Bei Gelegenheit des Todes von Enrico Berlinguer, ein Nachruf auf Biermann, Raddatz und andere „Eurokommunisten“
Enrico Berlinguer ist tot. Daß sein Tod sogar von den hiesigen Tageszeitungen, jedenfalls von denen, die ich heute morgen stichprobenartig eingesehen habe: „Welt“, „FAZ“ und „Rheinische Post“, als ein bedenkenswertes Ereignis verzeichnet wird, ja gar beweint wird, vernimmt man mit Staunen. Stürbe Herbert Mies, könnte er froh sein, wenn sein Tod als Kuriosität „aus aller Welt“ gemeldet würde. Berlinguers Ableben wird zum Gegenstand hochoffiziösen Nachdenkens, sogar in der „Welt“.
Das liegt nicht daran, daß er in Italien ein einflußreicher Oppositionspolitiker war. Das waren vor ihm andere, die der Ehre westdeutscher Kenntnisnahme nie teilhaftig wurden. Ein Kommunist ist kein Politiker, sondern ein Kommunist; auch Berlinguer, dem nun wohlwollender Beifall für allerlei Abweichungen von dem, was man sich sonst unter einem Kommunisten vorstellt, gezollt wird, war ein Kommunist. Der Grund ist anderswo zu suchen. Nicht seine Politik hat Berlinguer Resonanz in der BRD verschafft, sondern der Trost, den seine Erfindung, der Eurokommunismus, einer verwirrten bürgerlichen Intelligentsia zu spenden wußte.
Erinnert sich denn niemand daran, wie in der Hoch-Zeit des Eurokommunismus Woche für Woche in der „Zeit“ Raddatz in Interviews Weltfragen wälzte, stets um die Aktualität beziehungsweise Nichtaktualität des Marxismus kreisende, stets mit schicken italienischen Interviewpartnern wie Lucio Lombardo-Radice oder Alberto Moravia? Namen, wie sie sonst nur auf seinen Spesenrechnungen auftauchten, hier hatten sie plötzlich politische Bedeutung. Lombardo-Radice: Radix klingt hier an. Die Wurzel, wovon sich auch „radikal“ ableitet. Und der Lombardsatz, die Lombardei, die Langobarden, aber auch das Mittelmeer, der ligurische Komplex. Fettucine al Lombardo-Radice.
Berlinguer stand auf den Mannschaftsbildern der Eurokommunisten meistens in der Mitte: an den Seiten Marchais’, dem man Durchtriebenheit, Machtpolitik und unsauberes Taktieren nachsagte, und Santiago Carrillos, der 3.000 Mann im Bürgerkrieg hinrichten lassen haben soll (available on the world famous, best-selling record: „Im spanischen Bürgerkrieg haben aber auch die Kommunisten ihre Greuel begangen“) und Erzstalinist immerhin einmal war. Beide schwitzend. Dagegen Berlinguer stets in feinste Tuche gehüllt, aristokratisch, mit gradem Blick. Der erste unkorrupte Italiener seit Mussolini.
Der arrivierte Linksintellektuelle in Westdeutschland plagt sich mit der Gewissensnot, daß sein Lebensweg, dem ihm als 19jährigen bei der Abiturfeier mitgegebene Satz „Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 30 immer noch ist, hat keinen Verstand“ nur zu ähnlich sieht. Auch ein Paktieren mit der Sozialdemokratie bringt da keine Linderung; denn Sozialdemokratie steht für grauen Alltag, für Bürokratie, Filz, Schmuddel. Erst als die Politik der Sozialdemokratie unter dem neuen Namen Eurokommunismus ermöglichte, realkapitalistische Positionen und außenpolitische Kontinuität (NATO) durch einen Flirt mit richtigem Radikalismus, jedenfalls dem Namen nach, zu verbrämen, der zudem von allen Gulags befreit war durch die nach Brüsseler Plutoniummodell und TEE klingenden Silben Euro, konnte er beruhigt die Designerkleidung, das Spesenkonto, die gute Küche, den Innenarchitekten und das Unternehmen des Schwiegervaters mit jener süßen verbotenen Verworfenheit der Revolution unter einen Hut bringen, die er seit seiner Jugend nicht mehr genossen hat.
Der so bewegte Raddatz brachte damals ein Buch heraus, das die Frage stellte, warum einer Marxist ist, worauf dann Prominente von Wolf Biermann bis Lucio Lombardo-Radice (Radice, ital. = Raddatz) antworteten, warum sie es so richtig eben doch nicht seien.
Man verstehe mich nicht falsch: Nichts gegen den geschwätzigen, großtuerischen Salonkommunisten alter Schule. Aber viel gegen den verklemmten BRD-Medien-Onkel, der händeringend nach einer Vermittlung zwischen billig zurechtgezimmerter Mondänität und billigem, im Arsch zwickenden Gewissen schreit.
Eurokommunismus ist wie die sogenannten „neuen“ Philosophen aus Frankreich (Glucksman, Henry-Levy), über die die richtigen neuen Philosophen aus Frankreich immer nur gelacht haben, was man hier allerdings nie zur Kenntnis nahm, ein typisches Phänomen der Fin-de-décade-Stimmung der späten 70er. Mit Berlinguers Tod und der neuesten Dummerhaftigkeit von Glucksman („weder rot noch tot“, Verlagswerbung) werden wir noch einmal dran erinnert.
