum von Rock-Musik, die Stones zum Beispiel, obwohl ich ihren Sexismus, ihre selbstgefällige bourgeoise Haltung auch nicht ausstehen kann, auf BLACK AND BLUE etwa, würg! Aber sie sind eben eine gute Band.“ Wie entsteht eure Musik? „Lesley schreibt alle Texte, sie ist die Sängerin und besteht darauf, nur das zu singen, was sie selber irgendwann einmal gedacht hat, die Musik entsteht im Kollektiv (…) Wir sind aus Birmingham, und da ist zur Zeit eine Menge los, wir waren mit The Beat auf Tour, sie waren wunderbar, sie sind wahrscheinlich die wichtigste Band in England zur Zeit.“ Warum, ich fand sie eher unbedeutend. „Das könnt ihr hier wahrscheinlich nicht so verstehen, ihr habt nicht das Rassismus-Problem, die Beat haben da eine sehr wichtige integrative Funktion.“ So weit der nette Paul, ein schmächtiger Junge, der auf der Bühne das Einpeitschen des drögen und mangels Plakaten spärlichen HH-Publikums besorgt, während Lesley eher schüchtern an ihrem Mikro hängt und Jane und Pete den dampfenden Hintergrund aus der Gang-Of-Four-Schule vorlegen („O.K. sie waren ein großer Einfluß und wir arbeiten ja auch im selben Gebiet, hoffe ich. Nur, daß wir eben auch ganz andere Song-Typen draufhaben, wie ‚Headache‘“ [eine bittere verträumt-zornige Reggae-Nummer)).

Lesley hat einen Song geschrieben, „We’re so cool“, der für mein Verständnis die Nöte eines alternativen Softies schildert, Leute von der Sorte „Ich-hab-nichts-dagegen- wenn-sie-mit-anderen-schläft-solange-ich-die-Hauptrolle-spiele, bin ich nicht eifersüchtig“. Eine Lebenslüge eben. Paul stimmte dieser Interpretation zu, nicht so Lesley: „Das ist eine viel subtilere Form von Unterdrückung. Er sagt der Frau, daß es ihm nichts ausmacht zu leiden, gibt aber zu erkennen, daß er aber eben doch leidet und gibt ihr so Schuldgefühle, was viel härter sein kann, als sie etwa zu schlagen. Außerdem behält er sich den Besitz, die Hauptrolle eben vor. Außerdem beschreibt der Song eine Situation, in der Frauen sich nur dadurch zu entfalten vermögen, befreien können, indem sie das imitieren, was bis dato das Privileg der Männer war: Promiskuität, One-Night-Stands etc.“ Lesley kühlt ihre rauhe Stimme mit einigen kräftigen Schlucken aus einer Rotweinflasche, ich lasse mir einen Schluck schmecken. „Beziehungen“, führt sie fort, „werden im Kapitalismus natürlich auch durch kapitalistische Strukturen bestimmt, und in diesem Fall gibt der Mann ein Maß an sogenannter Freizügigkeit und erhält dafür von der Frau die Besitzrechte, ‚Main man in her life‘ zu sein.“

Die Au-Pairs spielen weiter mit dem anderen Geschlecht, fast alle ihre Themen stammen aus der beliebten Zweierkiste, von „Armagh“, einem fast klassischen Protest-Song mal abgesehen. „Dear John“ schien mir schwer verständlich: „Ein ‚Dear-John-Letter‘ ist ein Begriff aus dem Krieg, man benutzte ihn für Briefe von Frauen, die mit einem anderen Mann zusammen waren und stereotype, aber beruhigende Briefe an ihre Männer im Felde schrieben.“ Musikalisch ist sicher „Headache“ am interessantesten. „‚Headache‘ handelt von einer Zeit, als in London sehr viel Heroin war und auch sehr billig. Damals ging es los, daß ganz junge Mädchen anfingen, sich dafür zu interessieren und es war klar, daß wenn die Regierung wirklich so viel gegen Heroin hätte, wie sie vorgeben zu haben, könnten sie das Problem lösen.“ Du meinst ihnen nützt dieser „Out-Of-The-Head“-Zustand? Eskapismus. „Ja, es ist dann leichter zu kontrollieren. Wie überhaupt in England ein Haufen Gehirnwäsche stattfindet. Daß z.B. jeder über amerikanische Geisel im Iran weiß, aber nichts über Folter in England, wie sie in unserem Song ‚Armagh‘ vorkommt. Die Leute kommen ja auch nie von der Insel ’runter nach Europa und sehen was wirklich los ist.“

Lesley redet weiter wie ein Wasserfall, aber ein längeres, ruhigeres Interview wird demnächst in diesem Magazin folgen. Das letzte Wort der Cassette ist „Efficiency“.