Gang Of Four – Stagnation?

So vor etwas mehr als einem Jahr, als man sich ständig und allerorten verteidigen mußte, bezüglich Punk und neue Musik und Welle und politischer Anspruch und dergleichen, gewöhnte ich mir an, nahezu automatisch den Namen Gang Of Four auszusprechen und den lästigen Diskussionspartner sich selbst zu überlassen.

Und das war meist gut so, wurde er doch durch mich angeregt, eine der besten Rock-LPs aller Zeiten zu hören (ENTERTAINMENT!) und vielleicht gar einen der mörderischen, fordernden Auftritte des Quartetts zu erleben. Meine Begeisterung anläßlich dieser ersten Begegnung mit dieser Truppe ist in SOUNDS 4/80 nachzulesen, meine leichte Enttäuschung über das langersehnte zweite Album SOLID GOLD vor zwei Heften. Meine Hoffnung, die Qualität der Platte würde mit kontinuierlichem Hören steigen, wurde nicht bestätigt Obwohl sie mir besser gefällt, als das, was unter den Namen Public Image, A Certain Ratio oder DAF z. Z. die Intelligentsia begeistert. Es bleibt bei den zwei großartigen Songs „The Republic“ und „In The Ditch“. Der Refrain des letzteren („Show me a ditch / and I’ll dive in it“) begleitete mich auch, festgehakt im Hirn, den ganzen Abend bei der zweiten Begegnung mit der Gruppe. Die Umstände waren grauenerregend. Die Vorgruppe hieß Leningrad Sandwich (was für ein Name) und ließ die Anwesenden grübeln, wann eine Gruppe jemals so schlecht gewesen sein mag. Wem dies nicht die Stimmung verdarb, der wurde durch den Auftrittsort in Rage versetzt. Die aus unerfindlichen Gründen legendäre „Fabrik“ in Hamburg-Altona. Ein Ort, wo niemand sehen kann und dessen Atmosphäre, bestimmt durch seine Zielgruppe, die alternativen Schlaffis, mit grauenvoll nicht ausreichend beschrieben ist.

Die reine Musik war schon toll, wenn man sich auch immer über alte Songs freute und z.B. „Armalite Rifle“ schmerzlich vermißte. Aber schon bei der Show deutete sich eine gewisse Stagnation an. Vor einem Jahr waren die Bewegungen, Gesten, Austrahlung etc. einen Tick härter, genauer, engagierter. Wahrscheinlich ist das nicht die Schuld der Gruppe, sondern der übliche Verschleiß durch Tourneen und das obligatorische Frust-Besäufsnis nach dem Konzert. Wenn man eine Gruppe in einem Abstand von anderthalb Jahren sieht und beide Male im gleichen Zustand, ist es bewundernswert, daß noch so eine intensive Live-Show entsteht. Denn verglichen mit anderen Gruppen, die es in dieser so reichhaltigen Konzertsaison zu sehen gab, sind die Gang Of Four immer noch unerreicht. Andy, warum müssen Rock-Musiker immer betrunken sein? „Du b-bist d-doch auch nicht nüchtbrar… “ – Aber mir tut es morgen leid. „Was meinst du, wie mir es leid tun wird!“ Und das seit zwei Jahren? Ein Leben mit dem Kater? Wie kann man da noch so gute Songs schreiben. Durch andere Drogen vielleicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls mußte ein zufällig anwesender alter Freund der Gang Of Four feststellen, daß nun auch sie, die eloquenten Marxisten des Rhythmus von jenem „Rock-Syndrom“ gepackt sind, das schon andere ruiniert hat. Aber auch beflügelt und inspiriert. Und das Journalisten-Leben ist übrigens auch nicht viel besser.

P.S.: Andy Gill legt Wert auf die Feststellung, daß er mit dem NME-Joumalisten Andy Gill nicht identisch ist