Ein Film der neuen Musik: Okay, Okay – Der moderne Tanz

Ich verstehe meine Welt nicht mehr / Ich sehe keine Menschen mehr / Menschen die leben / Menschen die lieben / sterben wie Fliegen / in den Kriegen / Jahr für Jahr / werden es mehr / bald gibt es keine Fliegen mehr („Heute Norm – Morgen Tod“, S.Y.P.H.)

(Fast) jeder Film hat seine Musik. Und jede Musik löst ihren Bilderstrom aus. Und trotzdem sind die Filme an einer Hand abzuzählen, in denen die beiden Medien, sich gegenseitig mit der Wirkungsweise des anderen auseinandersetzend, etwas gewonnen haben. Der naive Realismus, der Glaube an die Verdoppelung des Realen, das im Kino wiederauferstehen soll, diese Haltung, die nicht akzeptiert, daß Bilder und ihre Zusammensetzung immer etwas Gemachtes sind, hat die Auseinandersetzung des Films mit Musik, gerade mit Rockmusik, sehr lange bestimmt.

Zu den wenigen Ausnahmen, die mir einfallen, gehören einige Elvis-Filme, „The Girl Can’t Help lt“, „One Plus One“ von Godard, „Summer In The City“ von Wim Wenders, „Die wilden Engel“ von Roger Corman, mit Einschränkungen „Easy Rider“ und noch mehr Einschränkungen „Zabriskie Point“. Es sind wohl noch ein paar mehr. An dieser spontan zusammengestellten Liste fällt jedoch auf, daß man kaum Gemeinsamkeiten, eine erkennbare Methode, mit Musik umzugehen, benennen kann, die diese Filme verbindet. Denn die Methode macht die Musik. „OkayOkay – der Moderne Tanz“ heißt ein Film von Christoph Dreher und Heiner Mühlenbrock, der die erste uns bekannte adäquate filmische Reaktion ist auf die Musik, die uns so oft beschäftigt.

Zu Tönen von Pere Ubu, Chrome, PIL, Residents, Wire u.v.a. sieht man Bilder von menschenleerem Menschenwerk: Müllhalden, Keller, Industrielandschaften. Man sieht die Welt, die die Musik hervorgebracht hat. Sie wird aber nicht pseudo-dokumentarisch noch kulinarisch-kontemplativ, sondern an den Strukturen der jeweiligen Musikstücke orientiert gefilmt. Das führt dazu, daß sich der Film immer dann verändert, wenn sich die Musik verändert, entweder indem ein neues Stück eingeblendet wird – selten hört man ein Stück in voller Länge – oder etwa durch den Einsatz der Stimme. „Der Moderne Tanz“ ist, wie der Titel schon sagt, in erster Linie ein Pere Ubu-Film. Die Stimme David Thomas’ ist über weite Strecken, das einzige Lebenszeichen der Menschheit. Mit der Zeit verquickt der Zuschauer Thomas’ Stimme mit dem Blick der Kamera, erkennt in ihnen das Subjekt des Films. Der Übergang zu dokumentarischen Live-Aufnahmen von Wire oder von der legendären Veranstaltung mit Ätztussis und Katapult vorm Berliner Frauengefängnis ist erstaunlicherweise völlig nahtlos. Denn was vorher durch die Vereinigung zweier extrem subjektiver Perspektiven (Kamera und Musik) vermittelt wurde, erscheint nun in bekannten Kategorien und Erscheinungen, die jeder als „politisch“ versteht und nun auch weiß, worum es vorher gegangen war.

„Der moderne Tanz“ ist die konsequente Fortsetzung von „Radio On“, der das Verhältnis: Musik/Architektur mit Bowie und Devo und rudimentär noch vorhandener Spielhandlung für die mittleren Siebziger formuliert. „Der moderne Tanz“ verzichtet auf diese Konventionen so wie Chrome auf die von Bowie verzichtet.

Man wird diesen Film demnächst in kommunalen und Programmkinos sehen können.