David Cunningham wird sein Mutanten-Pop-Ensemble Flying Lizards wohl leise sterben lassen. Dennoch wird in der Zukunft einiges von ihm zu erwarten sein, wie schon seine kaum bekannte, reichhaltige Vergangenheit andeutet.
Für Aufregung sorgte ja seine Produzentenarbeit bei Palais Schaumburg, der großen Hoffnung in Deutschlands zeitweilig etwas farbloser neuer Musik. Wie kam es dazu?
„Thomas (Fehlmann) trat an mich heran. Er hatte meine Sachen gehört und hielt mich für die geeignete Person. Der Rest der Band kannte auch einiges von mir, aber längst nicht alles. Z.B. würde meine Platte GREY SCALE sicher all diejenigen, die die Flying Lizards mögen, ziemlich verschrecken. Sehr schlecht gespielte experimentelle Piano-Musik. Ich hörte dann Schaumburg und fand sie sehr gut, viel besser als zum Beispiel DAF und hab dann zugesagt.“
Einen Abend vorher hatte ich die Musiker Schaumburgs getroffen. Mitten unter den biergeschwängerten jungen Kerls in einem verrufenen Lokal der Hafengegend standen die eher bürgerlich wirkenden jungen Musiker, doch in ihrer Mitte bot sich ein sehr erstaunlicher Anblick. Hat doch Thomas seinen Vater aus der Schweiz geholt und wollte ihm mal das Hamburger Nachtleben zeigen, dachte ich, als ich des distinguierten Filialleiters mit den schüchternen Gesten gewahr wurde, der mir dann als David Cunningham vorgestellt wurde und nach kurzer Zeit in seinem irischen Akzent ein Gespräch über Jazz in der BRD begann. Daß alle immer „Schlippenbach“ sagen, wenn es darum geht Deutschlands größten Jazzer zu nennen. In England gebe es aber mittlerweile eine Jazz-Avantgarde, die niemanden mehr kennt und kennen will, die bei Namen wie Eric Dolphy mit den Achseln zuckt und auch sonst die Jazz-Geschichte heute beginnen läßt.
Zurück zu unserem Interview im Studio, während der Schaumburg-Produktion. Wird das nicht problematisch, in sovielen Bereichen zu arbeiten, von Disco bis Free Jazz, von Pop bis Tonbandschlaufen?
„Nein, denn erstens arbeite ich unter verschiedenen Namen. Zweitens ist die Aufnahmebereitschaft heute höher. Wenn ich ein Wayne County-Album produziere, steht da ja nicht David Cunningham oder Flying Lizards drüber. Jetzt habe ich eine LP mit Steve Beresford gemacht. Du kennst ihn ja, ihr hattet ja den Artikel über ihn. Das wird improvisierte Musik sein mit viel Kinderinstrumenten, Spielzeugklavier und so. Das kommt aber unter seinem Namen raus. Die Musik wird eine Mischung aus der Musik der Alterations (Beresfords Gruppe) und Rock und Reggae. Mein Beitrag besteht in etwas Klavierspiel und in einigen unkonventionellen Aufnahmetechniken. Ein Stück haben wir z.B. in der Badewanne aufgenommen. Steve saß in der Wanne, ‚spielte Schiffchen‘ und machte ab und zu etwas Musik.
Du hast noch eine andere neue Band?
Ja mit Anton Fier (der gegenwärtig gefragteste Drummer der Erde, er spielt bei Pere Uhu, den Lounge Lizards, den Feelies, den Raincoats, David Thomas’ Gruppe den Pedestrians und eben hier) John Greaves (ex-Henry Cow) und Peter Gordon. Peter kam nach England und spielte bei einem Stück des zweiten Lizards-Albums und dann wollte er mit mir zusammenarbeiten. Ich weiß nicht warum. Denn er ist sehr musikalisch und technisch sehr gut, und ich komm mit meiner Spieltechnik überhaupt nicht mit.“
Wird es live-Auftritte geben?
„Wohl kaum. Ich mag nicht live auftreten. Ich sehe den Sinn nicht. Der einzige Sinn eines Konzertes ist doch, auf der Bühne genauso kreativ zu sein wie im Studio, und das kann ich nun mal nicht. Ich bin kein so guter Musiker.“
Ist dir je nahegelegt warden, dich auf die Lizards und dein Pop-Werk zu konzentrieren?
„Nein ich hatte nie Probleme in dieser Hinsicht. Es ist ja nicht so, daß ich die Lizards als meinen Lebensunterhalt und die freie Musik als wahre Kunst betrachte. Ich habe 18 Monate am zweiten Album gearbeitet. So viel Zeit würde ich nicht für Schrott opfern. Mein Vertrag mit Virgin ist nach meinen Bedingungen ausgehandelt. Erst hatte ich die Hits gemacht („Money“, “Summertime Blues“), dann wollten die ein Album, aber mein Vertrag war ausgelaufen. So hatte ich eine günstige Verhandlungsbasis. Ich krieg auch nicht viel Geld, aber meine Platten werden finanziert und ich habe genügend Studio-Zeit, die ich natürlich auch für andere Sachen nutze.“
Hörst du dir die Charts an?
