Eine Kreuzung aus Lubitschs „Sein oder nicht Sein“ (wie man mit Charme und etwas Antifaschismus durch’s Dritte Reich kam), Truffauts „Jules Et Jim“ und „Nuit Americaine“ (Dreierbeziehung, bzw. Inszenierung in der Inszenierung) und Fassbinders „Lili Marleen“ (ästhetisch begeisterte Rekonstruktion der 40er). Ein guter Film also. Wie immer bei Truffaut wird der leicht antike Muff des reinen Erzählkinos durch einen irrsinnigen Reichtum an Handlungsfacetten weggeblasen. Jede noch so kleine Nebenfigur bekommt eine Bedeutung, eine eigene Lebens- und Leidensgeschichte, ein kleines Glück und ein kleines Pech zugeteilt. Sehr human ist das.
„Die leute Metro“ handelt davon, daß in dem Netz von teilweise lebensgefährlich antagonistischen Beziehungen zwischen Menschen und Menschen und Menschen und Macht, die elementaren menschlichen Bedürfnisse – in Friedenszeiten zu belanglosen Automatismen degeneriert – den Stoff für großes Kino liefern können.
Im renommierten Theater haust der ehemalige Direktor (Heinz Bennent) im Keller, als deutscher Jude mußte er das Reich verlassen und in Paris nach der Okkupation emigrierte er in den Keller. Während ihn die Welt im Ausland wähnt, sitzt er in seiner Klause und schreibt Regieanweisungen, die seine Frau (Cathérine Deneuve) den Schauspielern übermittelt oder dem Ersatz-Regisseur einflüstert. Das Theater wird von der Kamera kaum je verlassen. Der horizontalen Topografie des aktuellen Kinos wird eine seltsame vertikale entgegengesetzt. Von unten nach oben und zurück, meistens versteckt. Dieser Bewegung entspricht der ständige Kampf, den die Deneuve mit Zensurbehörden und wichtigen Kritikern ausfechten muß. Wenn eins dieser Nazischweine plötzlich mißgünstig wird, muß man sich halt an das nächsthöhere wenden. Cathérine Deneuve ist erstmals aktiv, bestimmend, klug und mächtig in einem Film zu sehen. Sie meistert Liebschaften mit Würde (Gerard Depardieu, in den sie sich hier verliebt, spielt erstmals erträglich und beherrscht), läßt sich von Nazis und Stromsperren nicht unterkriegen. Sie meistert die Psychologie des eingesperrten Theaterfürsten von Ehemann und sie meistert ihre Rolle (im Theater, im Leben, im Kino).
So sieht man sich bewegt und begeistert durch einen konventionellen Spielfilm, der seine eigene Konventionalität darüberhinaus ständig reflektiert und ihre Resultate überprüft, bis hin zu einem sehr komischen Schluß, einem weiteren Witz über die doppelte Inszenierung. Dann kommt man nach Hause und eine Böe des Zufalls weht einem die neue Ausgabe des Kulturmagazins „Tip“ in den Weg. Und man gerät mal wieder in größere Zweifel über den Sinn von Bewertungen von Filmen. Bisher hatten wir uns angewöhnt, die Filmklassifikationen im „Tip“ rückwärts zu lesen: Unter „ärgerlich“ findet man meistens irgendeinen guten amerikanischen B-Film und unter „herausragend“ die letzte Debilität des Alternativkinos. Aber auch dies funktioniert nicht, diesmal. Ein Jahrhundertfilm wie der neue Godard rangiert in der zweitbesten Rubrik („Sehenswert“) hinter dem neusten Freakkram („Herausragend“), an den sich nach zwei Jahren hoffentlich niemand mehr erinnern wird, und hinter so Zeug wie Resnais und Polnische Arbeiter. Ist das nicht gemein? Und dann feuert auch noch Wolf Donner auf mehreren Seiten seine Interpretationskanone leer, dieselbe geölte Maschine, mit der er Godard schon im „Twen“ besudelte. Wie kann man da noch guten Gewissens einen Truffaut empfehlen, wo es doch so viel Unrecht in der Welt gibt?

