Das „Dopium“ mußte aufgrund von Unpäßlichkeiten seitens der Besitzerin des „Podium“, in dessen Räumen ersteres gelegen war, seine Pforten schließen. Für Kleinkunst ist in dieser Stadt halt immer noch mehr Platz als für Hipness, so weit es so etwas überhaupt noch gibt.
Jedenfalls waren die letzten Wochen des „Dopium“ von einer hervorragen Publikums-Mixtur und dem Versuch, einen neuen Live-Laden zu etablieren, gezeichnet. Einen dieser heißen und stets angenehm-langweiligen Sonntage half ein Auftritt der Gruppe Los Cocomicos abrunden. Die Bergedorfer Big-Band hörte sich an wie ein Cocktail aus den angenehmeren Mode-Erscheinungen des vergangenen und des vorvergangenen Jahres. Mit viel Übungsfleiß hatte man sich die Mischung aus Haircut 100, Blue Rondo à la Turk und Orange Juice einigermaßen perfekt beigebracht. Wie es sich für typisch Hamburger Plünderpop gehört, beherrschten alle außer dem etwas zu linkischen und bemüht humorigen Sänger ihr Handwerk und gaben eine nette Showband ab. Natürlich spät, natürlich international vorerst chancenlos, natürlich ohne Größe und Charakter, aber erfreulich.
Öffentliche Ereignisse wußte der Musiksektor ansonsten nicht zu verzeichnen. Interessanter ging es im Kino zu, wo ich denn auch das einzige nennenswerte Konzert, Defunkt, verpaßte. Die „Hamburger Kinotage“ hatten diesmal einiges zu bieten. Die Filme der diesjährigen Veranstaltung waren so deutlich besser als in den Vorjahren, daß der Hinweis auf ein paar Highlights genügen soll, die Vorfreude zu wecken.
Der beste Film des Festivals kam von einem Oldtimer, dessen seit Jahren ungebrochenen Fähigkeiten in letzter Zeit zuwenig des verdienten Lobes zuteil wurde: François Truffaut. Die bereits 1979 in Frankreich fertiggestellte fünfte Folge seiner 1959 mit „Sie küßten und sie schlugen ihn“ begonnenen Serie um den Lebensweg Antoine Doinels (seit zwanzig Jahren kongenial verkörpert von Jean-Pierre Léaud, der am Anfang noch ein Kind war) heißt „Liebe auf der Flucht“ und sieht aus wie eine „Best Of Truffaut“-Anthologie: Ein knappes Drittel besteht aus Rückblenden auf ihre Vorgänger, Antoines ungeübte Schwärmerei für das Bohème-Mädchen Colette, der er, zum Literaten berufen, nur als Briefeschreiber zu imponieren vermag, die zwei Filme währende krisengeschüttelte Ehe mit Christine, die am Anfang der neuen Folge in gegenseitigem Einvernehmen geschieden wird, die neue Liebe zu Sabine, der blonden Uhrmacherin und Plattenverkäuferin mit dem Snoopy-Nachthemd, der Schrein für den Helden Balzac, den das Kind Doinel religiös verehrt, das Romandebüt „Liebessalat“ – Motive aus vier Filmen jagen den habituell rennenden Helden in Höchstgeschwindigkeit durch seine neueste Affaire, die wie alle vorangegangenen das Geschriebene, den Roman als zweite Ebene braucht, um für Antoine Sinn zu machen. Seiner Ex-Freundin Colette erzählt er als Romanidee, was für ihn gerade leidenschaftliche Wirklichkeit ist und dennoch komponiert und aufgebaut sein will wie von Balzac. Die Schulpsychologin aus dem ersten Doinel-Film erscheint in Schwarzweiß und beschäftigt sich mit dessen Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen: „Deine Eltern sagen, daß du immer nur lügst.“
Doch diese Unfähigkeit ist nichts anderes als die Fähigkeit zur Fiktion, zur Literatur, die immer sein Leben einholt. Die Liebe auf der Flucht vor der Literatur.
Japanische Filme sehen manchmal so aus, als seien sie gemacht worden, um einer europäischen Idee von östlicher Mysteriosität zu entsprechen. „Irezumi“ von Yoichi Takabayashi erinnert eher an, sagen wir, „Hiroshima Mon Amour“ als an Ozu, mit dem ihn europäische Kritiker vergleichen, obwohl er sich einer sehr japanischen Geschichte widmet: Eine inzestuös verflochtene Sippe von Tätowierungsspezialisten, die als die Besten ihrer Branche gelten, weil sie eine geheime Technik kennen, die der Film dann zeigt: Tattoo mit Sex. Im Reich der Sinne und Nadeln. Am Ende ist die Familie ausgelöscht, das sündige Handwerk ausgestorben. Übrig bleibt das Mädchen, das ihr letztes Meisterwerk wurde, von ihrem ahnungslosen, älteren Freund, der auf tätowierte Rücken steht, ohne zu wissen, wie die Meister arbeiten, zu der Prozedur genötigt und ihm am Ende entwachsen. Eine hübsche Geschichte, die man in Amerika „Tattoo People“ genannt hätte, und ein Film, der aussieht, als hätte ihn ein Franzose gedreht, um David Bowie zu beeindrucken.
Spektakulärer Höhepunkt des Festivals sollte „Videodrome“ werden, der neueste Film des kanadischen Wunderkindes David Cronenberg, der mit 23 seinen ersten, härtesten Film drehte, mit 26 seinen bisher erfolgreichsten, „Scanners“, und auch heute noch keine 30 ist. „Videodrome“ basiert auf zwei konkurrierenden Weltverschwörungsphantasien. Beiden gemeinsam ist eine Weltsicht, in der das Simulacrum der TV- und Videowelt an die Stelle der Wirklichkeit getreten ist. Cronenberg pendelt in der Durchführung zwischen superplump und supersophisticated, zwischen Campus-Humor und intelligenten Verspiegelungen und Narreteien. Zuweilen ist er kurz davor, der verkabelten Welt der 80er das zu geben, was Kubrick mit „2001“ der raumfahrenden und LSD schluckenden Welt der 60er gegeben bat, um sich im nächsten Moment in albernen Obsessionen zu verstricken oder seiner Vorliebe für besonders brutale Special-Effects zu frönen. Aber kann irgendjemanden ein Bild wirklich erschrecken, das zeigt, wie einem Mann eine Videocassette direkt in den Bauch geschoben wird? Nicht alleine die hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Deborah Harry und James Woods machen „Videodrome“ zumindest sehenswert. Spektakulär sind Cronenbergs Arbeiten sowieso.