„Nicht mehr so oft wie früher. Die Pop-Musik in London reizt mich nicht mehr so. In letzter Zeit war ich mehr mit improvisierter Musik beschäftigt. Ich habe außerdem noch ein Album mit Michael Nyman gemacht. Du kennst vielleicht die Single auf Crepuscule, die ich mit ihm aufgenommen habe: ‚Webern‘/‚Mozart‘. Die Webern-Seite basierte auf einigen Orchester-Kompositionen von Webern, die Mozart-Seite auf der Don-Giovanni-Ouvertüre, die dann variiert wird. Michael hat auch ein Stück für die neue Flying Lizards-Platte beigetragen, das wirklich eher seins als meines ist.“
Patti Palladin, die ehemalige Snatch-Musikerin, hat alle Texte geschrieben und gesungen.
„Ja, das ist wie mit Palais Schaumburg. Texte interessieren mich nicht, deswegen ist es mir auch egal, daß Holger deutsch singt. Von mir aus hätte auch Patti deutsch singen können. Ich hab’ die Texte auch längst vergessen.“
Bei der zweiten Platte gab’s ja ausführliche Credits, bei der ersten weiß man überhaupt nicht wer alles mitgemacht hat.
„Beim ersten Stück (‚Manderley Song‘, Brecht/Weill – Anm. d. Verf.) waren es ich und die Marshall/Hain-Band. Die waren damals noch bei EMI, deswegen konnte man das nicht erwähnen. Außerdem haben die Slits und die Pop Group mitgemacht, die ebenfalls Verträge hatten. Dann waren noch David Toop und Vivien Goldman dabei.“
Und was habt ihr mit der Stimme auf dem „Manderley-Song“ gemacht? Kit Hain klingt wie eine bulgarische Diva auf der falschen Geschwindigkeit?
„Nein, sie hat es so gesungen. Ich habe erst ihren Partner Julian Marsahall gefragt, wer das singen könnte, und er meinte, ich soll es mit Kate Bush versuchen, aber dann hatte die keine Lust und schließlich hat Kit Hain das einfach so heruntergesungen. In einem Take. Sie ist eine sehr begabte Sängerin. Du erinnerst dich doch sicher noch an ihren Disco-Hit ‚Dancing In The City‘. Der erste Disco-Hit mit Syndrums-Effekten.“
Man hat ja bei all den Musikern, mit denen du zusammenarbeitest, den Eindruck von einer inzestuösen Clique, die sich immer wieder über Kreuz zu neuen Projekten zusammenfinden. Hängen diese Leute auch privat zusammen rum?
„Die Improvisierer sind eine Gang. Und die Slits, die Pop Group und überhaupt alles um Y-Records bildet auch eine Szene. Von daher ist wieder eine Beziehung zu Steve Beresford, der mit den Slits spielt und auf eine Platte mit Tristan Honsinger gemacht hat. Tristan hat auch einmal bei der Pop Group gespielt. Er ist übrigens toll. Ich hab sein Konzert mit Derek Bailey noch gut in Erinnerung. (Bailey ist der härteste freie Gitarrist auf Erden, er läßt Sonny Sharrock und Arto Lindsey wie Donovan wirken – Anm. d. Verf.). Wußtest du, daß Derek Bailey bei Hot Gossip mitgespielt hat?“
Unglaublich.
„Ja, es ist eine dieser New Disco-Platten, vom Spandau Ballett-Produzenten Anthony Burgess gemixt! Das ist dasselbe, wie vor ein paar Jahren der Munich-Sound. London macht jetzt seinen Disco-Sound“.
Aber der Munich-Sound stand für nichts. War das Bekenntnis zur totalen Leere, der reinen Technik. Während Spandau-Ballett und andere sich schon eine Menge Beiwerk ausgedacht haben.
„Das ist wahrscheinlich der prinzipielle Unterschied zwischen diesen beiden Städten, München und London.“
Gestern hast du über die Moral von Musik gesprochen, bezogen auf die Lounge Lizards. Hast du solche Gedanken nicht auch zu deiner eigenen Musik?
„Nein, nicht während ich sie mache. Die Verbindung zwischen Musik und Moral oder Politik ist immer vorhanden. Meine letzten Aufnahmen habe ich in meinem Studio in Brixton gemacht, während draußen Straßenschlachten stattfanden. Diese Verbindung erscheint nicht explizit in meiner Musik, aber sie ist ihr inhärent. Aussagen kannst du aber erst durch spätere Rationalisierungen darüber machen.“
Ich finde auch, daß Musik in der Lage ist Dinge sofort zu sagen, zu verarbeiten, während Theorie fünf bis zehn Jahre braucht, um etwas zu erklären. Und wenn die Philosophie bei 76 angekommen sein wird, wird sie z.B. Punk für ihre äquivalente Musik erklären. Gegenwärtig ist die Philosophie aber noch eher bei Jimi Hendrix.
