Laxheit, Laissez Faire, im Takt den Oberkörper bewegen, statt das Gehirn – Auseinandersetzung ist der Jugend mal wieder ein Fremdwort. Zwar hat sich mancherorts die mittsiebziger Tendenz zur allgemeinen Verbrüderung unter der großen, weichen Schmusedecke der Subkultur zugunsten von ein wenig mehr vernünftiger Arroganz gelegt. Doch in den Sekten, Szenen und Sub-Szenen herrscht nach wie vor die stumpfe Selbstbestätigung, die Perpetuierung gedankenfeindlicher Feeling-Ideologien.
Die Gruppe Freiwillige Selbstkontrolle aus München ist gegen Verbrüderung, sie sind für Auseinandersetzung, für Standpunkte. Und dennoch wirst du es in Diskussionen mit ihnen schwer haben; denn als gewiefte Kybernetiker ist Verwirrung eines ihrer Steckenpferde, und sie können es summen lassen in deinem eindimensional geschalteten Kopf. „Manchmal werden wir für Faschisten gehalten, aber genauso oft für DKPler“, sagt Thomas Meinecke, Exil-Hamburger und redseligstes Bandmitglied. Da der bewußte Einsatz von Schlagworten, oft in fremder Umgebung, zum Konzept gehört, passiert es der Gruppe hin und wieder, daß sie Beifall erhalten, von mißverstehenden Zuschauern, die Minuten später, im günstigen Fall, erkennen, daß da nicht ihre Freunde auf der Bühne stehen. Da gibt es rechtsradikale Skinheads, die glauben, in FSKs Hippie-Haß und gekonnter Kurzschließung vulgärlinker und alternativer Theoreme einen Bündnispartner gefunden zu haben, um sich dann in erkennenden Momenten erschrocken abzuwenden: „In München gibt es einen FSK-Haß-Klub, das sind echte Neo-Nazis, die erst meinten, wir seien auf ihrer Seite, um dann noch viel enttäuschter zu reagieren.“
Beim Hamburger Konzert verwunderte das New-Wave-Hippie-Publikum – eine Soße, die fast so unerträglich geworden ist wie die schlimmsten Hippie-Vereinigungen – vor allem die Musik oder Nicht-Musik des FSK. Beim FSK gibt es weder eindeutige Signale für Stimmung, Tanz oder Rock’n’Roll, noch irgendwelche Anhaltspunkte, daß dort avantgardistische Absichten gehegt würden. Mal tönt es zurückhaltend-liedhaft aus vier Kehlen, mal riskiert man etwas Lärm, nie gibt es ein reguläres Schlagzeug, das Kernstück aller alternativen Mythen von Echtheit und Naturverbundenheit, sondern eine trocken pluckernde Rhythmusmaschine, die andrerseits auch nicht new-wavig als überstarkes Zeichen für die sattsam bekannte „Wir-leben-im-Zeitalter-der-Mikroprozessoren“-Mentalität eingesetzt wird. FSK schaffen es auf eigentümliche Weise, weder hübsch (melodiös) noch häßlich (atonal, lärmig), weder natürlich (Rock, Schweiß, weggelaufene Frauen) noch demonstrativ artifiziell (Synthi/Rhythmbox/Beschwörung von Modernismen). Hat FSK eigentlich Spaß an den wirklich hübschen Melodien, die manchmal vorkommen, oder begreifen sie das nur als Konstrukt, ausgesuchtes Zeichen, zu dem keine innere Beziehung besteht? „Beides“, rufen Michaela Melian, Justin Hoffmann, Wilfried Petzi und Thomas Meinecke wie in einem Chor: „Das Schöne ist ja auch gerade immer häßlich. Bei ‚Deutschland Über Alles‘ ist es eher so, daß mir das Spielen vom zweiten Teil (den lärmigen Improvisationen) Spaß macht. Aber natürlich schafft sich bei uns keiner. Wir drücken uns ja nicht durch Musik aus, wir werden nicht identisch mit der Musik.“ Dadurch, daß viele von FSK ursprünglich noch in einem anderen Sinn gebrauchte, inzwischen popularisierte Schlagwörter, Erkennungszeichen der sog. neudeuWe geworden sind, wie ‚Deutschland‘, ‚Untergang‘ oder die DDR-Mythologie stellt sich mir die Frage, ob FSK nicht oft völlig entgegen ihren Ideen eingeordnet und mißverstanden wird. Ja, das ist immer das Problem, daß man die Texte nicht versteht… Heute würden wir solche Sachen auch nicht mehr machen, so was wie ‚Deutschland Über Alles‘. Da gibt es jetzt eben schon Fehlfarben oder DAF, die das verwenden oder Abwärts, Stalingrad. Damit wollen wir nichts zu tun haben.“
FSK haben mit dem Berliner Untergangs-Untergrund nämlich nichts am Hut und grenzen sich auch hiervon in einem ihrer kämpferischen Paper entschieden ab. Die vier Mitglieder von FSK waren ursprünglich (und sind noch) an der Produktion einer Zeitschrift namens „Mode & Verzweiflung“ beteiligt, in deren 79er Ausgabe man bereits wesentliche Manifeste der FSK-Haltung finden konnte. Die Idee, Musik zu machen, stellte sich unabhängig von der frühen NdW-Aufbruchsstimmung ein: „Wir haben dann einfach mal dem Alfred ein Band geschickt.“ Und der war auch erstmal begeistert. Das zu Hause auf vier Spuren aufgenommene Werk wurde direkt gepreßt, die erste FSK-EP erschien Anfang 1980 bei Zickzack. Der Klassiker „Modeme Welt“, eine ebenso rührende wie distanzierte Affirmationshymne zu lieblichen Velvet Underground-„Candy-Says“-Klängen, bleibt bis heute neben „Zurück zum Beton“ und „Was heute zählt ist Sauberkeit“ eines der definitiven Statements post-linker und post-alternativer deutscher Jugendkultur (Wenn es so etwas gibt … wir wollen schließlich keine neue Suppe anrühren).