„Ja, du findest das bei der Semiotik, die sich jetzt mit Sachen beschäftigt, die einige Zeit her sind, die jetzt dessen gewahr wird, was z.B. 75 passierte, als zur gleichen Zeit Godard ‚Numero Deux‘ rausbrachte, Steve Reich sein erstes komponiertes Werk vorlegte und Philip Glass seine Oper mit Robert Wilson gemacht hat. Ebenso fingen ein paar ehemals strukturalistische Filmemacher zu der Zeit unabhängig von einander an auf eine neue Weise mit Erzählformen umzugehen. Sie benutzten plötzlich alle das gleiche Vokabular.“
Und du meinst, heutzutage gäbe es Theorien über diese Kunstwerke?
„Das ist ziemlich schwer zu sagen. Ich weiß nichts über Italiener und Deutsche, aber die Franzosen sind den Engländern immer um einiges voraus. Das ganze poststrukturalistische Ding kommt jetzt langsam an die britischen Universitäten. Aber wenn die Philosophen schneller mit ihren Theorien wären, wenn sie gar der Zeit vorausdenken würden, dann könnten sie ihre Theorien gleich als Diagnosen an multinationale Konzerne verkaufen. Die würden auch besser zahlen als Universitäten.“
Anderes Thema: Erzähl doch noch mal, was du in der Vergangenheit alles so gemacht hast!
„Ich habe This Heat produziert, die übrigens ein fantastisches neues Album fertig haben, ich habe Wayne County produziert, Anthony Moores FLYING DOESN’T HELP, vorher hab ich nur mit Bändern gearbeitet, das hatte wenig mit Musik zu tun. Ich war Kunststudent, obwohl ich nichts konnte, aber ich hatte einige graphische Techniken entwickelt. Mit den Bändern hab ich ähnlich gearbeitet.Teilweise habe ich einfach Arbeitsweisen des Kopierens vom Fotokopieren aufs Überspielen übertragen. Aber zur Musik kam ich eigentlich erst durch die Mittsiebziger Londoner Jazz-Szene.“
Dein Produktionsstil weist auch einige Parallelen mit Reggae-Produktionen auf.
„Ich hab’ sogar mal eine Reggae-LP gemacht, die ist nur noch nicht erschienen. Virgin hatte Bänder aus Jamaica gekauft, die sie aber etwas zu dumpf fanden. Sie baten mich dann ein Dub-Album daraus zu machen. Ich hab da einiges gelernt. Aber Virgin kann das Werk nicht herausgeben, weil sie an den Sänger nicht herankamen. Sie mußten ihn um seine Zustimmung über meinen Mix fragen, aber er hat keine Postadresse mehr und hängt in Jamaica in den Bergen. Und die Mitarbeiter von Virgin sind zum großen Teil Südafrikaner und werden nach Jamaica nicht reingelassen und so können sie ihn nicht fragen.“
Was wirst du als nächstes machen?
„Die Platte mit Peter Gordon. Und dann wollte ich mal für eine Weile keine Platten machen. Ich hab eine Musik für ein Ballett geschrieben und ich möchte Filmsoundtracks produzieren. Ich hab die Musik für einen Dokumentarfilm über Beuys geschrieben. Ich habe ja Beuys für England entdeckt. Haha. Ich sah in Edinburgh eine kleine Ausstellung und war begeistert. Die Professoren an der Kunstschule kannten ihn damals gar nicht, ein paar Monate später war er bei allen der Größte. Ich habe auch Musik für einen Regierungs-Dokumentarfilm über Prinz Charles gemacht, einen vergleichsweise realistischen Propaganda-Film, den irgendein armer Kerl in der BBC drehen mußte. Aber diese Filme haben inzwischen nicht mehr eine so aufdringliche ‚British-is-best‘-Haltung, sie werden bescheidener. England ist ein sehr seltsames Land in dieser Thatcher-Epoche. Die Konservativen haben mittlerweile keine Unterstützung mehr. Bei den nächsten Wahlen werden wir drei gleichstarke Parteien haben. Das könnte die englische Politik ändern, aber wahrscheinlich wird es das nicht. Labour und Sozialdemokraten haben dann zwar zusammen eine Mehrheit, aber Labour will Abrüstung und EG-Austritt, die Sozialdemokraten wollen beides nicht, also wird nichts passieren. Was ich sehr schade finde, denn ich bin für den Abbau britischer Atomwaffen, aber gegen einen EG-Austritt. (…) Ich komme aus Nordirland und habe mich der Situation dort entzogen, jetzt hat sie mich wieder eingeholt. 69 begann die Gewalt in Irland, die IRA trat in den Kampf ein und 72 war ich weg. Jetzt fängt… “ Palais Schaumburg tritt ein, im Nebenraum hatten sie noch ein wenig gemischt: „Wir haben gerade über die IRA gesprochen“, sagt David: „Es war eines von der Sorte Interviews.“