FSK – laßt euch nichts erzählen, sie sind nicht eure Brüder, ich auch nicht – beruht auf Wechseln der Position, die euch klang-fixierte Musik-Konsumenten in heillose Verwirrung stürzen werden. Thomas: „Ich bin an Aufklärung wieder interessiert, ich finde das wieder gut, auch im klassischen Sinne. Nachdem jetzt überall dieser Irrationalismus wieder grassiert…“ Justin: „Bei Atomkraftgegnern sind das doch meistens völlig emotionale Reaktionen.“ Diedrich: „Aber kein Mensch kann in die Zeit zurück, in der man Aufklärung noch gradlinig denken konnte, ohne ihre Dialektik. Bevor also Aufklärung zu der kritischen Vernunft degeneriert ist, mit der wir es heute in der BRD zu tun haben.“ Thomas: „Du meinst Böll und Lenz, Problembewußtsein und so. Das finden wir natürlich widerlich, das ist doch klar.“ Justin: „Aber gerade, wo alle wieder von Hexen reden und auf Mittelalter machen. Da kann man doch wieder von Aufklärung sprechen.“
Nachdem FSK für ZickZack eine zweite EP aufnahm, an der besonders der Song „Tagesschau“ angenehm auffällt, entstand die erste LP STÜRMER, die ich schon vor einiger Zeit zu rezensieren die Ehre hatte: eine sehr kurzweilige, musikalisch unterstützte Ansammlung von Statements und Manifesten. Das, was der durchschnittliche NDW-Hörer bei FSK mitbekam, war ein vager Eindruck, daß die Gruppe, aufgrund ihrer abstrakt und aggressiv verfaßten Slogans („Geh doch nach Indien“), irgendwie eine politische Gruppe sein müßte: „Das ist verrückt. In München haben wir zum Beispiel auch das Image einer total unpolitischen Gruppe, weil wir nirgendwo mitmachen, uns aus allem ’raushalten. Da wirft man uns direkt Politik-Verweigerung vor. Wohl auch, weil wir nicht mit einer Ideologie ankommen, sondern eher kybernetisch, mal hier, mal dort Stellung beziehen. Trotzdem haben wir dieses Image einer Polit-Gruppe gekriegt. Dabei geht die Hälfte der Lieder über Liebe.“ Wilfried: „Wir haben halt so als ‚politisch‘ empfundene Reize. Wörter wie ‚Deutschland‘ oder unser Auftreten in Uniformen.“
„Wir sehen eben diese ganze Untergangs-Geschichte als reine Hippie-Sache. Nicht, weil wir was gegen Berlin haben. In München gibt es auch diese ganzen Anarcho-Punks, die unheimlich viel Shit rauchen, und diese neuen Indianer sind für uns schon der Hauptfeind. Obwohl das auch langsam langweilig wird. Die Leute, die wir vor einem Jahr noch reizen konnten, die schimpfen heute auch auf die neuen Hippies. Da sind uns dann Skinheads schon lieber.“
„Als wir bei dieser Fernsehdiskussion gespielt haben, da waren auch der Langhans und der Kunzelmann. Und die fanden uns auch gut. Da dachte ich, das kann doch nicht sein. Da funktioniert doch irgendetwas nicht.“ Was findet ihr denn schlimmer, daß euch Langhans mag oder daß euch Kunzelmann mag? „Na, Langhans natürlich. Der Kunzelmann gehört ja schon zu den härteren, klareren Denkern (…) Aber später fand ich das dann gar nicht mehr so schlimm. Da dachte ich dann, daß wir so zu einer Band werden könnten, die sich allgemein an die Intelligenz wendet. Egal, wie die nun aussieht.“
Eine Band für die deutsche Intelligenz. Das wäre doch was.

